Wer braucht schon eine laufende Wirtschaft, wenn es doch Konjunkturhilfen gibt! So oder so ähnlich könnte derzeit das globale Credo lauten. Die schon sklavische Abhängigkeit vom Blick auf die Entwicklung der Aktienindizes lenkt von den realen Problemen ab, scheint aber derart unterhaltsam zu sein, dass sich viele Menschen fragen, warum man sich überhaupt noch mit der Realität befassen sollte. Ob es nur noch eine handvoll Atari Computer sind, die sich die Anteilsscheine gegenseitig verkaufen, ist nur von untergeordnetem Interesse.

Nun sind die realen Lasten vielleicht schlicht zu unangenehm, als das man sie anpacken möchte. Mögen der S&P 500 oder der Dax in den kommenden Monaten steigen oder fallen, auf die Lebenssituation der Menschen hat dies vergleichsweise wenig Einfluss. Der ein oder andere Milliardär hat dann mehr oder weniger zu verschenken, seisdrum. Den Erfolg oder Misserfolg einer Volkswirtschaft und die Entwicklung der Gesellschaft an Gewinnen von Firmen zu messen, deren Umsatz-und Produktionsanteil im Ausland stetig zunimmt ist schon eine interessante Form der Urteilsfindung. Das bedeutet nicht, dass ein solches Unternehmen nicht wirtschaftlich gesund ist, es stellt sich nur die Frage, an welchem Standort die Früchte anfallen.

Zurück zur Realität. Vor allem in den Vereinigten Staaten hält nun, nach den eigentlich nicht sonderlich überrachenden sehr schwachen Daten zum Arbeitsmarkt, eine gewisse Hektik Einzug. Nun, es laufe zwar gut, aber nicht so gut, dass man die Stabilisierungsmaßnahmen zurückführen könne.

Gegebenenfalls müsse man auch neue Maßnahmen ins Auge fassen. Ach, ist das nicht herrlich? Wie im deutschsprachigen Raum ist eigentlich doch alles gut aber doch so schwach. Wir fassen einmal kurz diesen wunderbaren globalen Aufschwung zusammen – ohne jegliche Garantie auf Vollständigkeit, denn dies würde den Rahmen sprengen.

  • Riesige Konjunkturpakete von Alaska bis zur vermeintlichen Lokomotive China, darunter bizarre Industriehilfen wie z.B.
  • Abwrackprämien und Finanzierung von leerstehenden Malls und Büroimmobilien in China
  • EU: Zentralbankkäufe von Staatsanleihen, derern Emittenten sich nicht mehr eigenständig refinanzieren könnten. Stichwort: Wunschzins.
  • USA: Fed Käufe von Staatsanleihen der USA zwecks Drückung des Renditeniveaus am langen Ende – bei lächerlichen 2,8% auf zenhnjährigen Treasuries eigentlich unfassbar.
  • USA: Fed Käufe von mehr als $1000 Mrd. an Papieren der kollabierten Hypothekenfinanzierer Freddie Mac und Fannie Mae, die unlängst wieder insgesamt $10 Mrd. Quartalsverlust vorzuweisen hatten.
  • USA:FDIC Einlagensicherungsfonds hat keine Reserven sondern ein Defizit, ein interessantes System.
  • UK: Zentralbankkäufe von UK Staatsanleihen, desolate Industrie, desolater Haushalt, aber außer Terrorparanoia keine Fantasie.
  • Global: Bankenregulierung findet de facto nicht statt, Basel 3 aufgeschoben, solide Eigenkapitalausstattung? Das war gestern.
  • Global: Massive Liquiditätsbereitstellung für Banken (z.B. Spanien), ist doch super, keine Probleme eine freie Wohnung zu finden!
  • Global: Dollar Refinanzierungsproblematik der Eurobanken besteht weiterhin, Euro Kapriolen und $500 Mrd. Dollar Swap Linien der Zentralbanken sollten Zusammenbruch verhindern.

Und so weiter und so weiter. Diese Maßnahmen kann man natürlich als Ausdruck einer stabilen Volkswirtschaft, eines gesunden Bankensystems und einer strukturellen Gesundung einstufen. Man darf sich allerdings nicht wundern, wenn man daraufhin in eine weiße Jacke mit ganz langen Ärmeln gesteckt wird.

