Es fällt schwer, die theoretische These, dass Aktien längerfristig immer steigen bzw. den Rentenmarkt outperformen, praktisch aufrecht zu erhalten. Tatsächlich mussten Aktien auch lange Durststrecken durchlaufen. Wer beispielsweise Anfang 2000 in den DAX Performance Index - also inklusive Dividenden - investiert hätte, wäre heute gerade wieder auf Einstandskursniveau. Na bravo. Oder hätte man Anfang 1990 zeitgleich in DAX und in die größte Alternativanlageklasse Rentenmarkt - gemessen am deutschen REX Performance Index - angelegt, würden beide Anlageklassen aktuell hart um Platz 1 kämpfen. Deutsche Aktien konnten also selbst mit Megathemen wie der High Tech-Revolution, dem Shareholder-Ansatz oder der Immobilien-Euphorie ihre zwischenzeitlich sicherlich imposanten Besserentwicklungen zu Renten nicht bis ins Ziel retten, da die Megathemen zu Megablasen führten und regelmäßig megamäßig platzten.
 
Ist der Nimbus der Unbeflecktheit der Aktie dahin?
 
Natürlich bin ich mir im Klaren darüber, dass dieser Vergleich nicht nur hinkt, sondern vielleicht sogar schon im Rollstuhl fährt. Die von mir unterstellte Kaufen und Halten-Strategie à la André Kostolany ist zweifelsfrei nicht mehr zeitgemäß. Heutzutage kann man sein Portfolio auch mit charttechnisch orientierten Verkäufen und Rückkäufen und natürlich mit mittlerweile zuhauf vorhandenen, innovativen Finanzprodukten optimieren. Aber es zeigt sich mindestens, dass ein langfristiger Siegeszug der Aktie keine ausgemachte Sache ist.
 
Bevor nun aber die Rentenanhänger T-Shirts mit der selbstgerechten Aufschrift “Die Unbeflecktheit der Aktie ist dahin“ in Auftrag geben, sollten wir vorher einen Blick in die Zukunft beider Anlageklassen wagen. Dazu muss ich jedoch zunächst noch einmal in die Vergangenheit schauen. In früheren Zeiten führte regelmäßig eine restriktive Geldpolitik zu Entblähungen übertrieben bewerteter Aktienmärkte, übrigens auch weil damals - die Älteren unter uns erinnern sich noch - Inflationsbekämpfung eine Ehrensache der Zentralbanken war und der Ehrensold für stabile Finanzmärkte noch keine Rolle spielte.
 
Die Notenbanken werden nicht die Totengräber der Aktie sein
 
Und heute? In der westlichen Hemisphäre hat sich eine Notenbankpolitik etabliert, die sich nicht mehr an der Stabilität der berühmten sieben mageren Jahre, sondern am Matthäusevangelium orientiert: Kommet her zu mir, die ihr mühselig und beladen seid. Ich will euch erquicken. Und mein fester Eindruck ist, dass diese frohe Botschaft zur notwendigen Beilegung der Staatsschuldenkrise noch lange ertönen wird. Wer will heute wirklich ausschließen, dass es keine sieben fetten geldpolitischen Jahre werden? Die Liquiditätsschwemme als eine hauptsächliche Antriebsfeder der Aktienmärkte ist also in einer Dauerschleife. Mit der allseits zu Recht geschätzten Stabilität der früheren Bundesbank hat das zwar nichts zu tun, aber Kursgewinne sind nun mal Kursgewinne.
 
Harte Fundamentalfakten sprechen für Aktien
 
Überhaupt sprechen auch harte, ganz harte Fundamentalfakten für Aktien. Die Weltwirtschaft scheint offensichtlich kein lahmender Gaul zu sein, der auf die Notschlachtung wartet. Denn die früher ach so gepriesene Lokomotive der Weltkonjunktur - die USA - muss heute angesichts der vielen E-Loks aus den Schwellenländern gar nicht mehr so viel Geschwindigkeit aufbringen.
 
