Abermillionen von institutionellen und privaten Anlegern rund um den Globus warten tagtäglich gespannt auf die Veröffentlichung aktueller Informationen. Auf Zinsentscheidungen der Notenbanken, Arbeitslosenzahlen, Quartalsberichte von Aktiengesellschaften, Inflationsraten, geopolitischen Entwicklungen etc. etc… Die Informationsflut reißt sie in ihren Strudel, und die Meisten lassen sich bequem von der Hauptströmung bzw. dem „Mainstream“ treiben. Werfen wir einen Blick auf die Medienpraxis und den Umgang mit Informationen.

 

Wir befinden uns einer epochalen Übergangsphase in die Informationsgesellschaft. Die Information als Rohstoff für unsere Meinungsbildung ist allgegenwärtig. Mit dem mobilen Internet können wir im Grunde überall und jederzeit online gehen. Zudem verbreiten sich die Kommunikationstechnologien weltweit in rasantem Tempo. Die Medienkonsumenten sind ständig auf Zack, was die allerletzten Neuigkeiten angeht. Fernsehsender und Nachrichten-Websites befinden sich im permanenten Wettlauf um die nächsten "Breaking News". Wo bleibt in dieser Kombination zwischen Informationsüberfluss und Geschwindigkeit die gründliche (!) Recherche seitens der Journalisten? In diesem Zusammenhang sind vor allem die meinungsführenden Medien, die sich gerne als Bollwerke des kritischen Nachrichtenwesens sehen, kläglich gescheitert. Ein Paradebeispiel dafür ist die Berichterstattung der New York Times über den letzten Irak-Krieg. In einem beispiellos selbstkritischen Artikel haben sie 2004 ihre Versäumnisse dargelegt und sich bei ihren Lesern entschuldigt. Man habe sich auf Informanten gestützt, deren Verlässlichkeit zweifelhaft gewesen sei. Die haltlosen Informationen über die Existenz von Massenvernichtungswaffen und die Verbindung der irakischen Regierung zu internationalen Terroristen sei nicht sorgfältig genug überprüft worden. Die traditionsreiche New Yorker Zeitung wurde Opfer der gezielten Desinformationspolitik durch Geheimdienste, gewisse Regierungsmitglieder, Konzernmogule sowie ihrer eigenen Fahrlässigkeit. Dabei sollten gerade sie dafür zuständig sein, die Informationen auf ihren Wahrheitsgehalt kritisch zu hinterfragen und die Quellen auf ihre Glaubwürdigkeit hin zu prüfen, bevor sie sie als Nachrichten verpacken. Solch laxe Arbeitsweisen sind nicht nur in der politischen Presse zu beobachten, sondern auch im Finanzjournalismus. Die Massenmedien werden zum Instrumentarium verschiedener Interessensgruppen umfunktioniert.

 

Börsennotierte Unternehmen und Beteiligungsgesellschaften beschäftigen Kommunikations-Spezialisten, die die Firma nach außen hin in ein möglichst gutes Licht rücken sollen. Die zuständigen Organe übernehmen die Öffentlichkeitsarbeit (PR - Public Relations) oder pflegen die Beziehungen zu Investoren (IR - Investor Relations). Die Verästelungen und Wechselbeziehungen zwischen diesen Abteilungen, den Medien sowie den Finanzanalysten sind sehr ausgeprägt. Das führt mit sich, dass zwischen den Gruppen Abhängigkeiten entstehen. Beispielsweise macht die Marketingabteilung einer Zeitschrift (natürlich durch die Blume…) klar, dass sie gute Publicity für ihr Unternehmen wünschen; ansonsten würden sie sich als Werbekunde zurückziehen und keine Anzeigen mehr schalten. Der Finanzanalyst gerät in diesem Spielchen immer mehr in die Rolle des Boten zwischen den Abteilungen der  Unternehmenskommunikation und den Medien. Die Wirtschaftsjournalisten greifen diese "Analysen" auf und verbreiten sie durch ihre jeweiligen Medienkanäle weiter. Analysten und Journalisten bleiben in punkto kritischer Überprüfung der "PR-Informationen" ziemlich nachlässig. Die Spin-Doktoren als Akteure im Hintergrund bleiben inkognito. Eine günstige Ausgangslage, um (Des-)Informationen unter dem Deckmantel des unabhängigen Journalismus zum eigenen Vorteil zu lancieren.

 

Nichtsdestotrotz gibt es auch Stimmen kritischer Publizisten, die auf Diskrepanzen hinweisen. Ein Hauptgrund, warum diese weitgehend ungehört bleiben, liegt mitunter am so genannten „Information Sources Effect“. Dieser „Informationsquellen-Effekt“ besagt stark vereinfacht gesagt, dass mehrere Informationen letztendlich aus der gleichen Quelle stammen. Je mehr die Menge dieser (gleichgeschalteten) Informationen ansteigt, desto mehr wird beim Leser die Illusion erweckt, dass es sich um ein umfangreich und gut recherchiertes Thema handeln muss – auch wenn die Informationen nicht der Wahrheit entsprechen… Warnende Stimmen, die Missstände beleuchten, gehen in der Informationslawine der Mainstream-Euphemismen unter.

