Der gemeine Anleger ist ein geduldige Seele. Europäische Aktien sind inklusive Dividenden und vor Steuern und Gebühren auf dem Stand von 1998 (CHECK). Kein Problem! Der amerikanische Aktienmarkt ist in der Breite extrem hoch bewertet? Das sitzen wir aus!

Und das mit der Bewertung kann man sich auch nach der Sportschau und Tim Mälzers Kohlrouladen-Schlacht noch in Ruhe anschauen.

Anders als der Termin- und der Devisenmarkt ist der Aktienmarkt kein Nullsummenspiel. Steigende Kurse nutzen in finanzieller Hinsicht allen Anlegern. Am Devisen und Rohstoffterminmarkt entspricht jede Long Position eine Short-Position. Der Anteil der Short Seller am Aktienmarkt hingegen ist vernachlässigbar gering. Daher spülen steigende Kurse vielen Leuten und Geldverwaltern einen Hauch gefühlten Wohlstands in die Taschen. Fallende Kurse sorgen entsprechend für allgemeines finanzielles Leiden. Das ist natürlich eine situative Betrachtung bezogen allein auf den aktuellen Zustand.

Für viele wäre es langfristig sogar überaus positiv, wenn die Preise und Bewertungen deutlich sinken würden. Nichts ist auf Dauer teurer als Wertpapiere zu überhöhten Bewertungen zu kaufen. Diese Erfahrung durften auch deutsche Anleger in den letzten 20 Jahren mehrfach erfahren.

Aber wie heißt es so schön: Gute Entscheidungen basieren auf Erfahrung und Erfahrung basiert auf schlechten Entscheidungen. Wer lediglich ein paar Jahre dabei ist und nur den Bullenmarkt erlebt hat, dem steht diese Erfahrung noch bevor. So etwas ist schwer vorstellbar, aber immerhin ist es etwas von den wenigen Dingen am Finanzmarkt, die mit Sicherheit eintreten.

Die Gemengelage hinsichtlich Bewertung, Gewinn- und Margenentwicklung ist seit geraumer Zeit wenig erbaulich.

Angesichts der Entwicklungen der letzten 10 Jahre ist es bemerkenswert, wie die werbeabhängigen Medien es schaffen, den gefühlten Bullenmarkt ad infinitum zu verlängern. Je mehr Aktienmärkte zu den langfristigen Trauerspielen gehören und beim Bullenmarkt nicht mehr mitlaufen, desto mehr konzentriert man sich auf die verbliebenen Indizes. Es ist ein bisschen wie bei Edgar Allan Poe. Man feiert im vemeintlich sicheren Schloss einen Maskenball und glaubt, die Pest sei sicher ausgesperrt, während sie bereits fröhlich im Raum das Tanzbein schwingt.

Während zahlreiche Indizes nur noch ein Schatten ihrer selbst sind, wird weiterin von den Schlaftabletten à la Kostolany gesprochen, wobei man den Meister gerne ohne den sinnvollen Kontext zitiert. Die zyklische Natur der Märkte, die Bedeutung der Bewertung und vieles mehr waren Kostolany sicherlich bewusster als vielen selbst ernannten Chefstrategen einer Finanzgazette. Dümmlich aus dem Zusammenhang gerissene Zitate werden ihm nicht gerecht. Aber so ist es, für seine ebenso deutliche wie berechtigte Kritik der absurden Vorgänge am „Neuen Markt“ wurde er teils milde belächelt, aber wenn es der Werbebotschaft der Fondsverkäufer dient, muss er wieder herhalten. Armselig.

Am Beispiel des US-Marktes lässt sich die temporäre Verdrängung der Bedeutung des Faktors Bewertung durch den Faktor Hoffnung verdeutlichen. Die Hoffnung ruht dabei auf dem von den Zentralbanken geschaffenen Schamanenkult. Inhaltlich hat jede Sesamstraßenfolge mehr zu bieten als das Dauergestammel der Zentralbanken. Allerdings lebt eine ganze Menge Plankton in Funk, Fernsehen und „Analyse“-Abteilungen bereits ausschließlich von den Datenkrümeln am Lätzchen von Draghi und Yellen.

James Montier und Philip Pilkington von GMO haben zu den Folgen dieser Abhängigkeit eine Auswertung veröffentlicht. Die folgende Grafik zeigt die Entwicklung des S&P 500 insgesamt und die Entwicklung eines Depots, dass nur an Tagen, an denen es ein Fed-Statement gab, investierte. Der Effekt ist deutlich. Fast die gesamte Nettoperformance des Index ist auf diese Tage zurückzuführen. Die Betonung dieses Effektes liegt jedoch auf temporär.

Mittlerweile ist die Bewertung der US-Märkte im Steigflug. Die Erträge der Firmen sinken mit zweistelligen Raten, das Kurs-Gewinn-Verhältnis des S&P 500 auf Basis der echten Erträge legte unlängst auf 24 zu. Für einen breiten Index ist das extrem teuer.

Beim  Verhältnis des Preises zu den Umsätzen wurde der Stand von 2003 locker überboten. Ein Dollar Umsatz kostet den Anleger derzeit 1,81 Dollar. Good Luck.

Der Gewinnrückgang ist zum Teil auf rückläufige Geschäftsvolumina zurückzuführen. Das ist nicht schön. Der bedeutendere Teil ist jedoch der Beginn der Normalisierung der Gewinnmargen. Wenn es eine Kennzahl in der Marktwirtschaft geben sollte, die zyklisch ist und immer wieder zu ihrem Mittelwert zurückkehrt sind des die Gewinnmargen. Da mag der eine oder andere von „neuen Zeiten“, dem „Einfluss neuer Technologien“ oder gleich den „veränderten Bilanzierungsstandards“ sprechen, an der Eigenart der Margen ändert dies nichts. Es ist ja nicht so, dass das Internet die erste relevante Erfindung ist, seit der Mensch die Keule in der Höhle gelassen hat, auch wenn mancher das aus seinem Freizeitverhalten schließen mag.

Von der mittleren Marge der letzten Jahrzehnte hat man sich ein gutes Stück nach oben entfernt. Die Marge hat ihren Abstieg begonnen, die Preise zögern noch. Das mittlere Kurs-Gewinnverhältnis der letzten Jahrzehnte lag deutlich unter dem aktuellen Wert, der in den Medien zudem durch den Fokus auf „adjustierte“ Erträge geschönt ist. Eine Korrektur beider Werte auf das Normalmaß würde einen Indexstand von rund 750 bedeuten. Damit wäre man nicht billig. Das heißt nicht, dass es so kommen muss und die Neubewertung morgen losgeht. Das aber ist das Risiko, dass jemand eingeht, wenn er den Niedrigzinsen oder dem Enteigner über den Aktienmarkt ausweichen will. Wenig Chancen, enorme Risiken, niedrige Dividenden bei hohen Payout Ratios und sinkenden Gewinnmargen. Kein schöner Mix. Da sich nachher wie immer alle sicher sind, dass es vorher keiner gewusst haben kann, schadet es nie, sich vorher seine Gedanken zu machen.

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