Liebe Leserinnen und Leser,

warum ist eigentlich dieser Rentenmarktkommentar so wichtig?

Ganz einfach: Weil er sich thematisch mit dem Grundproblem der letzten Jahre beschäftigt, nämlich den überbordenden Schulden. Und die Schulden werden von den Staaten weitgehend über kurz- bis langlaufende („Bonds“) Anleihen finanziert. Da sich das Schuldenkarussell immer schneller dreht, wird der Bondmarkt und damit das Verständnis um die Rentenmärkte immer wichtiger.

Und hier erkennen Sie das doppelte Dilemma, in welchem sich das Staatsschuldenproblem befindet:

  1. Politiker, die sparen, werden nicht gewählt: Daher tendieren Politiker dazu, immer neue Schulden aufzunehmen. Aufgrund wechselnder Mehrheiten müssen immer wieder Bedürfnisse anderer Wählerschichten befriedigt werden. Einmal gewährte Unterstützungen oder Subventionen werden wegen der Gefahr des Wählerverlusts praktisch nie gekürzt oder gestrichen. Anleihen werden nur mit neu aufgenommenen Anleihen „getilgt“.  Aus diesem Grund steigt die Staatsverschuldung – in Deutschland trotz Rekord-Steuereinnahmen – immer mehr an.
  2. Das Zinseszinssystem: Wenn Sie Zinsen erhalten, können Sie diese gleich wieder verzinst anlegen. Dies bedarf auf der Gegenseite der Fähigkeit der Schuldner, immer höhere Gewinne zu erwirtschaften, um neben der Kapitalrückzahlung die Zinsen sowie die Zinsen auf die Zinsen (im 1. Jahr) sowie die Zinsen auf die Zinsen auf die Zinsen (im 2. Jahr) usw. erwirtschaften zu können. Bei öffentlichen Schuldnern (Staaten etc.) bedeutet das, dass die Steuereinnahmen immer mehr steigen müssen. Höhere Steuereinnahmen gehen wiederum zu Lasten der Privaten (Steuerbelastung ) und der Unternehmen, die ja selbst wiederum höhere Zinsaufwände erwirtschaften müssen. Hier kollidieren also die Interessen sehr stark, denn alle – Menschen, Staat, Unternehmen – sind dem Zinseszinssystem und damit dem Druck unterworfen, von Jahr zu Jahr Wachstum zu generieren. Ohne Wachstum funktioniert nämlich das Zinseszinssystem nicht – außer die Schuldzinsen lägen unterhalb der Inflationsrate.  Die Gleichung lautet: Schuldzins – Inflation = reales Wirtschaftswachstum, damit die Schuldenquote nicht steigt.

Das Zinseszinssystem ist also ein „exponentielles System“, welches somit exponentielles Wirtschaftswachstum erfordert. Ob dies auf einem Planeten mit endlichen Ressourcen endlos möglich ist?

Sie erkennen also genau: Das gesamte Wirtschafts- und Finanzsystem ist extrem eng mit einander verwoben. Gerät ein Bereich aus den Fugen, hat das direkte Auswirkungen auf andere Bereiche. Und Sie erkennen damit auch sehr genau, dass das aufgrund seiner großen Dimensionen sehr brüchig gewordene System derzeit nur zusammengehalten werden kann, weil (offizielle) Inflation und Zinsen nahe dem Nullpunkt stehen. Gerät einer der für das Zinseszinssystem relevanten Parameter -Wirtschaftswachstum, Zinssätze und Inflation – aus dem Ruder, droht das Kartenhaus - welches derzeit nur noch mit künstlichem und von den Staaten (bzw. ihren Zentralbanken) selbst gekauftem, neu geschöpften Geld zusammengehalten wird -zusammenzubrechen.

Nichts hiervon an den Märkten zu spüren.So nach dem Motto: Stell Dir vor, es ist Krise und keiner geht hin. Was sollen die Investoren auch machen? Irgendwo muss das Geld hin. In ausgewählte Aktien, die die Chance versprechen, ein wie oben beschriebenes Wachstum zu ermöglichen.

Oder in ausgewählte Anleihen, die - im Falle des dauerhaften Systembestands - die Chance versprechen, ein wie oben beschriebenes Wachstum zu ermöglichen bzw. höhere Zinsen als die Inflationsrate abzuwerfen. Warum wohl liefen gerade die Anleihen der Euro-Peripheriestaaten so heftig in den letzten Jahren? Die Großinvestoren hatten ganz einfach die Karte gespielt, voll mit diesen PIIGS-Bonds ins Risiko zu gehen. Variante 1: Das System bricht zusammen, dann spielt´s eh keine Rolle, was man hatte. Variante 2: Das System wird irgendwie zusammengehalten, dann versprachen die hochverzinslichen PIIGS-Bonds besonders hohe Kursgewinne. Variante 2 wurde bislang Realität.

Das war natürlich eine heiße Spekulation, denn sehen wir uns die oben genannte Gleichung auch für die PIIGS-Staaten noch einmal an: Schuldzins – Inflation = reales Wirtschaftswachstum, damit die Schuldenquote nicht steigt. Wie lief´s in den letzten Jahren in den Peripheriestaaten? Schuldzins hoch, Inflation relativ gering, Wirtschaftswachstum negativ. Hier klafft also eine Riesenlücke, die zu einer weiteren höheren Verschuldung führen musste. Die Spekulation war – und wird anscheinend immer noch von den Profis gespielt – aber, dass diese Lücke durch andere geschlossen wird: EZB, IWF und die anderen EU-Staaten.

