Davon einmal abgesehen, dass der Abstieg des Westens schon in vollem Gange ist, nicht nur auf dem Gebiet der Außen- und Sicherheitspolitik, nicht nur wirtschaftlich, sondern vor allem auch innenpolitisch, scheint es zunächst begrüßenswert, dass die Veranstalter dieser Konferenz, die führenden Vertreter der NATO-Staaten, auf realistischen Grundlagen argumentieren zu behaupten.

Angekündigte weltpolitische Offensiven

Nachdenklich darf man allerdings werden, wenn man den Tönen lauscht, die schon im Vorfeld dieser Konferenz angeschlagen werden, um sich dem diagnostizierten Niedergang entgegen zu stemmen.  Diesbezüglich heißt es im „Munich Security Report“, einem Traktat welches von Ischinger im Vorfeld der Tagung präsentiert wurde: “Hätten die westlichen Mächte in den Jahren nach dem Ende des Kalten Kriegs über "beinahe unangefochtene militärische Bewegungsfreiheit" verfügt, so sei dies heute nicht mehr der Fall. Selbst die lange Zeit "nahezu konkurrenzlose weltweite Überlegenheit" der NATO auf dem Feld der Militärtechnologie stehe inzwischen in Frage. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wird mit der Aussage zitiert: "Wir waren an eine internationale Ordnung gewöhnt, die auf der westlichen Hegemonie seit dem 18. Jahrhundert beruht hatte. Die Dinge ändern sich." Um die weitere Schwächung des Westens zu verhindern, dringt Ischinger auf entschlossene weltpolitische Offensiven.

Weltpolitische Offensiven also, als ob die westlichen Truppen sich nicht schon seit Jahrzehnten an einem völlig gescheiterten "Krieg gegen den Terror" verschleißen, der die Welt weder friedlicher noch westlicher gemacht hat. Als ob die Regimechange-Politik im Nahen und Mittleren Osten, in Nordafrika und anderswo nicht grandios und bedrückend zu gleich gescheitert sind, ja als ob die Frontstellung des Westens gegen Moskau, vor allem aber gegen Peking, keine Erfolge erzielen, wird hier zu immer neuen Offensiven geblasen, zu weltpolitischen Einsätzen, die man logistisch gar nicht mehr in der Lage ist zu vollziehen, von denen lediglich die international agierenden Rüstungskonzerne profitieren und immer neue Flüchtlingsströme produzieren.

Seit dem 2. Weltkrieg hat der Westen keinen Krieg mehr nachhaltig gewonnen

Der ehemalige CIA-Agent Robert Baer sagte diesbezüglich vor einigen Jahren - in einem Interview mit dem Verfasser dieses Beitrages - „Ist Ihnen eigentlich aufgefallen, dass seit dem Triumph der Alliierten über Deutschland und Japan kein einziger Krieg mehr nachhaltig gewonnen wurde? Sehen wir einmal von den konventionellen Großeinsätzen in Korea und Vietnam ab, so gab es nirgendwo, nicht einmal bei den belanglosen Scharmützeln von Somalia, beim gescheiterten Blue-Strike - Unternehmen im Iran, beim Einsatz der Contras in Nicaragua, vom Debakel Kennedys in der Schweinebucht ganz abgesehen, einen Sieg zu vermelden. Im Südlibanon, im Irak, in Afghanistan hat sich längst bestätigt, dass die konventionelle Kriegsführung der NATO-Stäbe, aber auch Russlands und Israels, mit der Abnutzungsstrategie, die den Kern des asymmetrischen Krieges bildet, nicht zurechtkommt. Die ungeheuerliche Durchschlagskraft neuer Monsterbomben, inklusive der "bunker buster", hat sich diesbezüglich als untauglich erwiesen.“

