Wolken am blauen Konjunkturhimmel

In China trüben zunehmende Corona-Neuinfektionen die Stimmung bei Dienstleistern und verringerte Fiskalmaßnahmen die der Industrie. Als neuralgischer Punkt der Weltwirtschaft wirkt China damit hemmend auf die deutschen Exportunternehmen. Auch wenn sich die ZEW Konjunkturerwartungen noch auf hohem Niveau befinden, bröckelt dennoch der bislang große Wachstumsoptimismus.

Ein weniger euphorisches Stimmungsbild im Industrie- und Dienstleistungssektor zeigt sich ebenso in den USA.

Insgesamt werden über alle Weltregionen hinweg nachgebende Konjunkturerwartungen ihre bremsende Wirkung auf die Rohstoffpreise nicht verfehlen und damit Inflationsängsten Einhalt gebieten.

Die OPEC+ ist kein Brandbeschleuniger der Rohstoffinflation

Der aktuelle Streit innerhalb der OPEC+ (OPEC und ihre Verbündeten) über die zukünftige Förderpolitik sorgte für Preisspitzen bei Öl. Befürchtungen von 100 US-Dollar je Barrel machen bereits die Runde - aus der Angst heraus, das Ölkartell könnte das derzeit hohe Angebotsdefizit nicht entspannen.

Auf absehbare Zeit ist jedoch mit einem Kompromiss in puncto Förderanhebung der OPEC+ zu rechnen. Ansonsten würde die US-Fracking-Industrie weitere Preisanstiege zur margen- und marktanteiligen Ausweitung ihrer Produktion nutzen. Bereits jetzt ist die Zahl der aktiven Ölbohrungen in Amerika auf ein 15-Monats-Hoch gestiegen.

Vor dem Hintergrund zukünftig wieder sinkender Ölpreise bleibt die Einschätzung einer Inflationsberuhigung bis Jahresende gültig.

Wenn die Fed knurrt, aber nicht beißt

Insgesamt verschafft die inflationsdämpfende Wirkung einer sich normalisierenden Konjunktur und abflachender Rohstoffpreise der Fed Beinfreiheit, um sich mit Restriktionen zurückzuhalten.

Laut ihrem Sitzungsprotokoll hat die Fed zwar begonnen, über zukünftige Drosselungen ihrer Anleihenaufkäufe (Tapering) nachzudenken. Mit den Aussagen, dass die Wirtschaft noch weit vom Ziel der Vollbeschäftigung entfernt sei und keine 70er-Jahre-Inflation drohe, gibt sie den Zinsmärkten aber ein deutliches Entspannungssignal.

Und die Fed kann sich ja auch flexibel zeigen: Um der Überhitzung am US-Hausmarkt entgegenzuwirken, könnte sie zunächst die Käufe der Immobilien-besicherten Anleihen von aktuell 40 Mrd. pro Monat drosseln, um Staatsanleihenkäufe längerfristig fortzuführen.

Überhaupt, je mehr die Fed von Tapering spricht, umso weniger irritiert zeigen sich die Finanzmärkte. Sie realisieren, dass die Liquiditätsausstattung absolut hoch bleibt und die US-Notenbank keine Erschütterung der Anleihenmärkte beabsichtigt. Die sich abflachende US-Zinsstrukturkurve in Amerika verdeutlicht diese Sichtweise. Die Angst vor einer Zinswende hüben wie drüben ist klein. Denn eine ähnliche Entwicklung zeichnet sich ebenso in Europa ab.

Die noch leichtere Leichtigkeit der EZB

Tatsächlich, die Zins-Ängstlichen in Europa wurden angesichts der neuen Strategie der EZB eines Besseren belehrt. Was inoffiziell längst praktiziert wird, ist jetzt auch offiziell. Lautete ihr Inflationsziel bislang „unter, aber nahe zwei Prozent“, wurde jetzt ein symmetrisches Ziel von zwei Prozent beschlossen.

Der Begriff „symmetrisch“ hat es in sich: Nach dem Vorbild der US-Notenbank wird die EZB einen gewissen Zeitraum ein Überschießen der Inflation über zwei Prozent dulden, ohne einzugreifen. Da nicht genauer erläutert wird wie lang dieser Zeitraum sein soll, sichert sich die Notenbank größtmögliche Flexibilität, eine länger anhaltende ultra-lockere Geldpolitik zu betreiben.

Unter Berücksichtigung ihrer Inflationsschätzungen sind insofern Zinssteigerungen vor 2024, wenn überhaupt, ausgeschlossen. Auch einer Drosselung ihrer Anleihenaufkäufe nimmt sie damit Wind aus den Segeln. Ihre Liquiditätsschwemme wird ohnehin von ihrem Klima-Aktionsplan konterkariert. Über den Aufkauf sog „grüner Anleihen“ soll dem Klimaschutz auf die Sprünge geholfen werden. Was für ein Alibi für eine „Weiter-so-Geldpolitik“. Nichts Anderes macht in Amerika die Fed.

