Es riecht nach Rezession
Chinas Wirtschaft ist scheinbar in einer Endlosschleife aus Lockdowns wie in Shanghai und Shenzhen gefangen. Insofern ist die Stimmung in der Industrie verhalten. Immerhin sollen u.a. verkürzte Quarantänezeiten und der Betrieb von Fabriken in Corona-freier Umgebung Reibungsverluste dämpfen. Zudem ergreift die KP gezielte Stützungsmaßnahmen, um eine „harte Landung“ zu vermeiden. Das Wachstumsziel von 5,5 Prozent für 2022 wird China trotzdem verfehlen.
Selbst in Amerika wachsen die Konjunkturbäume nicht in den Himmel. Die Neuauftragskomponente des ISM Index für die US-Industrie zeigt eine deutliche Stimmungseintrübung an. Für Kompensation sorgt gleichwohl die Binnenkonjunktur mit ihrem starken Dienstleistungsgewerbe.
Die größten Sorgenkinder der Weltwirtschaft sind gemäß Sentix Sentiment Konjunkturerwartungen für die nächsten sechs Monate die Eurozone und Deutschland. Demnach droht ein Wirtschaftseinbruch, der den Corona-Schock in den Schatten stellt. Der - laut ifo Institut - Rekordeinbruch der Erwartungen in der Automobilbranche als ein wesentliches Rückgrat der deutschen Wirtschaft betätigt diese Einschätzung. Grundsätzlich leidet Export-Deutschland gleich zweifach: Unter teuren und weniger verfügbaren Rohstoffen und Vorprodukten sowie einer weltweit nachgebenden Nachfrage.
Ein Konjunkturkiller wäre ein totales Energieembargo gegen Russland. Daher hat sich die EU bislang auch nur auf ein Energieembargo light, auf einen Importstopp russischer Kohle verständigt. Mehr als ein politisches Zeichen ist es nicht, denn es tut weder Russland noch der EU wirklich weh. Aber selbst ein europäischer Komplettverzicht auf russisches Öl und Gas würde den Ukraine-Krieg nicht absehbar beenden.
Putin ist ein Überzeugungstäter, der für sein fatales Sendungsbewusstsein auch wirtschaftliche Leiden seiner eigenen Bevölkerung in Kauf nimmt. Und er hat nichts mehr zu verlieren, was seine Politik noch konsequenter macht. Selbstverständlich ist ihm kein einziger Cent zu gönnen. Aber Sanktionen machen leider nur Sinn, wenn sie den Empfänger aufgrund des Schadens in seiner Haltung ändern und/oder den rohstoffarmen Sanktionsgeber nicht wirtschaftlich dramatisch schwächen.
Jetzt können Politiker beweisen, was in ihnen steckt
Zur schnellen Konfliktlösung kann nur China beitragen, das sich aber bedeckt hält. Und anderen Ländern ist offensichtlich das Energie-Hemd - günstige Lieferung von russischem Öl und Gas - näher als der geopolitisch verantwortungsvolle Rock.
Wenn es nicht zu einem Regimewechsel in Moskau kommt, wofür im Moment wenig spricht, muss der Westen und vor allem Europa den „Krieg“ gegen Putin aktiv selbst und langfristig führen. Neben einer umfangreichen militärischen Unterstützung der Ukraine geht es darum, alle Energie- und Strukturdefizite schonungslos und ohne ideologische Überkorrektheiten und Bürokratie maximal schnell zu lösen. Energiesicherheit zu akzeptablen Preisen ist ein entscheidender Standortvorteil. Damit darf nicht länger gespielt werden.
Gleichzeitig muss klar sein, womit nach Old Economy zukünftig Geld verdient wird. Und Europa muss seinen Binnenmarkt stärken, damit es insgesamt geopolitisch und wirtschaftlich an Gewicht zunimmt. Was für eine ausgezeichnete Gelegenheit für politische Eliten nicht nur unverbindlich in Talk-Shows, sondern mit pragmatischer Tatkraft zu glänzen.
US-Notenbank: Gut gebrüllt Löwe, aber…
Rezessionsgefahren sind per se kein Aktienargument. Doch dienen sie den Börsen durchaus als eine Art Lebensversicherung gegen zu restriktive Notenbanken.