Die Reproduktion alter und neuer Feindbilder

Dabei scheuen sich die Organisatoren nicht, die Niederlagen des Westens zu benennen, allerdings ohne die Schuld hierfür bei sich selbst zu suchen. In dem erwähnten „Munich Security Report“ heisst es dazu:“ …dass es den westlichen Mächten nicht gelungen ist, sich im Syrien-Krieg durchzusetzen, während Russland und die Türkei ihren Einfluss stärken konnten und in dem Land mittlerweile den Ton angeben. Auch in Libyen, konstatiert das Papier, operierten Moskau und Ankara viel "entschlossener" als der Westen, der "weit unterhalb seiner Gewichtsklasse zu boxen" scheine. Allgemein sei festzustellen, dass die westlichen Mächte in den Jahren unmittelbar nach dem Ende des Kalten Kriegs zwar über "beinahe unangefochtene militärische Bewegungsfreiheit" verfügt hätten, dass dies nun aber nicht mehr gelte: "Das hat sich dramatisch verändert." Sogar die militärische Überlegenheit des Westens in bewaffneten Auseinandersetzungen sei nicht mehr garantiert. So habe die Ex-NATO-Generalsekretärin Rose Gottemoeller darauf hingewiesen, dass "die nahezu konkurrenzlose weltweite Überlegenheit in der Militärtechnologie", deren sich die NATO über Jahrzehnte erfreut habe, "gefährdet" sei, seit andere Länder in zentralen Technologien aufholten. Der Munich Security Report nennt unter anderem Hyperschallraketen, die Russland entwickelt hat, und die chinesischen Fähigkeiten zur Abwehr von Angriffen von See durch hocheffiziente Anti-Schiffs-Raketen. Aber nicht durch Schuldzuweisungen, nicht durch das Produzieren immer neuer und alter Feindbilder, kann sich der Westen vor einem weiteren Niedergang wappnen.

Wenn der Westen nicht untergehen möchte, dann muss er sich verändern.

Der Historiker Niall Ferguson analysiert in seinem Buch „Der Niedergang des Westens“ den Verfall jener vier Säulen, auf denen einst die Weltherrschaft des Westens ruhte: repräsentative Demokratie, freie Marktwirtschaft, Rechtsstaat und Zivilgesellschaft. Sie degenerierten, so Ferguson, zunehmend zu den Gefahrenquellen von nachlassendem Wachstum, explodierenden Staatsschulden, zunehmender Ungleichheit, alternden Bevölkerungen sowie auseinanderbrechenden Sozialgefügen. Unabhängig davon, welche innenpolitischen Folgen sich daraus in naher Zukunft ergeben: außenpolitisch ist unser politisches Modell – vor dem Hintergrund einer völlig anders gearteten Staatenwelt – zum Ladenhüter geworden. Schon beim so genannten „Krieg gegen den Terror“ wie auch beim Versuch der NATO in die Weiten des eurasischen Raumes an die Ufer des Kaspischen Meeres vorzudringen – übrigens ein Prozess, den die Medien schönfärberisch als „NATO-Osterweiterung“ beschreiben –, wurden historische Betrachtungen ignoriert. Der Westen wird daher gezwungen sein, einen neuen realistischen Blick auf die Welt zu wagen. Nur wenn man die globale Veränderung in Richtung einer multipolaren Welt als Chance betrachtet, kann eine große Konfrontation mit den nicht westlichen Mächten vermieden werden. Diese Einsicht muss von den Menschen im Westen selbst geleistet werden. Ob das Zeitalter des Westens an einem Scheideweg angekommen ist oder gar an seinem Ende, wird die Geschichte offenbaren. Das Prinzip des unerbittlichen Aufstiegs und Falls der Imperien, welcher eine Konstante der Weltgeschichte darstellt, ist auch heute noch gültig. Schon zu Zeiten des Imperium Romanums galt folgende Redensart: „Rom fällt nicht von Feindeshand, es ist der Zahn der Zeit, der an ihm nagt.“

„Was bedeutet das konkret für mich!?“

Wir - die Bürger des Westens - sind dazu aufgerufen, sich den von den Organisatoren der Münchner Konferenz propagierten „weltpolitischen Offensiven“ des Westens entgegenzustellen. Dieses gelingt nur, wenn innerhalb der Bevölkerung die Erkenntnis Oberhand gewinnt, dass Außenpolitik längst die Innenpolitik tangiert. Es ist zu bezweifeln, dass das mit den aktuell regierenden Kreisen zu machen ist.

Beitrag senden

Drucken mit Kommentaren?



href="javascript:print();"