Wer hauptsächlich mit Umweltverschmutzung und Ausbeutung der Mitarbeiter auffällt, der bekommt immer stärkeren Gegenwind. Das Verstehen die Firmen sehr schnell und so verwundert es nicht, dass die Cleversten der Branche früh ihre sozialen Engagements in den Fokus nehmen und darüber ebenso selbstbewusst berichten wie über Umsatzsteigerungen.

So hat Gilead Sciences im vergangenen Jahr 400 Millionen USD (Immerhin 5% seines Nettogewinns) für wohltätige Zwecke ausgegeben. Bei näherem Hinsehen müsste man diese Ausgabe jedoch nicht in erster Linie unter „Wohltätige Spende“ verbuchen, sondern unter „Marketing & Vertrieb“.

Gilead ist ein führender Anbieter von Medikamenten zur Behandlung von AIDS und Hepatitis. Da bietet sich natürlich an, dass das Unternehmen seine Wohltätigkeitsaktivitäten auch in diesem Segment sucht. So war Gilead in den letzten Jahren für die Entwicklung und Finanzierung wichtiger Initiativen wie COMPASS, einem eigenen Programm zur Unterstützung von HIV/AIDS-Erkrankten in den südlichen Vereinigten Staaten verantwortlich.

Besonders kümmert sich das Unternehmen mit seinen Aktivitäten darum das Stigma, das mit diesen Erkrankungen einhergeht zu bekämpfen, eine bessere Unterstützung und Versorgung der Kranken zu gewährleisten und sie aus der Isolation und der Zurückgezogenheit zu holen. Zunächst ein hilfreicher Schritt für die Betroffenen. Tatsächlich aber ein mindestens so cleverer Schachzug für das Unternehmen. Denn wer sich zurückgezogen hat, geht nicht zum Arzt.

Wer sich aus Angst vor Stigmatisierung nicht untersuchen lässt, geht nicht zum Arzt. Wer nicht zum Arzt geht, der bekommt keine Medikamente verschrieben. Je mehr es Gilead mit seinen Wohltätigkeitsaktionen gelingt HIV-Erkrankungen gesellschaftsfähig zu machen, desto früher kommen mehr Menschen zum Arzt und der künftige Absatz von Medikamenten steigt.

Je nachdem wie man es sehen möchte, kann man das verurteilen oder begrüßen. Ich möchte es ein wenig rational den eiskalt berechnenden, aber zugleich warmwirkenden Mechanismus des Kapitalismus nennen. Er ist nicht gut oder schlecht, er ist was er ist. Er entsteht aus purem Gewinnstreben, hat aber zugleich Vorteile für alle Beteiligten. Ist er also gut oder schlecht?

Das Gleiche erleben wir im Übrigen gerade beim größten amerikanischen Krankenversicherter United Health Group.

Das Unternehmen kauft Wohnungen und stellt sie kostenlos für Obdachlose zur Verfügung. Auf den ersten Blick – und für die betroffenen außer Frage – eine tolle Aktion.

Aber auch hier ist die Motivation nur oberflächlich altruistisch geprägt. Ein Gesetz in den USA verbietet es Krankenhäusern mit einer Notaufnahme Menschen wegzuschicken, auch wenn sie nicht bezahlen können. Viele Obdachlose werden durch die Nächte unter freiem Himmel erst richtig krank und schleppen sich dann in die Notaufnahmen, wo sie immense Kosten verursachen, die dann bei Unternehmen wie United Health Group in die Bilanz schlagen, die durch die neuen Medicaid/Medicare-Programme diese Menschen versorgen muss und pro Person eine Pauschale Zahlung vom Staat erhält.

Eigentlich ein sehr profitables Geschäft, aber jene, die die höchsten Kosten verursachen sind eben jene Obdachlose mit ihren zahlreichen Krankheiten, die sich aus der Obdachlosigkeit ergeben. Eine einfache Kosten-Nutzen Rechnung hat dem Unternehmen gezeigt, dass es für sie wesentlich billiger kommt für ihre Obdachlosen Wohnungen bereitzustellen, in denen sie nicht krank werden, statt später die Krankheiten zu bezahlen und die wegen der Kälte in die Notaufnahmen geflüchteten zu versorgen.

Natürlich sind 500.000 Obdachlose in den USA nicht auf diese Weise von der Straße zu bekommen, aber jedem Einzelnen, der dadurch ein Dach über dem Kopf bekommt ist massiv geholfen. Eine Win-Win-Situation für Unternehmen und Gesellschaft. Entstanden aus purem Gewinnstreben des Unternehmens, mit direkten Vorteilen für die Betroffenen. Ist es also gut, oder schlecht?

Allemal ist es begrüßenswerter, wenn Unternehmen auf der Suche nach Umsatz und Kostenoptimierung gutes für eine Gesellschaft bewirken, als es mit Maßnahmen zu erreichen, die gesellschaftsschädlich sind, wie wir es von unzähligen Beispielen kennen.


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