Das Arrangement mit einem Leben ohne Nahrung

 

Nahrung ist eine dieser Kleinigkeiten, ohne die das Leben wirklich schwierig wird. Wir gehen allesamt fest davon aus, dass unser lokaler Supermarkt uns immer alles, was wir wünschen, bereitstellen wird - im Überfluss und zu Preisen, die sich jeder oder zumindest fast jeder leisten kann. Jedoch ist ein Dasein ohne adäquate Nahrungsmittel zunehmend die Perspektive, mit der sich Hunderte von Millionen - wenn nicht sogar Milliarden - von uns in den kommenden Jahren auseinandersetzen müssen.

 

Eigentlich ist das wirklich paradox! Unser Planet hat alles, was wir brauchen, um ausgewogene und natürliche Nahrungsmittel herzustellen, mit denen wir die gesamte Weltbevölkerung um ein Vielfaches satt bekämen. Das ist die Sachlage - trotz der verheerenden Auswirkungen industrialisierter Landwirtschaft in den letzten Jahrzehnten.

Wie kann es nun aber sein, dass uns einigen Prognosen nach eine Hungersnot globalen Ausmaßes für mindestens ein ganzes Jahrzehnt bevorsteht? Die Antwort darauf findet sich bei diversen Mächten beziehungsweise Interessen, welche sich dazu entschlossen haben, die Knappheit von Nahrungsmitteln künstlich herbeizuführen. Dieses Problem setzt sich aus mehreren entscheidenden Dimensionen zusammen. 

 

 

Die Abschaffung der Notfall-Reserven

Die Fähigkeit, die globalen Preise essentieller Nahrungsmittel auf Knopfdruck zu manipulieren - fast vollkommen losgelöst vom tatsächlichen physischen Angebot und der Nachfrage - ist noch nicht sonderlich lange gegeben. Sie wird jedoch auch genauso wenig verstanden.

 

Bis zur Rezession Mitte der 70er-Jahre gab es überhaupt keinen einheitlichen Weltmarktpreis für Weizen, der als Maßstab gilt für sämtliche Nahrungsmittel und Nahrungsmittelprodukte. Die Getreidepreise wurden lokal ermittelt, in Tausenden von Märkten, wo Käufer und Verkäufer zusammenkamen. Der Beginn der Globalisierung veränderte dies auf radikale Weise hin zum Schlechteren, da nun der kleine Anteil international gehandelten Weizens den weltweiten Preis für die gesamte Masse des angebauten Getreides bestimmt.

Seit Menschengedenken beherrschte beinahe jede Hochkultur das Handwerk, aufgrund der Gefahr von Kriegen, Dürren und Hungersnöten eine Reserve an Getreide anzulegen - bis kurz vor unsere moderne Gegenwart. Sofern das Getreide adäquat gelagert ist, kann es ohne Probleme bis zu sieben Jahre halten und dadurch für Notfälle zur Verfügung stehen. Heute ist das anders.

 

Nach dem Zweiten Weltkrieg schuf Washington das GATT-Abkommen (General Agreement on Tariffs and Trade), welches den freien Handel zwischen den großen Industrienationen voranbringen sollte, vor allem innerhalb der Europäischen Gemeinschaft. Während der anfänglichen Verhandlungen wurde das Thema Landwirtschaft auf Bestehen der Europäer bewusst ausgelassen. Vor allem die Franzosen legten großen Wert auf die politische Verteidigung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) und den Schutz der Agrarwirtschaft Europas. Darüber wurde nicht verhandelt.

Mit Beginn der 80er-Jahre löste sich der Europäische Widerstand gegenüber Washingtons Freihandels-Agenda Schritt für Schritt auf.

Nachdem dann mehr als sieben Jahre lang ein Kuhhandel mit viel Lobby-Arbeit und ausgeübtem Druck stattfand, schloss sich die Europäische Union während der Uruguay-Runde 1993 letztlich dem GATT-Abkommen an. Dies setzte eine gewaltige Reduzierung der protektiven Maßnahmen im Agrarbereich voraus. Im Mittelpunkt des Deals der Uruguay-Runde stand die Einwilligung zu folgender folgenreicher Veränderung: Nationale Getreidereserven unter staatlicher Verwaltung mussten auslaufen.

 

Mit diesem neuen GATT-Abkommen, zusätzlich fundiert durch die Schaffung einer gewissen Welthandelsorganisation, wurden Getreidereserven von dort an vom „Freien Markt” geregelt, also von privaten Unternehmen. Zu den größten unter ihnen zählten die US-Amerikanischen Großkonzerne des Getreide-Kartells, die Kolosse des Amerikanischen Agri-Business. Es wurde damit argumentiert, dass diese Unternehmen in der Lage sein würden, jegliche Ausfälle effizienter kompensieren zu können und damit den Staaten die Kosten sparten. ADM (Archer Daniels Midland), Continental Grain, Bunge und natürlich der primus inter pares, Cargill - die weltweit größte Handelsgesellschaft für Getreide und Agri-Business - gingen als die großen Sieger aus der ganzen Prozedur hervor. 

Die Ergebnisse der GATT-Gespräche zum Thema Agrarwirtschaft müssen den Leuten bei Cargill sehr gut in die Karten gespielt haben. Für Insider war dies zumindest keine Überraschung. Der frühere Cargill-Manager Dan Amstutz war eine Schlüsselfigur, als es in Uruguay darum ging, die agrarwirtschaftlichen Details des GATT auszuhandeln. 1)

 

Der Prozess, die Getreidereserven der Haupt-Anbauländer abzubauen, dauerte eine Weile, aber mit dem Erlassen des Farm Bill anno 1996 hatten die USA ihre Notfall-Reserven praktisch abgeschafft. Die EU folgte kurze Zeit später. Unter all den landwirtschaftlich relevanten Ländern der Erde besitzen heute nur noch Indien und China eine strategisches Programm zu national geführten Getreidereserven.

 

Wird in Teil 2/4 fortgesetzt...

 

Fußnoten:

 

1) F. William Engdahl, Seeds of Destruction: The Hidden Agenda of Genetic Manipulation, www.globalresearch.ca, Montreal, 2007, pp. 216-219.

 

2) Sophia Murphy, Strategic Grain Reserves in an Era of Volatility, Institute for Agriculture and Trade Policy, Minneapolis, October 2009.

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