Marktlage - Renditeberuhigung: Die zwei Seiten der Medaille

Angesichts dieses geldpolitischen Strategiewechsels, der Inflation nicht mehr die frühere besondere Beachtung schenkt, erhält der Trend fallender Realzinsen international weitere Nahrung. Der Zinssparer zahlt weiter die Zeche der geldpolitischen Druckbetankung. Zinspapiere sind keine Konkurrenz für Vermögenswerte wie Aktien, die als Sachkapital von Inflation profitieren.

Die Kehrseite der Liquiditätshausse ist ein schwächeres fundamentales Umfeld. Die Delta-Variante hat die Infektionszahlen weltweit erneut ansteigen lassen. Großbritannien feiert am 19. Juli im Rahmen eines großen Experiments „Freedom Day“ und lässt alle Corona-Einschränkungen fallen. Grundsätzlich warnte der Präsident der Atlanta-Fed, Raphael Bostic, bereits, dass die Delta-Corona-Mutante zu Verunsicherungen bei Verbrauchern führen könnte. Eine mögliche Konjunkturverlangsamung wegen Vorsichtsmaßnahmen würde die Notenbanken noch mehr auf den Plan rufen: „Even lower for even longer“.

Gleichzeitig signalisieren sinkende Renditen jedoch auch eine geringere Wachstumsdynamik, was der Fundamentalhausse über nachgebende Gewinne Kraft raubt. Typischerweise ist dafür die sich abflachende US-Zinsstrukturkurve der Beleg.

Tatsächlich hat weltweit die Gewinneuphorie ihren Höhepunkt erreicht. Auch hier greift der Normalisierungsprozess.

Ertragsbelastend kommt der steigende Kostendruck aufgrund von Lieferengpässen hinzu, von dem im Rahmen der anstehenden Berichtsaison zum zweiten Quartal insbesondere Unternehmen im Industrie-, Transport- und Automobilsektor sprechen werden.

Doch sollten die Ausblicke nicht unterschätzt werden. Die Knappheit an Vorprodukten wird bereits angegangen. So hat sich die Nutzholzhausse längst wieder normalisiert. Sicher ist der Mangel an Halbleitern noch hartnäckig. Während Asien bereits Entspannung signalisiert, ist Intel noch skeptisch.

Immerhin hat sich die globale wirtschaftspolitische Unsicherheit gemäß Global Economic Policy Uncertainty Index von ihrem Höhepunkt im Mai 2020 deutlich auf den niedrigsten Stand seit Sommer 2018 zurückgebildet. Diese Entspannung hemmt offensichtlich auch die Kursschwankungen von konjunktursensiblen Indices wie dem DAX.

Ohnehin ist der Aktienmarkt breit aufgestellt. Neben konjunkturzyklischen Substanzwerten (Value) existiert die Alternative von Wachstumsaktien (Growth). Diesen kommt durch das Megathema „Industrielle Revolution 4.0“ eine Sonderkonjunktur zugute. Daneben wirken niedrige Renditen positiv auf diese Aktien, weil sie zukünftige Gewinne weniger stark abzinsen. Wachstumsaktien kommen so in den Genuss eines höheren fairen Werts. Beide Argumente erklären ihre zurzeit wieder eingeleitete Outperformance gegenüber Substanzaktien.

Von chinesischen Technologie-Unternehmen, denen Peking zuletzt mit harter Regulierung als Disziplinierung für Börsengänge in den USA - siehe Fahrdienstleister DiDi - die Wachstumsperspektiven entzieht, sollte man sich nicht abschrecken lassen.

Sentiment und Charttechnik DAX - Kein dramatisches Korrekturpotenzial

Das zuletzt gesehene Muster bei deutschen Aktien, wonach Ausbrüche nach oben schnell durch Gewinnmitnahmen ausgebremst und Kursrutscher als Einstiegsgelegenheit wahrgenommen werden, dürfte sich fortsetzen. Dies spricht für eine volatile Seitwärtsbewegung.

In den USA mahnt der hohe Anteil an Optimisten als Kontraindikator allerdings zur Vorsicht vor plötzlichen Gegenbewegungen, die dann auch deutschen Aktien zwischenzeitlich zusetzen würden.

Nachhaltige Aktien-Einbrüche sind aufgrund der nicht endenden Unterstützung der Notenbanken jedoch nicht zu befürchten. Es fehlt die überzeugende Alternative. Besonders positiv sind die Analysten der Bank of America. Sie halten es sogar für möglich, dass bei anhaltender Dynamik 2021 mehr Geld in Aktienfonds fließt als in den vergangenen 20 Jahren zusammen.

Charttechnisch liegen im DAX auf der Unterseite erste Unterstützungen bei 15.309 und 15.275 Punkten. Bei weiteren Rücksetzern stellen 15.195, 14.815 und schließlich 14.393 die nächsten Haltelinien dar. Auf der Oberseite trifft der DAX bei 15.461, 15.475 und 15.500 auf erste Widerstände. Darüber liegen die nächsten Barrieren bei 15.550, 15.700 und 15.800 Punkten.

Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG: https://www.roberthalver.de/Newsletter-Disclaimer-725

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