Für zahlreiche US Bürger ist Wall Street eine ferne Fiktion und die Politik eine Art fremdsprachiger Radiosender. Die Gehälter einiger Protagonisten klingen in ihren Ohren derart hoch, dass man meinen könnte, es handele sich um Zahlungen in einer anderen Währung. Eine fremde Welt, denn zig Millionen Menschen können sich lediglich die Frage stellen, wo sie einen vollen Teller herbekommen. Die zunehmende Anzahl der Empfänger von Beihilfen zur täglichen Ernährung zeichnet ein trauriges Bild der alltägliche Nöte von Millionen Bürgern. Daran können auch die Stützungsprogramme nur wenig ändern, von denen es gibt eine ganze Menge gibt.

Sehr bekannt ist das ehemals Food Stamp Assistance genannte Program SNAP. Das neue Kürzel steht für Supplemental Nutrition Assistance Program. Geändert wurde lediglich der Name, es geht weiterhin um Lebensmittelmarken. Mehr als 40 Millionen Menschen beziehen diese Tickets mittlerweile, Tendenz steigend. Wer aber diesen Wert alleine als Maßstab für die Zahl der Menschen heranzieht, die sich nicht aus dem laufenden Einkommen oder aus anderen finanziellen Transferleistungen heraus ernähren können, der erhält ein ins Positive verzerrtes Bild. Die Lage ist komplizierter und – leider – schlechter als dies die Zahl der SNAP Teilnehmer allein nahe legt.

Es gibt zahlreiche andere Programme zur Ernährungsunterstützung, so dass die Zahlen für SNAP nur einen Teil der Wahrheit zeigen. So gibt es zum Beispiel die Initiative Feeding America, die früher unter dem Namen America’s Second Harvest bekannt war. Sie stellt das größte Ernährungsunterstützungsprogramm der USA dar. Die gemeinnützige Organisation stellt Lebensmittel, Suppenküchen aber auch Notunterkünfte bereit. Und der Bedarf ist riesig.

Ein weiteres Programm auf bundesstaatlicher Ebene ist das vergleichsweise unbekannte aber weit verbreitete Government Mass Distribution Program, auch TEFAP genannt. Viele der von der FA betreute Menschen greifen auch auf diese Hilfe zu.

Es handelt sich um eine auf bundesstaatlicher Ebene angesiedelte Initiative. Unter dem Motto eat right – be bright beschreibt man etwa im Staate Utah das Programm wie folgt:

TEFAP provides food assistance to needy Americans through the distribution of USDA commodities. Under TEFAP, commodity foods are made available by the U.S. Department of Agriculture to states for distribution to households for use in preparing meals for home consumption, or to organizations that prepare and provide meals for needy people. Foods are distributed free, but recipients of food for home use must meet program eligibility criteria set by the states.

Wie so manch andere politische Initiative war der ursprüngliche Sinn und Zweck bei der Schaffung des Programms ein anderer als er es jetzt ist. Das 1981 ins Leben gerufene Temporary Emergency Food Assistance Program, das im Jahre 1990 das „Temporary“ im offiziellen Titel aber nicht im Kürzel verlor, wurde zum Abbau von Überschussproduktionen in der Landwirtschaft an den Start gebracht. Wie wir es auch aus Europa kennen, waren Subventionsprogramme und andere ökonomische Fehlleitungen für gigantische Lebensmittelberge verantwortlich. Diese wurden nicht vernichtet – sehr lobenswert – sondern in das genannte Programm gegeben. In den Jahren 1984 und 1985 erreichten die Überschüsse ihren Zenit, sie beliefen sich auf rund $1 Mrd. jährlich, was damals wie heute eine ganze Menge ist. 1988 waren dann auf Grund von Änderungen in der Agrarpolitik keine Überschüsse mehr vorhanden, so dass die Bundesstaaten dazu übergingen die zu verteilenden Lebensmittel zu kaufen. Kurz darauf ging der Initiative das „Temporary“ flöten.

Eine Umfrage von Feeding America unter ihren Klienten ergab, dass mehr als 27% der Nutzer der FA Hilfen auch auf dieses Programm zugreifen. Schaut man sich in den Statistiken der einzelnen Programme um und nimmt den letzten Report von Feeding America zur Hand, so ist die Menge an Programmen in der Tat überraschend. Auch die Nutzung verschiedener Angebote für Familien mit Kindern oder finanziell schwach gestellten Senioren ist überaus hoch. Angesichts der Änderung der Einkommen in den letzten 30 Jahren und im Hinblick auf die Ausweitung der Zahl der Menschen, die so gerade eben über die Runden kommen, ist die zunehmende Notwendigkeit dieser existenziellen Hilfen ebenso bitter wie logisch.

Die Entwicklungen in den Vereinigten Staaten sind traurig. Aber auch in Europa gibt es angesichts der massiven Krisen der nationalen Arbeitsmärkte, wie etwa in Spanien mit seiner Jugendarbeitslosigkeit von mehr als 40%, ein sehr hohes Potenzial für ähnliche Entwicklungen. Die volle Härte, die die Menschen in den Vereinigten Staaten trifft ist auch ein Ausdruck der zwiegespaltenen Arbeitswelt. Auch in der schärfsten Jobkrise erhalten staatliche und private Angestellt teils absurde Gehaltserhöhungen während andere vom Lohnzettel verschwinden. Die bereits weit offene Gehaltsschere öffnet sich mit zunehmender Dynamik. Wir zeigen hier aus gegebenem Anlass noch einmal die Aufstellung zur historischen Gehaltsentwicklung in den USA aus unserem vorangegangenen Artikel.

Was die Tabelle auf einen Blick zeigt, ist nichts anderes als sozialer Sprengstoff in Reinform. Die zahlreichen Versuche, solche Entwicklungen über vermeintlich herausragende „Leistungen“ von oft ebenso vermeintlichen „Leistungsträgern“ wegzureden sind angesichts der hochbezahlten Fehlleistungen der vergangenen Jahre allenfalls lächerlich. Das beschränkt sich übrigens nicht auf die Finanzbranche. In Deutschland muss man ja nur an Expansionen deutscher Firmen in die USA denken, um das ein oder andere Milliardengrab zu finden.

Vielleicht könnte die Einsicht helfen, dass bei ernstzunehmenden sozialen Unruhen die Zahl der Gewinner in der Regel verschwindend gering ist. Der Mittelstand, oder diejenigen, die sich dafür halten, gehören in der Regel ebenso wenig dazu, wie die gefühlte Oberschicht, die mit ausgefahrenen Ellenbogen den Weg im Hamsterrad freizuschaufeln versucht und gar nicht merkt, wie sie Tag für Tag ihre Lebensmünzen für die nächste Gehaltsstufe opfert. Leider hat der Konsum die Eigenschaft über vieles, auch existenzielles, hinwegzutäuschen – zumindest für eine gewisse Zeit.

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