Wenn von der ein oder anderen aus der Finanzbranche an das amerikanische Schatzamt zurückgezahlten Million gesprochen wird, und der Jubel selbst den Nachrichtensprechern die Blässe von den Wangen zu pusten droht, dann fällt selten der Name AIG. Das ist schade, denn die Berichte über das Geschäftsgebaren des Pleiteinstitutes lassen auch heute noch Platz für sämtliche Zustände zwischen Staunen und Zornesröte.

Die AIG, in voller Länge bedeutet das American International Group, zeigte ihre ganze Internationalität vor allem hinsichtlich der Flurschäden, die eine Insolvenz in der globalen Bankenlandschaft hinterlassen hätte. Kaum ein großes Institut, das nicht über diese „AAA-Adresse“ ihre Sicherungsgeschäfte in Milliardenhöhe abgeschlossen hätte. Das Prinzip, dem AIG sich im Finanzgeschäft verschrieben hatte, war im Grunde ein normales Versicherungsgeschäft. Ein Versicherungsnehmer, nehmen wir einmal als natürlich rein zufälliges Beispiel die Deutsche Bank, versichert sich bei AIG gegen den Ausfall eines Kreditportfolios. Gerne genommen wurden vor allem strukturierte Produkte, die auf Kreditportfolios oder Hypothekenpools basierten. Nun gründeten sich die Verlustszenarien und damit das gesamte Risikomanagement des Instituts auf teils absurden Vereinfachungen bei der Ermittlung potenzieller Schäden, es sei beispielsweise das Base-Correlation-Model genannt. Bei der Anwendung der Modelle kam des Öfteren einige Heiterkeit auf, so gab es durchaus Marktphasen, in denen man mit diesem Modell für einige Produkte Korrelationswerte von mehr als 1 herausbekam. Eine Interpretationshilfe gab es in diesem Fall verständlicherweise nicht, außer vielleicht der etwas trotzigen Bemerkung einiger ganz hartnäckiger, dass nun wohl der Markt falsch liege. Trotz aller mathematischen Ungereimtheiten wich kaum jemand vom so genannten „Marktstandard“ ab.

Dummerweise hatten sich auf diese Weise sowohl die Versicherung als auch die Versicherten verkalkuliert, jeder auf seine eigene Weise. AIG war nicht in der Lage, Marktwertverluste vertragsgemäß auszugleichen. Ohne diese Zahlungen war natürlich die Versicherungswirkung für die Versicherten dahin. Bei der von AIG versicherten Summe hätten die Kunden aber ob der Zahlungsfähigkeit des Konzerns durchaus schon vor dem Abschluss weiterer Geschäfte skeptisch werden dürfen. So wies der Versicherungskonzern in bereitgestellten Präsentationen sogar auf Klumpenrisiken hin, die allein bei Super Senior Tranchen von ABS CDOs eine Höhe von unfassbaren $500 Mrd. ausmachten. Kann ja nix passieren, klar, deshalb versichern sich die Banken ja auch.

Ist es nicht eine interessante Gedankenwelt? Der Versicherte gibt einen Teil seiner Erträge ab und versichert sich. Der Versicherungskonzern geht davon aus, dass nichts passiert und versichert absurde Beträge. Der Versicherte geht auch davon aus, dass nichts passiert, weil ja sonst die Versicherung pleite ist. Beide verdienen noch an den Produkten und die Risiken lösen sich in Luft auf. Daraufhin freuen sich leitende Angestellte beider Bereiche über dieses Geschäftsmodell und feiern die risikoreduzierende Wirkung des Derivatemarktes. Eine wahrhaft bühnenreife Vorstellung!

Die Geschäftseinheit von AIG, die für die ursprünglich größten Probleme im Konzern sorgte, war AIGFP. Dieser Bereich beschäftigte sich mit strukturierten und einfachen Kreditderivaten sowie Verbriefungen. Der Verlust, den allein diese Einheit produzierte hätte wohl ausgereicht um die Unternehmensgeschichte von AIG innerhalb weniger Monate zu beenden. Dabei feierte man vorher ausgerechnet die AIGFP als Wachstumstreiber – irgendwie ist es immer das gleiche Schema.

Es ist schon erstaunlich, wie viele Lorbeeren die Einheit verdiente - sicher waren es nicht nur Lorbeeren - während sie in 2006 lediglich rund 7% des gesamten operativen Verdienstes auf Konzernebene ausmachte. Schon eine Leistung, wenn man an die Größenordnung der Verluste in den Folgejahren denkt.

Wie kam es so rasch zu einer solchen Zuspitzung? Das Prozedere bei den Versicherungen am Kreditmarkt war vereinfacht folgendermaßen: Eine Bank versichert sich beispielsweise im einfachsten Fall per CDS bei der AIG gegen eine Pleite von General Electric. Sobald die Situation von GE sich verschlechterte, also schon vor einer Pleite, musste AIG aus Sicherheitsgründen vertraglich geregelte Zahlungen an die Bank leisten (collateral postings). Diese erreichten auf Grund der zunehmenden Schwierigkeiten vieler Unternehmen eine Höhe, die für den Konzern schon bei den normalen Absicherungsgeschäften nicht mehr zu leisten war – Onkel Sam machte bekanntermaßen die Taschen auf, um den Kollaps aufzuhalten und die Kosten zu sozialisieren.