Die Fed sieht sich angesichts des Inflationsdrucks dazu genötigt, die Entblähung der Notenbankbilanz bereits im Mai zu starten. Laut Protokoll ihrer letzten Sitzung (Fed Minutes) tritt sie hierbei jedoch nicht aktiv als Verkäufer von Anleihen auf, sondern verzichtet passiv auf die Reinvestition fällig werdender Papiere. Diesen verknappenden Wiederanlageeffekt will sie schrittweise steigern, bis sich ihre Bilanz monatlich um 95 Mrd. US-Dollar (60 Mrd. Staatsanleihen und 35 Mrd. Immobilien gedeckte Anleihen) verringert.
Zwar geht sie somit aggressiver vor als bei ihrem Entzug von monatlich 50 Mrd. zwischen 2017 und 2019. Jedoch kann die Fed stabilitätspolitisch nicht unbeschwert handeln. Sie muss die strukturellen Risiken wie staatliche und private Überschuldung im Blick haben, die weiter zunimmt und tragfähig bleiben muss.
Überhaupt kann man Rentenmärkte nach langjähriger planwirtschaftlicher Renditedrückung nicht ohne Reibungsverluste wieder in die marktwirtschaftliche Freiheit entlassen. Wenn Anleger ihre Zinspapiere wegen der schwindenden Präsenz der Fed und ihrer Marktmacht in Panik auf den Markt werfen würden, könnte es im Extremfall zu einem Rentenkollaps und einer neuen Finanzkrise kommen. Daran kann die US-Notenbank kein Interesse haben.
Auch bei Zinserhöhungen kann die Fed nicht vollmundig agieren. Angesichts der hohen Inflation signalisieren die 2-jährigen Renditen in Amerika derzeit zwar, dass die Notenbank ihren Leitzins bis 2024 auf ca. 2,5 Prozent anheben wird. 2022 ist mit drei aufeinanderfolgenden Zinserhöhungen von jeweils 0,5 Prozent zu rechnen.
Doch sendet eine sich stark verflachende US-Zinsstrukturkurve (10- minus 2-jährige Staatsanleiherenditen) bereits Rezessionssignale. Inverse Strukturkurven haben mit einer zeitlichen Verzögerung von zwölf bis 18 Monaten tatsächlich zu Wirtschaftsabschwüngen geführt. Ein Amerika, das sich geopolitisch immer mehr gegen Russland, China und Indien wehren muss, kann sich unbegrenzte geldpolitische Wehrkraftzersetzung nicht erlauben.
Insgesamt ist abseits starker Worte nicht mit einer brutalen Zinserhöhungswelle wie in den 70er und 80er Jahren zur Inflationsbekämpfung zu rechnen.
Marktlage - Nicht kaputtzukriegen
Insofern geht die schleichende Enteignung der Zinsgläubiger weiter, was die Aktienmärkte grundsätzlich stützt.
Diese haben ihre Zwischentiefs hinter sich gelassen. Angesicht der Vielzahl an Krisen hält die Nervosität jedoch an. Insbesondere während der handelsfreien Osterfeiertage werden Investoren kein großes Engagement eingehen. Setzen Aktien aber in der Woche darauf ihre, wenn auch schwankungsstarke, Befestigung fort, stehen die Zeichen für eine fortgesetzte Stabilisierung gut.
Anderenfalls könnten umfangreiche Gewinnmitnahmen zu erneuten Kursrücksetzern von nervösen Anlegern führen. Denn grundsätzlich werden die kommenden „harten“ Wirtschaftsdaten die ersten Reibungsverluste der Weltkonjunktur sichtbar machen. Maßgeblich ist, ob sich die Wachstumsaussichten deutlicher verschlechtern als bereits eingepreist. Zuletzt hat sich der weltweite Economic Surprise Index klar aus dem Enttäuschungs- in Überraschungsterrain vorgearbeitet.
Regional betrachtet bleiben die Schwellenländer Asiens mit ihrem Zentralgestirn China zunächst ein Underperformer. Für kurzfristige Aufheller sorgt die mögliche Beilegung eines langen Streits zwischen Washington und Peking um in den USA notierte chinesische Unternehmen. Damit entfiele das Risiko eines Börsen-Aus von Chinas Tech-Werten an den liquiden US-Märkten. Doch ist noch nichts entschieden. Ein Hemmschuh bleibt, dass Wachstumspotenziale insbesondere der Tech-Konzerne durch die unverändert harte Regulierungsknute der KP beschnitten werden.