 

Die Behavioral Finance beschäftigt sich unter anderem intensiv mit typischen, psychologisch bedingten Anlegerfehlern bei der Informationswahrnehmung und –verarbeitung. Auf der Grundlage erforschter Effekte, wie z.B. dem oben genannten Informationsquellen-Effekt, lassen sich aus den Erkenntnissen dieser Wissenschaftsdisziplin Handelsstrategien im Umgang mit Informationen ableiten. Die Quintessenz daraus, wie Informationen schlechter Qualität oder potentiellen Desinformationen entgegengewirkt werden kann, lässt sich folgendermaßen komprimieren:

 

Unsere Erwartungshaltung beeinflusst die Wahrnehmung. Das führt dazu, dass Gegenargumente vernachlässigt oder verdrängt werden. Dies wird in der Psychologie als „Selektive Wahrnehmung“ bezeichnet. Der Anleger sollte gezielt nach Gegenargumenten suchen. Spielen Sie selbst den „advocatus diaboli“. Berücksichtigen Sie bewusst und gezielt Argumente, die in der momentanen Stimmungslage nicht in das Mainstream-Denken passen.

 

Um die Komplexität zu reduzieren, werden leichter verfügbare Informationen eher berücksichtigt, als schwieriger zu beschaffende. Reagieren Sie nicht auf jede verfügbare Nachricht – vor allem nicht bei hoher Volatilität und Hektik an den Märkten. Halten Sie sich das ganzheitliche Bild und gegebenenfalls ihre ursprünglichen Beweggründe für bestimmte getroffene Entscheidungen vor Augen.

 

Gurus, Analysten, Experten oder Rating-Agenturen sind sich ihres Meinungsgewichtes völlig bewusst. Ihr Gesagtes ist wohlüberlegt, und sie verfolgen in der Regel bestimmte Absichten damit. Als ein besonders dreistes Beispiel sei der Skandal um die Analysten bei Merrill Lynch genannt, deren kriminelle Praktiken im Jahre 2002 aufgedeckt wurden. Sie haben bestimmte Aktien in höchsten Tönen gelobt. Doch intern haben sie dieselben Papiere mit „Junk“ (Schrott) und noch weit unfeineren Ausdrücken tituliert. Nachdem die Anleger den Empfehlungen der Analysten gefolgt sind und die Kurse in die Höhe getrieben haben, hat Merrill Lynch - bzw. deren Investmentbanker - die gleichen Wertpapiere verkauft und einen Reibach damit gemacht. Die Anleger hingegen sind auf dem Schrott sitzen geblieben… Dieser Vorfall hat auch eindrucksvoll gezeigt, wie engmaschig die gesetzeswidrigen Seilschaften zwischen Analysten und Investmentbankern gestrickt sein können. Die Bezahlung der Analysten war sogar an die Arbeit der Investmentbanker bzw. deren Erfolg gebunden. Es wurde ein durchstrukturiertes Betrugssystem innerhalb des Hauses aufgebaut, das die Öffentlichkeit bzw. die Anleger geflissentlich zum eigenen Vorteil ausgenutzt hat.

Und was ist mit der Investorenlegende Warren Buffet? Verfolgt der Anteilseigner der Rating-Agentur Moody’s vielleicht nicht auch eigene Interessen, wenn die Bonitätsstufen von Aktiengesellschaften oder gar Ländern herauf- oder heruntergesetzt werden? Apropos Rating-Agenturen: Ihre Fehlbewertungen der hochgradig risikobehafteten Wertpapiere, die das höchste Rating bekommen haben, treffen zweifelsohne eine Mitschuld an der Finanzkrise. Hat ihr Verständnis für die komplexen Strukturen der Finanzinstrumente nicht ausgereicht? Oder haben sie sich in einem Interessenkonflikt befunden und ein Auge zugedrückt, weil sie für die Finanzinstitute, deren Produkte sie (falsch) bewertet haben, nebenbei noch als Berater tätig waren? Wie immer die Antwort auf diese Fragen auch lauten mag: Sicher ist, dass die Rating-Agenturen als Informationsdienstleister versagt haben. Dieses Exempel versinnbildlicht gewissermaßen die flächendeckende Desinformation. Sie suggerieren uns die vermeintliche Integrität ihrer Institutionen und die Zuverlässigkeit ihrer wissenschaftlich-„fundierten“ Berechnungsmodelle, um Risiken zu bewerten. Doch sie haben uns das Gegenteil bewiesen…

 

Einflussreiche Finanz- und Wirtschaftsbosse, Politiker, Forschungsinstitutionen sowie die Medien bilden ein Konglomerat – und sie verfolgen eigene Ziele! Die Finanz- und Machtinteressen dieser Gruppen spielen eine elementare Rolle in der Organisation des Nachrichtenwesens. Wer den Fokus auf die Analyse ihrer Motive richtet, anstatt ihnen wie die Lemminge hinterher zu rennen, kann Vieles zwischen den Zeilen herauslesen.

 

Aus der Verknüpfung und Vernetzung von Informationen entsteht Wissen. Folglich hängt die Qualität unseres Wissens davon ab, in welchem Maße unser Informationsfundament von Desinformation durchdrungen ist. Dieser Punkt ist natürlich nicht nur für den kritischen Börsenanleger von Belang, der sich kein X für ein U vormachen lassen will. Die Medien gelten als die vierte Gewalt im Staate und haben mit ihrer Arbeit faktisch für das Gemeinwohl einzutreten. Unter diesem Gesichtspunkt ist es besonders wichtig, das System der Informations- und Nachrichtenpolitik der Medien zu durchschauen. Schließlich lebt die Demokratie nicht zuletzt vom mündigen Bürger, der sich seines eigenen Verstandes bedient.

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