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Das US-Projekt „Greater Middle East“

Die sich ausweitenden Operationen zum Regimewechsel, von Tunesien zum Sudan, vom Jemen bis Ägypten und Syrien, sollte man als Teil der langfristigen Strategie von Pentagon und State Department für die gesamte islamische Welt von Kabul in Afghanistan bis Rabat in Marokko betrachten.

Die groben Umrisse der Strategie Washingtons, die zum Teil auf den erfolgreichen Operationen zum Regimewechsel in den ehemaligen kommunistischen Mitgliedsstaaten des Warschauer Pakts in Osteuropa beruhen, sind von dem früheren Pentagon-Berater und Neokonservativen Richard Perle und dem späteren Bush-Mitarbeiter Douglas Feith in einem Dokument erarbeitet worden, das die beiden 1996 für die damals neu angetretene israelische Likud-Regierung von Benjamin Netanjahu verfasst haben.

Der Titel der vorgeschlagenen Politik lautete: „Clean Break: A New Strategy for Securing the Realm“ (zu deutsch etwa: Ein Schlussstrich: eine neue Strategie zur Sicherung des Gebiets“). Es war das erste Dokument einer Washingtoner Denkfabrik, in dem offen zum Sturz Saddam Husseins im Irak und zu einer aggressiven militärischen Haltung den Palästinensern gegenüber aufgerufen wurde, sowie zum Schlag gegen Syrien und syrische Ziele im Libanon.[i] Angeblich hat die Regierung Netanjahu den Bericht von Perle und Feith damals als viel zu riskant betrachtet und in der Versenkung verschwinden lassen.

Zum Zeitpunkt der Ereignisse vom 11. September 2001 und der Rückkehr der Kriegsfalken und Erz-Neokonservativen um Perle nach Washington verlieh die Regierung Bush einer erweiterten Fassung des Perle-Feith-Dokuments höchste Priorität, man taufte es Greater Middle East Project. Feith wurde unter Bush zum Staatssekretär ins Verteidigungsministerium ernannt.

Hinter der Fassade, zu demokratischen Reformen autokratischer Regimes in der gesamten Reform aufzurufen, war und ist Greater Middle East eine Blaupause zur Ausweitung der militärischen Kontrolle der USA und zur Öffnung der dirigistischen Volkswirtschaften im gesamten Staatenraum von Marokko bis zu den Grenzen Chinas und Russlands.

Im Mai 2009, noch bevor in Bagdad die Trümmer der amerikanischen Bombenangriffe beseitigt waren, verkündete George W. Bush – ein Präsident, der nicht gerade als großer Freund der Demokratie in Erinnerung ist – seine Politik, in der gesamten Region die „Demokratie auszuweiten“, dies bedeute, wie er ausdrücklich betonte, „innerhalb eines Jahrzehnts die Errichtung einer Freihandelszone USA-Nahost.“[ii]

Vor dem G8-Gipfel auf Sea Island in Georgia im Juni 2004 veröffentlichte Washington ein Arbeitspapier „Partnerschaft G8-Greater Middle East“. Unter dem Abschnitt „Wirtschaftliche Chancen“ fand sich der dramatische Aufruf Washingtons zu „wirtschaftlicher Transformation in einer ähnlichen Größenordnung wie in den ehemals kommunistischen Ländern Zentral- und Osteuropas“.

Der Schlüssel dazu liege, so hieß es in dem Papier, in der Stärkung des Privatsektors als Weg zu Wohlstand und Demokratie. Irreführenderweise wurde behauptet, das Mittel dazu sei das Wundermittel Mikrofinanz, bei der, so war zu lesen, „schon 100 Millionen Dollar jährlich über einen Zeitraum von fünf Jahren 1,2 Millionen Unternehmer (davon 750.000 Frauen) mit Krediten über jeweils 400 Dollar aus der Armut führen.“[iii]

Der Plan der USA sah die Übernahme des regionalen Bankwesens und der finanziellen Belange durch neue Institutionen vor, die dem äußeren Anschein nach international waren, jedoch, wie Weltbank und IWF, de facto von Washington kontrolliert wurden, darunter auch die Welthandelsorganisation WTO. Das Ziel von Washingtons Langzeitprojekt bestand darin, das Öl, die Öleinkünfte und die gesamte Volkswirtschaft umfassend zu kontrollieren, von Marokko bis an die Grenze Chinas und des gesamten dazwischen liegenden Raums. Es ist ein gleichermaßen kühnes wie verzweifeltes Projekt.

