Robert Halver leitet die Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank. Mit Wertpapieranalyse und Anlagestrategien beschäftigt er sich seit Abschluss seines betriebswirtschaftlichen Studiums 1990. Robert Halver verfügt über langjährige Erfahrung als Kapitalmarkt- und Börsenkommentator und ist durch regelmäßige Medienauftritte bei Fernseh- und Radiostationen, auf Fachveranstaltungen und Anlegermessen sowie durch Fachpublikationen präsent.
Nach der Finanzkrise 2008 wurden die Banken im Euro-Raum radikal reguliert, was deutsche Institute mit international hohen Marktanteilsverlusten bezahlten. Umso ärgerlicher ist es, dass einige schwarze Banken-Schafe in Amerika und in der Schweiz die systemrelevanteste und global meistvernetzte Branche erneut dem Risiko einer Vertrauenskrise aussetzen. Und inwiefern sollen Notenbanken noch für Preisstabilität sorgen, wenn sie die (Banken-)Welt retten müssen?
Um Zweifeln am Preisstabilitätsauftrag und an der Robustheit des Bankensystems in der Eurozone entgegenzuwirken, hat die EZB ihre Zinsen erneut um weitere 0,5 Prozentpunkte erhöht. Doch ist ihr bewusst, dass nach den bisher bereits unternommenen Zinserhöhungsschritten jede weitere Verschärfung Risiken birgt. Es ist zu erwarten, dass nach einer Verlangsamung des Tempos und des Umfangs weiterer Zinsanhebungen der Erhöhungszyklus im Sommer beendet ist.
Die Notenbanker stecken in einer gewaltigen Zwickmühle. Eigentlich müssen sie den Preisdruck, der Steherqualitäten hat, mit knallharter Zinspolitik und Liquiditätsentzug bekämpfen. Damit erhöht sich jedoch auch das Konjunkturrisiko und die Gefahr einer neuen Finanzkrise weltweit. Tatsächlich haben die vergangenen Zinsrestriktionen bereits Schleifspuren nicht nur bei kleineren US-Banken hinterlassen. Für welche Seite wird sich die Geldpolitik wohl entscheiden?
Die seit Jahresbeginn wieder beschleunigten Inflationsraten haben die US-Notenbank offensichtlich veranlasst, beim Kampf um Preisstabilität nicht nachzulassen. Auch die EZB kann aufgrund einer hartnäckigen Kerninflation, die auch Zweitrundeneffekte berücksichtigt, ihre Glaubwürdigkeit nicht aufs Spiel setzen. Diesem Ansinnen wirken jedoch die real existierenden Probleme der Konjunktur und Überschuldung entgegen, die eine klassisch restriktive Geldpolitik wie in den 80er Jahren nicht mehr zulassen.
Zinsen und Aktien sind Konkurrenten. Kein Wunder, je höher der risikolose Zins, umso schwerer haben es die zwar chancen-, aber auch schwankungsreicheren Aktien. In diesem Zusammenhang ist Zinspapieren seit 2022 ein grandioses Comeback zu Lasten der Aktien gelungen. Auf den ersten Blick scheinen Zinsen ihre alte Stärke zurückzugewinnen und die Allmacht der Aktien zu brechen. Aber inwiefern hält diese Einschätzung auch dem zweiten stand?
Für eine eiskalte Rezession ist es zu warm: Sinkende Energiepreise und das Wiedererwachen Chinas sorgen für Tauwetter in der tiefgekühlten deutschen Exportwirtschaft. Jedoch leitet die aufgehellte Konjunkturstimmung auch den Zinsängsten wieder Wasser auf ihre Mühlen.
Nirgendwo sonst prallen staats- und marktwirtschaftliche Ansichten so frontal aufeinander wie beim Steuerthema. Aktuell fordern die einen, über mehr Steuern mehr soziale Gerechtigkeit zu finanzieren. Für die anderen sind Steuererhöhungen Gift für die Konjunktur. Die Vergangenheit zeigt, dass immer höhere Steuern den Wohlstand nicht steigern, sondern sogar schrumpfen. Denn sie bremsen das Leistungsprinzip, vor allem beim Staat.
Auch an der Börse gibt es Stereotype. Zum Beispiel flüchtet bei Krisen das Kapital aus den Emerging Markets in die sicheren westlichen Anlagehäfen. Und seit 2021 setzten eine immer restriktivere Fed, ein so stärkerer US-Dollar und umgekehrt schwache Währungen der Schwellenländer deren Aktien erneut zu. Erschwerend kamen der Ukraine-Krieg sowie Chinas Wirtschaftsschließung hinzu. Doch ist Börse auch keine Einbahnstraße. Mittlerweile sind Entspannungen in Asien und Südamerika unverkennbar.
Börsen bezahlen die Zukunft und ihre vielversprechenden Megathemen. So war es schon bei Internet, Social Media oder Krypto. Kein Wunder, regelmäßig in der Vergangenheit zündete jede neue Anlageidee hoffnungstrunken alle Kursraketen. Ebenso regelmäßig erfolgte am Ende aber der Kater der Kurs-Ernüchterung bis sich visionärer Anspruch und fundamentale Wirklichkeit - auch wegen Regulierungsangst - trafen. Ergeht es dem Thema KI ähnlich? Und wie sollten sich die Anleger verhalten?
China war für Deutschlands Wirtschaft lange das, was für die Made der Speck ist. Doch da sich die Kalorienzufuhr aus China auch aus geopolitischen Gründen immer mehr reduziert, wird uns die extreme Abhängigkeit vom chinesischen Schlaraffenland erst bewusst. Für alternative Ernährungsquellen steht Amerika leider nicht mehr zur Verfügung. In Deutschland droht wirtschaftlich Schmalhans zum neuen Küchenmeister zu werden.
Auf den anhaltenden Preisdruck reagiert die EZB mit einer weiteren Zinserhöhung um 0,5 Prozentpunkte. Und um keine Zweifel an ihrem Preisstabilitätsauftrag aufkommen zu lassen, sendet sie weitere deutliche Zinserhöhungssignale. Bei näherem Hinsehen sind jedoch Hintertürchen zu erblicken. Auf der Zinserhöhungskurve ist die Fed der EZB weit voraus, so dass ihr Ende der Zinswende aufgrund nachgebenden US-Inflationsdrucks und immer dunklerer Konjunkturwolken nicht mehr lange auf sich warten lässt.
Corona, Ukraine-Krieg und Inflation haben der deutschen Wirtschaft schwer zugesetzt. Trotzdem kann die Politik ihre Hände nicht in Unschuld waschen. Denn auch ohne Krisen leidet Deutschland nach Einschätzung renommierter Ökonomen unter chronischer Wirtschaftsschwäche. Die seit Jahren stagnierende Produktivität spricht Bände. Wann hören die uns Regierenden endlich den Wirtschafts-Wecker klingeln und legen ihre teilweise weltfremde, geradezu kindische Sicht der Dinge ab?