Im Gegensatz dazu können die Schwellenländer Lateinamerikas aufgrund ihrer geographischen sowie wirtschaftlichen Distanz zum Krisenherd Ukraine, vor allem jedoch aufgrund ihrer Rohstoffvorkommen eine klare Trendwende nach oben vollziehen.
Zunächst bleiben jedoch Aktien der Industrieländer erste Wahl. Insbesondere profitiert Amerika von seinem Vorteil der Unabhängigkeit bei Energie und Agrarrohstoffen.
Einzelne Branchen erleben Sonderkonjunkturen. Der Klimaschutz erhält durch Europas Anstrengungen, die Energieerzeugung nachhaltiger und unabhängiger aufzustellen, weiter Auftrieb. Besonders interessant sind Unternehmen, die essenzielle Technologielösungen für die Energiewende oder die nötige Logistik wie Rohrleitungen für Flüssiggas und später für Wasserstoff liefern. Aber auch Titel, die übergangsweise von revitalisierten Old Energy und der New Energy profitieren, sind gefragt.
Als Depotbeimischung lohnt angesichts der eingeschränkten Verfügbarkeit zudem ein Blick auf den Agrarsektor.
Die Geschäftsmodelle im High-Tech-Sektor - Digitalisierung, Industrieautomatisierung, künstliche Intelligenz, Quantenkommunikation und -informatik - bleiben ohnehin nachhaltige Gewinnquellen. Tatsächlich haben Growth- ihre Outperformance gegenüber Value-Titeln wiederaufgenommen, selbst, wenn ihnen die Zinsdebatte zwischenzeitlich zusetzt.
Aber auch Dividendentiteln kommt im aktuellen Hochinflations-Umfeld eine Werterhaltungsfunktion zu. Tatsächlich erhöhen 32 DAX-Unternehmen ihre Dividende teilweise kräftig, sodass einzelne DAX-Titel Dividendenrenditen von knapp acht Prozent aufweisen.
Sentiment und Charttechnik DAX - Rücksetzer jederzeit möglich, neue Tiefs weniger
Aus Sentimentsicht ist die Panik überwunden. Die Krisen werden nüchterner betrachtet. Doch solange die Faktenlage unübersichtlich ist, werden massive Ausschläge nach oben allerdings ausbleiben.
Dass sich der Fear & Greed Index von CNN Money binnen Monatsfrist aus dem Bereich „extremer Angst“ in „Angst“-Terrain vorgearbeitet hat, deutet auf eine allmähliche Bodenbildung hin, die auch gegen ein erneutes Abtauchen der Aktienmärkte auf neue Tiefs - Double Dips - spricht.
Charttechnisch liegen im DAX auf der Oberseite Widerstände bei 14.233, 14.310 und 14.335 Punkten. Darüber folgen weitere Barrieren bei 14.485, 14.550 und 14.815. Auf der Unterseite liegen erste Unterstützungen bei 14.025, 14.013 und 13.917. Es folgen weitere Haltelinien bei 13.748, 13.682 und 13.600 Punkten.
Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG: https://www.roberthalver.de/Newsletter-Disclaimer-725
Kommentare
Hallo Herr Halver, Sie meinen hoffentlich nicht die Damen und Herren, die mit Schaum vorm Mund von einer Talkshow zu nächsten hetzen ;–).
»… muss der Westen und vor allem Europa den „Krieg“ gegen Putin aktiv selbst und langfristig führen.«
Was kommt nach dem Krieg? Wer baut die Ukraine, diesen korrupten »failed State« und das ist er nicht erst seit Frau Timeschenko und dem Maidan, wieder auf (incl. militärischer Aufrüstung)? Das wird ein vielfaches dessen kosten, was uns die ehemalige DDR gekostet hat. Das wurde von der Bevölkerung noch akzeptiert, ich bezweifle, dass es im Fall Ukraine so läuft, mit einer 6-Milliarden Anschubfinanzierung (Kohls Vereinigungslüge) ist es nicht getan. Eine Inbetriebnahme der NS2 wäre billiger gewesen und hätte weniger Opfer gekostet. Aber das wollten die Amerikaner nicht und unsere Politiker, in die Sie so große Hoffnungen setzen, werden uns leider enttäuschen, sie haben kein Format und sind lediglich Befehlsempfänger.