Überhaupt sollte man eine in China nicht mehr auf zweistelliges, dafür aber auf nachhaltiges Wachstum von immerhin noch gut sieben Prozent ausgerichtete Wirtschaftspolitik nicht verdammen, sondern lobpreisen. Denn, Ihr lieben Amerikaner, haben sich nicht gerade Eure überhitzten Konjunkturen historisch als schmerzlich für die Weltwirtschaft erwiesen? Überhaupt waren es nicht diejenigen, die jetzt über die Entschleunigung der chinesischen Wirtschaft herziehen, die noch bei zweistelligen Wachstumsraten vor bösen Blasenbildungen gewarnt haben? Wie hätten wir es denn gern?
 
Gerade Deutschland ist ein Gradmesser für die stabile Happy Hour der Weltkonjunktur, sorgen wir doch mit unserem Industrie-Know How dafür, dass weltweit die Werkbänke laufen. „Tränen lügen nicht“ hat damals Michael Holm gesungen. Und heute sage ich: Der ifo Index lügt nicht. Er deutet eindeutig nur eine Konjunkturdelle, keine -beule an. Der klassische kreislaufförmige Konjunkturzyklus aus Aufschwung, Boom, Abschwung und Rezession scheint also wegen der üppigen Geldpolitik und der schwellenländisch gepamperten Weltkonjunktur ausgerechnet in der Phase „Aufschwung“ einen Sprung zu haben. Das spricht im Trend aber so was von für Aktien. Und zu fundamental guter Letzt hat auch die Bewertung noch nichts mit Überbewertung, geschweige denn Neuer Markt-Hysterie zu tun. Wo keine Blase ist, kann auch keine platzen.
 
Die Stabilitätshüllen der Anleihen sind gefallen
 
Und nun zu Euch direkt, Ihr lieben Staatsanleihen. Die Renditen für z.B. 10-jährige deutsche Staatsanleihen sind von über neun Prozent im Jahr 1990 bis heute auf unter zwei Prozent gefallen. Können Sie wirklich noch weiter fallen, wenn erstens der Schwelbrand der Inflation heutzutage geldpolitisch nicht nur geduldet, sondern akzeptiert wird - an dieser Stelle sei noch einmal an den kleinen, aber feinen Unterschied zwischen offizieller und tatsächlicher Inflation erinnert - und zweitens die Bonität Deutschlands mit Blick auf weiter drastisch zunehmende Bürgschaften aus frisch, fromm, fröhlich und frei gehebelten Euro-Rettungsschirmen weiter nachlässt?
 
Insofern ist das Kurspotenzial von Bundesschatzbrief und Co. so ausgelutscht wie eine Leckmuschel kurz bevor die Zunge auf Kunststoff trifft. Umgekehrt ist aber auch kein Nachschlag über steigende Renditen zu erwarten. Es würde ganz einfach den Schuldendienst Deutschlands mit seinen über zwei Billionen Staatsschulden überstrapazieren, von den anderen Euro-Ländern ganz zu schweigen.
 
Ihr lieben Staatsanleihen, zieht Euch warm an
 
Meine sehr verehrten Anlegerinnen und Anleger, ich will nicht behaupten, dass Aktien im nächsten Jahrzehnt eine ähnliche Sturm und Drang-Zeit wie von Oktober 1982 bis März 2000 vor sich haben. Natürlich wird es auch Kursschwankungen und Konsolidierungen geben. Aber vor dem oben beschriebenen Hintergrund weiß ich sehr genau, wo ich mein Geld nicht nur aus geld- sondern eben auch aus fundamentalen Gründen anlegen werde. Staatsanleihen als Nominalvermögen habe ich schließlich über Lebensversicherungen und gesetzliche Rentenansprüche mehr als genug. Und die Staatsschuldenkrise mit ihrer Entschuldungsnotwendigkeit - oder sollte ich nicht lieber direkt von Guthabenkrise sprechen - muss ich nicht auch noch zusätzlich mit nach Inflation negativen Renditen ausbaden, für die ich mich mit der Zahlung von Zinsabschlagsteuer auch noch bedanken darf. Es lebe gerade auch aus Risikogründen das verbriefte Sachkapital, die Aktie! Sie hat Steherqualitäten und soll übergewichtet werden.

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