Es scheint so, als habe das Sommerloch den Aktienmärkten die nötige Verschnaufpause von der angespannten Lage verschafft, um deutlich nach oben zu klettern. In dieser Woche steht der DAX auf dem höchsten Stand seit März, das Jahreshoch ist in Sichtweite. Das Plus seit Jahresanfang beträgt fast zwanzig Prozent. In den USA hat der S&P 500 den höchsten Stand seit Anfang 2008 erreicht.

 

Dabei weiß jeder Anleger, der mit offenen Augen durch die Welt geht, dass die Krise bestenfalls eine kleine Pause macht. Allerdings scheint sich auch in Europa mittlerweile das breit zu machen, was die Amerikaner früher den „Greenspan-Put“ und seit einigen Jahren den „Bernanke-Put“ nennen: der Glaube an die Allmacht der Notenbank und daran, dass sie bei einer Verschärfung der Krise noch genügend Pfeile im Köcher habe, um die Situation an den Finanzmärkten und damit auch bei den Aktienkursen zu entschärfen. Der Begriff bezieht sich darauf, dass die Zentralbanker den Anlegern damit eine gute Verkaufsmöglichkeit verschaffen, quasi eine kostenlose Put-Option.

 

Seit dem 25. Juli gibt es nun in Europa also den „Draghi-Put“. Damals hat der Chef der EZB in fast schon jugendlichem Leichtsinn versprochen, „alles zu tun, um den Euro zu retten“. Seitdem haben die Aktienmärkte deutlich zugelegt, in Deutschland beispielsweise um mehr als zehn Prozent. Ich bezweifle, dass Mario Draghi sich der Wirkung seiner Worte zu diesem Zeitpunkt bewusst war. Die letzte EZB-Sitzung hat jedenfalls gezeigt, dass die Bereitschaft der EZB „alles zu tun“ geringer ausgeprägt und mit mehr „wenn“ und „aber“ versehen ist, als viele Marktteilnehmer zunächst vermutet haben.

 

Deswegen ist es erstaunlich, wie zielstrebig sich die Märkte auch in den vergangenen Wochen nach oben bewegt haben. Nun machen sich aber gleich mehrere Warnzeichen bemerkbar. Zum einen kommen wir in die saisonal schwierigste Phase des Jahres. Der September ist der traditionell schwächste Börsenmonat. Auch wenn man sich, wie das der Börsenbrief Wellenreiter Invest in seiner aktuellen Ausgabe macht, lediglich die US-Wahljahre oder die Jahre, die auf einer 2 enden, anschaut, erkennt man, dass die Phase zwischen Ende August und Anfang Oktober in der Vergangenheit meist Kursverluste gebracht hat.

 

Nun lassen sich Aktienkurse sicher nicht im Kalender ablesen, das wäre zu einfach. Aber in diesem Jahr kommt noch etwas dazu. Bei den Anlegern scheint sich eine bemerkenswerte Sorglosigkeit breitzumachen. In den USA ist der Volatilitätsindex VIX auf den tiefsten Stand seit 2007 gefallen, also vor dem Ausbruch der Immobilienkrise. Sein deutsches Gegenstück, der VDAX, dümpelt ebenfalls nahe seiner Tiefstände. Die erwartete Volatilität wird an den Märkten auch als Angstindikator bezeichnet. Je niedriger sie notiert, desto entspannter sind die Investoren.

 

Die Börsenpsychologen von Sentix stellen dazu passend in ihren jüngsten Umfragen einen sehr hohen Wert in ihrem „Overconfidence Index“ für deutsche und US-Aktien fest – auch das spricht für eine ausgeprägte Sorglosigkeit. So etwas geht normalerweise nicht lange gut. Der Markt wird vermutlich nicht ins Bodenlose fallen, dazu fehlen die Anlagealternativen und auch die Notenbanken stehen Gewehr bei Fuß. Aber die Zeichen mehren sich, dass wir wieder einmal einen turbulenten Spätsommer bekommen könnten.

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