Die oben stehende Grafik zeigt das Volumen der an die Counterparts zu leistenden Zahlungen allein im Bereich der CDOs. Im dritten Quartal 2008 beliefen sich diese auf mehr als $30 Mrd. Wäre nun AIG in die selbst verschuldete Pleite geschliddert, hätten viele versicherte Banken das Nachsehen gehabt. Angesichts der nicht sonderlich überraschenden Dimensionen der AIG Bücher muss man auch hier sagen: selbst schuld! Die Stützung von AIG hatte und hat weiterhin direkte stützende Wirkung für die internationale Bankenszene. Der ein oder andere erhält im Grunde seinen Bonus direkt aus der amerikanischen Steuerschatulle. Echte Leistungsträger kann man da nur sagen, ganz prima gemacht, eine beeindruckende Kostprobe des Stückes „jeder ist sich selbst der nächste“. Zu den Empfängern der Zahlungen aus collateral postings gehörten seinerzeit unter anderem die Deutsche Bank und HSBC, aber auch viele andere.

Die CDS und CDO Bestände des Versicherers haben auch auf Grund des allgemeinen Fokus der Medien auf diese Assetklassen die meiste Beachtung gefunden. Viel interessanter ist aber das „regulatory capital book“, dass die zunehmende Entfernung der Finanz- von der Realwirtschaft schön offenlegt. Vereinfacht gesagt haben vor allem europäische Banken bei der französischen AIG Tochter Banque AIG ihr Spiel zur Eigenkapitalentlastung getrieben. Einmal angenommen, eine Bank hat ein Kreditbuch von $5 Mrd. und für diese Papiere wäre eine regulatorisches Eigenkapital (gemäß Basel Richtlinien) von $400 Mio. vorzuweisen. Nun konnte die Bank die zuerst eintretenden Verluste in diesem Portfolio, z.B. das erste Prozent der Ausfälle, in voller Höhe bei AIG absichern. Hieraus resultierte eine massive Eigenkapitalentlastung, die die Banken für weiteres Neugeschäft nutzen konnte. Bei einer Halbierung des nötigen Eigenkapitals, hätten die $400 Mio. plötzlich zur Vergabe von $10 Mrd. ausgereicht.

Dieses Neugeschäft konnte man dann nach dem gleichen Muster ebenfalls an diesem Spiel teilnehmen lassen. Selbst ein Finanzlaie erkennt hier auf Anhieb ein stetiges Streben hin zu einem zentralisierten Ereignisrisiko. Wenn die ersten Kreditverluste bei riesigen abgesicherten Volumina nicht mehr verteilt im Bankensystem sondern bei nur wenigen Versicherern auf einen Schlag einschlagen, dann kann man sich an einer Hand abzählen, was selbst im Fall einer seichten Kreditkrise los ist. Anstatt der vielgepriesenen Streuung von Risiken wurden Klumpen geschaffen, und das sogar ziemlich offensichtlich. Wenn Sie wieder einmal jemanden sehen, der sich für eine erzielte Eigenkapitalrendite auf die Schulter klopft, denken Sie einfach an derartige Methoden.

Und wie viel Staat steckt derzeit noch in AIG? Ende Mai 2010 wurden über das Programm TARP und die New Yorker Fed zusammen $132 Mrd. gemeldet. Über das TARP Programm hält der Staat derzeit $49,1 Mrd. an Vorzugsaktien, dazu kommen die Ansprüche aus nicht gezahlten Dividenden und bereits jetzt satte $7,59 Mrd. an Abschreibungen aus den im April 2009 bereitgestellten Mitteln in Höhe von $30 Mrd. Soviel übrigens zum Thema, es handele sich nur um „temporäre Marktwertverluste“. Das ist bei AIG genauso falsch wie bei den Bilanzen zahlreicher Großbanken.

Es ist schon beeindruckend, wie die Protagonisten auf der Bankenbühne ihre schier unzerbrechliche Selbstsicherheit beibehalten und auf ihre Leistungen in der Krise hinweisen, obwohl sie bei einer marktwirtschaftlichen Lösung sowohl den Job als auch die Ruhegelder und sonstige Bonbons schon lange los wären. Die nicht temporären sondern permanenten Verluste in Portfolios wie der AIG zeigen, dass der Bankensektor kein Liquiditätsproblem sondern ein Eigenkapitalproblem vor sich herschob und nach wie vor schiebt. Das zeigt auch der peinliche Tanz um so genannte Stresstests, die die wirklichen Risiken ausblenden und leider immer noch der Ablenkung und nicht der Information dienen. Das gilt auf beiden Seiten des Atlantiks. Im Fall einer erneuten Zuspitzung der Situation werden die selbst ernannten Leistungsträger aber wohl wieder auf die Leistung hinweisen. Wie gehabt wird es dann heißen: „Leistung? Wo kann ich die beantragen?“

Beitrag senden

Drucken mit Kommentaren?



href="javascript:print();"