Als das an die G8 gerichtete US-Papier im Jahr 2004 von der arabischen Zeitung Al Hayat an die Öffentlichkeit gebracht wurde, regte sich sofort der Widerstand in der gesamten Region, der Protest richtete sich vor allem gegen die amerikanische Definition des Greater Middle East. Wie es in einem Artikel der französischen Zeitschrift Le Monde Diplomatique vom April 2004 hieß, erstreckt sich der Bereich „neben den arabischen Ländern auf Afghanistan, den Iran, Pakistan, die Türkei und Israel – Länder, deren einzige Gemeinsamkeit darin besteht, dass sie in der Zone liegen, wo die Feindschaft gegen die USA am größten, der islamische Fundamentalismus in seiner anti-westlichen Form am stärksten verbreitet ist.“[iv] Es sei betont, dass die NED auch in Israel mit einer Reihe von Programmen tätig ist.

Bezeichnenderweise war es 2004 der vehemente Widerstand zweier führender Vertreter des Nahen Ostens – Hosni Mubarak in Ägypten und des Königs von Saudi-Arabien – der die ideologischen Eiferer der Bush-Regierung zwang, das Projekt Greater Middle East einstweilen hintanzustellen.

 

Wird es Erfolg haben?

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist nicht klar, wie die jüngste US-geführte Destabilisierung in der gesamten islamischen Welt letztendlich ausgehen wird. Noch ist nicht erkennbar, was für Washington und die Verfechter einer von den USA dominierten Neuen Weltordnung dabei herauskommen wird. Ihre Absicht ist eindeutig die Schaffung eines Greater Middle East unter strikter US-Aufsicht als wesentliches Kontrollinstrument des Kapitalflusses und der Energielieferungen an China, Russland und eine Europäische Union, die eines Tages auf die Idee kommen könnten, sich aus dieser amerikanischen Ordnung zu befreien.

Es hätte potenziell auch weitreichende Folgen für Israel. Ein US-Kommentator formulierte es so: „Das israelische Kalkül ist derzeit, dass wenn ,Mubarak fällt‘ (was gewöhnlich ausgedrückt wird in der Form von ,Wenn Amerika Mubarak fallen lässt‘), dann ist Ägypten dahin. Wenn Tunesien fällt (gleiche Formulierung wie oben), dann fallen auch Marokko und Algerien. Die Türkei ist bereits dahin (was sich die Israelis selbst zuzuschreiben haben); Syrien ebenso (zum Teil deshalb, weil Israel dem Land den Zugang zum Wasser des Galiläa-Sees sperren wollte). Gaza ist an die Hamas gefallen, die Palästinenserbehörde könnte schon bald fallen (an die Hamas?). Damit sitzt Israel in den Trümmern einer Politik der militärischen Beherrschung der Region.“[v]

Washingtons Strategie der „kreativen Zerstörung“ sorgt offensichtlich nicht nur in der islamischen Welt, sondern dem Vernehmen nach auch in Tel Aviv für schlaflose Nächte, genauso wie mittlerweile auch in Peking, Moskau und in ganz Zentralasien.

 

© F. William Engdahl

info(at)engdahl.oilgeopolitics(dot)net



[i]Richard Perle, Douglas Feith et al, "A Clean Break: A New Strategy for Securing the Realm", 1996, Washington und Tel Aviv, The Institute for Advanced Strategic and Political Studies.

 

[ii]George W. Bush, "Remarks by the President in Commencement Address at the University of South Carolina", White House, 9. Mai 2003.

 

[iii]Gilbert Achcar, "Fantasy of a Region that Doesn’t Exist: Greater Middle East, the US plan",Le Monde Diplomatique, 4. April 2004.

 

[iv] Ebenda.

 

 

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