In der realen Wirtschaft lassen sich viele Dinge noch mit vergleichsweise einfachen Mitteln messen. Wenn keiner meine Waren kauft, dann reduziere ich die Einkäufe. Wird weniger nachgefragt, dann wird auch weniger transportiert. Gerade dieser Punkt wird oft vernachlässigt, obwohl es immer wieder erstaunliche Informationen gibt. So war im vergangenen Jahr zu lesen, das Niveau der transportierten Güter in der deutschen Binnenschifffahrt läge auf dem Niveau der späten 60er Jahre.

Aktuell verringern die großen und kleineren global agierenden Reedereien die Fahrtgeschwindigkeit ihrer Schiffe, um Kosten zu sparen und – haha - die Umwelt zu schonen. Teilweise seien sogar Anpassungen an den Schiffsdieseln notwendig, damit sie bei der „super slow“ Fahrt keinen Schaden nehmen. Die Geschwindigkeit wird dabei teils auf Werte reduziert, die offenbar schon schnittige Segler des 19. Jahrhunderts erreichten, so berichten britische Gazetten.

 

The Guardian, 07/2010)

A combination of the recession and growing awareness in the shipping industry about climate change emissions encouraged many ship owners to adopt "slow steaming" to save fuel two years ago. This lowered speeds from the standard 25 knots to 20 knots, but many major companies have now taken this a stage further by adopting "super-slow steaming" at speeds of 12 knots (about 14mph).

Travel times between the US and China, or between Australia and Europe, are now comparable to those of the great age of sail in the 19th century. American clippers reached 14 to 17 knots in the 1850s, with the fastest recording speeds of 22 knots or more.

Um die Verblödung komplett zu machen, wird das Ganze nun oft spektakulär als eine Art Umweltoffensive verkauft. Der selbsternannte Wetterprinz und Verlierer der vorletzten US Präsidentschaftswahl hätte sicher seine Freude daran, falls er gerade nichts per Schiffsfracht bestellt hat. Nun ist eine Einsparung von Ressourcen durchaus begrüßenswert, wie auch immer sie zustande kommt. Allerdings darf man ruhig sagen, worum es wirklich geht. Die Flotten sind alles andere als ausgelastet, und bei der Schiffsfracht scheint im Mittel derzeit keine allzu große Hektik zu herrschen. Jedenfalls sind die Unterschiede im Vergleich zu den Zuständen in der Zeit vor 2008 enorm. Zu blauen Umweltengeln sind die Betreiber also nicht ohne Not mutiert.

Auch der bodenständige Verkehr per Eisenbahn hat augenscheinlich Probleme, die Aufwärtskorrektur nach dem 2008er Kollaps zu verdauen. Die von ASI/Transmatch für die USA bereitgestellten Werte fielen zuletzt in der Tat wie vom Blitz getroffen.

So schnell kann es gehen. Nachdem der Effekt der Schockstarre zu einer Beschleunigung des Einbruchs geführt hatte, sorgten unter anderem

Nachhol- und Lagereffekte für die Erholung, die bis vor einigen Monaten anhielt. Diese Aufwärtskorrektur hat ein rasches Ende gefunden, man befindet sich wieder auf dem besten Wege zur Schrumpfung. In Bezug auf das Jahr 2008 hat die Schrumpfung ohnehin über die bisherige Dauer der Krise Bestand gehabt.

Dabei kommen, wie es bei Datenreihen, die einen heftigen Schlag nach Süden aushalten mussten und die dann eine vermeintlich starke Erholung auf das Parkett legen, zu einigen interessanten Wertepaaren. So hat laut ASI der Umfang der kfZ Transporte auf Jahresbasis im Vergleich zu 2009 um 35% zugelegt. Klingt doch toll. Leider liegt der Wert auf Grund des totalen Kollapses in 2009 immer noch um ebenso beeindruckende 30% tiefer als in 2008.

Das Transportwesen lässt sich nicht via Zentralbankzaubereien zurück auf das Erfolgsgleis stellen. Daher ist wohl – wie gewohnt – mit einer versuchten Stützung über die bekannten Mittel zu erwarten. Billiges Geld und schuldenfinanzierte Konjunkturpakete werden wohl auch weiterhin die bevorzugten Mittel sein. Diese sind beides, ein Zeichen der Einfallslosigkeit und ein Eingeständnis des mangelnden Willens oder der fehlenden Fähigkeit zur Änderung. Bis dahin heißt es weiterhin: „Es fährt ein Zug nach nirgendwo.“

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