Schönes, friedliches Wochenende
Hält sich bedeckt ? China hat klar kommuniziert, dass die NATO durch ihre aggressive und rücksichtslose Expansionspolitik für die Ursache des Ukrainekonfliktes verantwortlich ist.
"Wenn es nicht zu einem Regimewechsel in Moskau kommt, wofür im Moment wenig spricht, muss der Westen und vor allem Europa den „Krieg“ gegen Putin aktiv selbst und langfristig führen."
Muss er das ?? Was ist mit Diplomatie, Ausgleich und Frieden ?? Okay, kann NATO nicht.
"Putin ist ein Überzeugungstäter, der für sein fatales Sendungsbewusstsein auch wirtschaftliche Leiden seiner eigenen Bevölkerung in Kauf nimmt. Und er hat nichts mehr zu verlieren, was seine Politik noch konsequenter macht." Dann ist es sicherlich sehr klug, das der Werte-Westen die stärkste Atommacht weiter mit Waffenlieferungen, Sanktionen, Verleumdungen, Hass und Hetze provoziert, bis sie nichts mehr zu verlieren hat....
Lieber Herr Halver, ich empfehle Ihnen wärmstens erkenntnisreiche Interviews aus den Jahren 2014/2015 mit Peter Scholl Latour zum Thema Ukraine.
Wie bitte? Ich höre da ein wenig Mainstream heraus, Putin/böse Westen/gut. Was will denn Putin? Entgegen aller Behauptungen, er wäre unberechenbar, ist so zienlich das Gegenteil der Fall. Putin will eine neutrale Ukraine und demilitarisierte Zonen in der osterweiterten Nato-Flanke. Das eine wird er bekommen (Ukraine), das andere sollte man zumindest auf diplomatischer Ebene besprechen. Diplomatie ist die Kunst des Gesicht wahrens, es geht gar nicht so sehr um die harten Ergebnisse.
Europa kann mit Waffenieferungen nur verlieren. Dieser Krieg muss vor allem eins: Schnell enden. Man muss endlich einsehen, daß nur eine neutrale Ukraine als Endergebnis stehen kann. Ein europäisches Aufbäumen gegen ein Atom-Russland macht ähnlich viel Sinn wie Aufmucken gegen USA oder China: Keinen. Es gäbe jede Menge gesichtswahrende Auswege, wenn man nur wollte. Der Kriegsbeender ist immer der Held, der bezahlte Preis muss ja nicht veröffentlicht werden.
Aber mit wirkungslosen oder -armen Sanktionen, die vor allem ein wirtschaftlicher Bumerang sind, gewinnt man keinen Blumentopf. Mit Waffenlieferungen, die am Ende das Leid nur erhöhen, verliert man am Ende noch höher. Es ist so simpel, daß man es kaum glauben mag.
Daher schmerzen solche Sätze von "umfangreichen Waffenlieferungen" sehr bei Cashkurs. Hier ist man differentierteres gewohnt.
Waffenlieferungen an
die Ukraine, insbesondere aus deutscher Hand ,werden das Leiden in der Ukraine verlängern.D.h.Deutschland ist dann mitverantwortlich für das Sterben und Leiden der Menschen.Herr Putin weiß,was er tut- davon bin ich überzeugt.
Die Ukraine muß neutral werden.
Falls dies nicht gelingt wird der Krieg noch Jahre dauern .
M.E. betreibt die deutsche Regierung derzeit einen friedenspolitischen und wirtschaftspolitischen Selbstmord in Raten.Diese Aktionen verstoßen m.E.gegen die Verfassung und sind nicht im Interesse der in Deutschland lebenden Bevölkerung.Ich werde jeden Tag ärgerlicher
über den Dilettantismus unserer Regierung.Eine Regierung hat die Pflicht Schaden vom eigenen Volk abzuwenden ,ansonsten muß ihr das Vertrauen entzogen werden....oder wollen die deutsche Regierung und Kreise in Europa den Krieg im eigenen Wohnzimmer?Manchmal gewinne ich diesen Eindruck.
Armes Deutschland,armes Europa.Die Supermacht USA geht langsam ihrem Ende entgegen und wir sind dabei ,vorher in Bedeutungslosigkeit und Armut abzudriften...hinterher werden die Verantwortlichen wieder sagen :Damit konnten wir nicht rechnen.Doch : genau damit können wir rechnen.
Bitte überdenken Sie Ihre Einschätzung nocheinmal.
Mit freundlichen Grüßen Wisent