Auch in der abgelaufenen Berichtsperiode wurde diese Karte so weiter gespielt. PIIGS-Bonds lagen fest, die der besseren Bonitäten eher etwas leichter:

Die Zinssätze und Kurse sind unverbindliche Indikationen zum Zeitpunkt der Erstellung des

Rentenmarktkommentars für Staatsanleihen mit 10 Jahren Restlaufzeit

Dies ist also alles pure Spekulation, widerspricht komplett der in sich logischen Theorie und wird an den Märkte bis zum Exzess gespielt. Sobald die schwachen Euro-Länder auf sich selbst gestellt wären, würde das System kollabieren, denn dann müßten sie wieder höhere Zinssätze bezahlen und die Defizite (die aus mangelndem oder gar negativem Wachstum herrühren)  müßten durch hohe Inflationsraten kompensiert werden. So übrigens wie in der Vor-Eurozeit in Italien, Spanien, Portugal und Griechenland üblich. Hohe Inflationsraten in einigen Ländern, niedrige in anderen, alles in der gleichen Währung: Das würde und könnte nicht funktionieren.

Eine dermaßen starke Zerreißprobe kann eventuell mal vorübergehend, auf keinen Fall aber auf Dauer ausgehalten werden. Und wenn ich mich – wie oben ausgeführt – an die frühere Form der Staatsfinanzierung in Italien, Spanien, Portugal und Griechenland – bei zweistelligen Zinssätzen und hohen Inflationsraten – erinnere, habe ich so meine Zweifel, dass diese Zerreißprobe über viele Jahre ausgehalten werden kann.

Die erste mittelfristige Anleihe des „Rettungsschirms“ ESM wurde vergangene Woche wie erwartet stark nachgefragt (Volumen 7 Mrd.€) , denn sie rentierte mit 1,29%für 5 Jahre fast ein halbes Prozent höher als die gleich lang laufende deutsche Bundesobligation, die mit einer Rendite von 0,81% (nach 1,00% im Vormonat) um 4 Mrd. € aufgestockt wurde. Bei beiden Bonds war übrigens die Nachfrage sehr hoch: Der ESM hätte das Dreifache, der Bund das Doppelte absetzen können.

Nächste Woche dann die hochspekulative Rarität: Der Bund beabsichtigt am 23.Oktober, wieder mal eine dreißigjährige Anleihe herauszugeben. Der Kupon soll bei 2,50%, Laufzeit bis zum 4.7.2044 (also kurz vor meinem 80. Geburtstag) und das Volumen bei 2 Mrd. € liegen.

Die Erhöhung der klassischen zehnjährigen Bundesanleihe ist für den 30. Oktober geplant.

A propos „zehnjährige Bundesanleihe“: Der Bund-Future schwankt derzeit um die 140, wobei das Momentum recht niedrig ist und – bedingt durch die schwachen Kurse der vergangenen Wochen -  der Kurs des zehnjährigen Zinsbarometers sich inzwischen oberhalb der 38-Tage-Linie befindet. Vorsichtiger Optimismus macht sich breit. Was sollen die Kapitalanleger auch machen?

Abschließend noch ein Wort zu den USA:

„Die USA sind schuldenfrei.“ Diese Nachricht konnte Anfang des Jahres 1835 verkündet werden. Das war das letzte Mal…

Großes Eigenlob mal an dieser Stelle: Sowohl der Name der/des Nachfolgers/-in von US-Notenbank Bermanke, Janet Yellen (s. RMK 25/2013 „Ein klares Signal dafür war gewesen, dass sie auf dem G7-Finanzministertreffen in Aylesbury/England Bernanke vertreten hatte.“), als auch die Erhöhung der US-Schuldenobergrenze (s. RMK 39/2013 „Es wäre sehr überraschend, wenn nicht einfach die Schuldenobergrenze angehoben würde.“) wurden von mir richtig vorhergesagt.

Die Schuldengrenze wurde  zunächst bis zum 7. Februar 2014 erhöht und der US-Haushalt ist bis zum 15. Januar 2014 durchfinanziert. Noch vor Weihnachten muss ein Sonderausschuss Vorschläge für den Haushalt erarbeitet haben. Nicht viel Zeit. Nach der offenen Niederlage der Tea-Party-Fraktion dürften diese umso gereizter sein und noch weniger kompromißbereit geworden sein… Wie wäre es denn mal mit einer langfristigen Haushaltsplanung???

Und der nächste Zinsentscheid, also die nächste Sitzung der US-Notenbank FED, findet am 30. Oktober statt. Kann dann schon, mitten im Haushaltsstreit, mit dem „Tapering“ - also mit der Reduzierung des Schuldenaufkaufs durch die FED von derzeit 85 Mrd. $ pro Monat - begonnen werden? Ich weiß nicht…

Alles unklar, alle Krisen ungelöst, aber alle Märkte sind derzeit am Steigen, so nach  dem Motto: „Stell Dir vor, es ist Krise und keiner geht hin.“

Eine glückliche Woche wünscht Ihnen

Steffen Scholz

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