„Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen“ heißt es im Sprichwort. Das kann ich auch, komme ich doch gerade aus dem Sommerurlaub zurück. Ich schätze es sehr, jedes Jahr Freunde in Amerika zu besuchen. Da sie auch wie ich den Finanzmärkten nahe stehen, sind sie für mich als Kapitalmarktanalyst eine unverfälschte und erquickende Quelle für meine Einschätzung, was in Amerika tatsächlich passiert und was man dort wirklich denkt und fühlt. Aber ebenso das Research „auf der Straße“ bei amerikanischen Otto-Normal-Verbrauchern - Peter, Paul and Mary - trägt zur genaueren Begutachtung amerikanischer Konsumenten bei. Diese Einsichten können die ansonsten bei uns verfügbaren Informationen kaum liefern. Vor diesem Hintergrund sollte ich eigentlich die Kosten meiner Urlaubsreise als Spesenabrechnung bei meinem Arbeitgeber einreichen, oder?

 

USA-Reise als Bildungsurlaub

 

Ich habe mich also als Zitronenpresse betätigt, um zu erfahren What’s up America. Einerseits hat die US-Wirtschaft - so sagt man selbst freizügig - sicher nicht mehr jenes atemberaubende Niveau, dass wir noch aus den guten alten Zeiten von Ronald Reagan, Bill Clinton oder George Bush, Jr. kennen. Andererseits greifen aber die bei uns immer sehr gern vermittelten Bilder von Arbeitslosigkeit, Überverschuldung und verwahrlosten Ghettos viel zu kurz. Selbstverständlich gibt es viele soziale Probleme. Jedoch fiel mir im Gegensatz zum letztjährigen Aufenthalt sehr häufig das Schild „We hire“ an vielen Tankstellen, Restaurants oder Kleidungsgeschäften auf. Jetzt mag man einwenden, dass dies doch nur arbeitsintensive Billigjobs sind. Ja, wenn man z.B. die bienenfleißigen Kellnerinnen in Coffee Shops bei ihrer Arbeit sieht, kommt mir ohne Zweifel immer der frühere Song von Donna Summer „She works hard for her money“ in den Sinn. Hauptsache aber man hat einen Job. Außerdem pflegte mein Großvater immer zu sagen: Wer tagsüber arbeitet, wirft abends keine Fensterscheiben ein. Aber in Amerika geht noch mehr. Der aus der Pionierzeit bekannte Trend „Go West“ erlebt offensichtlich eine Neuauflage im Rahmen der Globalisierung. Meine Freunde berichten mir geradezu euphorisch, dass mittlerweile eine ansehnliche Anzahl von US-Unternehmen, die nach Asien ausgewandert sind, jetzt reumütig zurückkommen. Das tun sie nicht, weil sie an ihre patriotische Pflicht denken oder ihre Hamburger und Donuts vermissen. Sie tun es, weil die Produktion in China mittlerweile teurer als in den USA ist.

 

Wenn Franzosen schon anfangen, Amerika zu lieben muss man zweimal hinschauen

 

Und der Immobilienmarkt als Ausgangspunkt der weltweiten Finanzkrise, die vor kurzem ihren fünften Geburtstag feierte? Einen Grund für Jubelarien gibt es nicht. Aber der Zenit der Krise ist überwunden. So ist das Phänomen, in den früher wirtschaftlich ausgebombten Industriezentren alle Häuser eines Straßenzugs als Zugabe zu erhalten, wenn man bereit war, auch nur eine einzige Immobilie dieser Straße zu kaufen, längst Geschichte. Und in den guten Lagen Amerikas hat sich die Situation ohnehin dramatisch aufgehellt. Das liegt übrigens auch an den Euroländern, die sich momentan wie wild um Onkel Toms Hütten streiten. Immobilienmakler in Florida berichten, dass jede dritte Bestandsimmobilie an wen verkauft wird? An Franzosen, die doch eigentlich ein herzlich kritisches Verhältnis zu Amerika pflegen. Die Angst vor dem neuen Robin Hood in Frankreich, der es den Reichen nehmen und den Armen geben will, scheint irgendwie ein Umdenken nach dem Motto „Bring deine Schäfchen in Sicherheit, bevor der Wolf sie reißt“ bewirkt zu haben.

 

Und wie hat Amerika seine Bodenhaftung wieder gewonnen? Natürlich kam wie immer Hilfe von Mutter Natur: Die Fed ist schließlich auf dem Stabilitätsauge blind, wenn es um Konjunktur und Finanzmärkte geht. Und wenn die Konsequenz eine deutlich höhere Inflation ist? Na und? Schließlich sorgt sie für Vermögenssteigerungseffekte bei sachkapitalistischen Anlageklassen wie Immobilien. Und das Inflation vorhanden ist, kann niemand ernsthaft bezweifeln. Wie immer habe ich auch in diesem Jahr Preisvergleiche gemacht. Schaut man z.B. auf die Preise für Güter des alltäglichen Bedarfs wie amerikanisches Bier - ok, lassen wir die Amerikaner in dem Glauben, dass es Bier ist - Streichkäse, Orangensaft, Brot, Fleisch, Fisch und Gemüse, sind die Preise gegenüber dem Vorjahr zwischen sechs bis 10 Prozent gestiegen. In den USA können diejenigen, die die offizielle Inflation aktuell mit 1,7 Prozent berechnen, mit Nachnamen definitiv nur Pinocchio heißen.

 

Euroland als lame duck

 

Und die Meinung der Amerikaner zu Euroland? Ja, sie hatten einmal richtig Respekt vor einem geeinten Europa, auch in Form des Euros, der der US-Leitwährung kräftig Konkurrenz gemacht hat. Und heute? Die Bezeichnungen, die man mittlerweile für so manchen europäischen Politiker findet, muss des Dichters Höflichkeit an dieser Stelle verschweigen. Ob es neue olympische Disziplin sei, sich wie „crazy donkeys“ gegenseitig zu treten. Das Netteste, ist noch, dass wir alleine ohne die USA nichts, aber auch gar nichts hinbekommen.

 

Die Welt der Amerikaner kann so einfach sein

 

Warum haben wir nicht die EZB sofort zu Beginn der Euro-Krise einschreiten lassen, um das Schlimmste zu verhindern? Man hätte mir doch schon vor Jahren gesagt, dass es dazu keine Alternative gibt. Diese Predigt hat gesessen. Wenn man an dieser Stelle versucht, auch nur ansatzweise für deutsche Preisstabilitätskultur zu werben, habe ich immer den Eindruck, ich müsste beweisen, dass die Erde eine Scheibe ist. Und was soll man auch Amerikanern auf die Frage antworten, was gut an German stability ist, wenn die Wirtschaft in Euroland nicht läuft. Und das hätte unsere EZB ja heute auch endlich kapiert.

 

Geldwertstabilität ist in den USA ebenso beliebt wie Bauchschmerzen. Für Amerikaner ist Geld immer nur Mittel zum Zweck, nicht wie bei uns Zweck. Und da man als Amerikaner immer stark sachkapitalistisch orientiert ist, hat man auch mit Inflation weniger Probleme.

 

Mit einem Augenzwinkern wird mir auch bestätigt, dass es Amerika wohl gelungen ist, von eigenen Problemen abzulenken und die Schuld an der Schuldenkrise uns anzuheften. Diese Frechheit ist der emotionale Höhepunkt meiner USA-Reise. Amerika hält an den richtigen Stellen zusammen. Selbst der aktuelle Präsidentschaftswahlkampf ist vergleichsweise langweilig. Ja mit unserer grandiosen Euro-Politik sind wir in diese Falle auch noch mit Inbrunst getappt.

 

US-Verschuldung verdient olympisches Gold. Na und?

 

Trotz einer Neuverschuldung von 45.000 US-Dollar pro Sekunde, die mehr als olympisches Gold verdient hätte, gilt Amerika heute trotzdem wieder als Everybody’s Darling, ja als der wahrscheinlich sicherste Hafen der Welt. Denn mit Zinsen für amerikanische 10-jährige Staatsanleihen von nur 1,7 Prozent zweifelt offensichtlich niemand an der Zahlungsfähigkeit der USA.

 

Auch der Dollar steigt gegenüber den anderen großen Weltwährungen und Dow Jones & Co. weisen unter den etablierten Aktienmärkten die beste Wertentwicklung auf. Und unter den G7-Ländern wächst nur noch Kanada mehr. Selbst China hat mittlerweile Ladehemmungen.

 

Die Welt wünscht sich, Amerika zu sein

 

Die USA waren, sind und bleiben die Weltmacht. Wie heißt es in der West Side Story von Leonard Bernstein so schön: I like to be in America. Dieses Land geht wohl als letztes unter.

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