Der Tourismus ist für das Land von existentieller Bedeutung. Es steht außer Frage, dass die des vergangenen Jahres Touristenzahlen von rund dreißig Millionen in keiner Weise erreicht werden können. Viele Griechen arbeiten im oder mittelbar für den Tourismus. Je nach Ausgang der diesjährigen, von der CoVid19 Pandemie überschatteten Saison, wird sich im Herbst beim Kassensturz zeigen, wie schwer die griechische Wirtschaft geschädigt wurde.

Übertriebene Regierungsparolen - Kritik muss erlaubt sein

Die Regierung gibt als Ziel zehn Millionen Touristen für das laufende Jahr an. Im gesamten Bekanntenkreis, auch unter den im Tourismus Beschäftigten, fand ich niemanden, der dieses Ziel als realistisch ansah.

Ebenso wie jeder Bürger Griechenlands mindestens einen Emigranten, einen Arbeitslosen und einen Hellenen mit Flüchtlingshintergrund in der Familie hat, kennt jeder im Bekanntenkreis mindestens einen vom Tourismus abhängigen Arbeitnehmer oder Unternehmer. Viele, so auch ich, haben zumindest eine Saison mal im Tourismus gearbeitet. „Das Wort Problem, das darfst Du gegenüber Touristen nie aussprechen. Das verunsichert sie, verdirbt die Urlaubsfreude und wirft auch ein schlechtes Licht auf Dich“, sagte mir meine damalige Chefin beim Briefing vor der Saison. Und doch sehe ich für dieses Jahr viele Probleme im Zusammenhand mit dem griechischen Tourismus.

Darf man als mit Griechenland verbundener Journalist Kritik an der aktuellen Tourismuspolitik üben? Wiegt das Wohl der Leser, sowie der übrigen Bürger und die Verpflichtung zur Wahrheit mehr als pekuniäre Interessen? Vor dieser Frage stehen zahlreiche Chronisten des Landes. Es ist eine Frage des Gewissens und des eigenen Kenntnisstands.

Blick nach Italien schürt Angst von den Einheimischen

Die Wissenschaft warnt vor der Infektionsgefahr. Die Bilder aus der Lombardei und Mailand sind noch frisch. „Wie konnte so etwas in Italien geschehen?“, fragte ich meinen Apotheker, der selbst in Italien studiert hat und auch seinen Sohn aus Überzeugung zum Studium nach bella Italia schickte. Das italienische Gesundheitssystem ist dem griechischen in allen Belangen überlegen. Was lief schief?

Mein Apotheker fürchtet, dass es die Menge der Reisenden war, die Mailand und Umgebung wegen der zahlreichen Messen kurz vor dem Ausbruch der Pandemie aufsuchten. Das bislang von hohen Infektions- und Todeszahlen verschonte Griechenland hatte in der fraglichen Zeit kaum Fremdenverkehr. Die ersten Infektionen kamen über reisende Griechen ins Land. Es ist eine These, die auch von Medizinern in meinem Bekanntenkreis geteilt wird. Eine These, die aber gleichzeitig Angst vor einer Tourismussaison schürt.

Theoretisch gibt es für alles Regeln – die Praxis schreibt ihre eigenen Gesetze

Alles ist geregelt“, beruhigt die Regierung und behauptet, „es wurden sämtliche Maßnahmen für den Schutz vor einer Ausbreitung der Infektion getroffen“. Tatsächlich sind die einzelnen Vorschriften bis ins kleinste Detail streng formuliert. Dies vermittelt ein Gefühl der Sicherheit. Aber funktionieren sie?

Hier ist der Faktencheck einfacher als bei der Beurteilung der Gefahren einer Pandemie, die selbst Virologen mit dem aktuellen Kenntnisstand nicht vollständig erfassen können. Es reicht ein Trip zu den Strandrestaurants an einem beliebten Ausflugsort.

Nea Artaki auf der Insel Euböa ist solch ein Ort. Die hiesigen Ouzeri, gemütliche Fischtavernen, sind ein Publikumsmagnet. In den wenigen Wochen, in denen der lokale, inländische Tourismus bereits erlaubt ist, konnte Folgendes beobachtet werden. Zunächst, am ersten Wochenende trugen alle in den Lokalen Beschäftigen Schutzmasken und Latexhandschuhe. Die einzelnen Tische hatten, wie in den Vorschriften vermerkt, genügend Abstand zueinander. Innerhalb der nächsten Tage rutschten die Masken immer weiter in Richtung Kinn, die Handschuhe verschwanden.

Ein Lokal preschte vor und ließ geringere Abstände, sowie mehr Personen pro Tisch als im Gesetz vorgeschrieben zu. Es passierte nichts. Es gab keine Kontrolle, keine Strafgelder und nur eine Konsequenz: Die übrigen Lokale mussten nachziehen, wenn sie keine Kunden verlieren wollten.

Schweißtreibender Selbstversuch und -beobachtung

Zur Ehrenrettung des Bedienungspersonals müsste erwähnt werden, dass ein Selbstversuch, mit Kameraausrüstung, Maske und Handschuhen den Strand entlang auf Fototour zu gehen, nach zwei Stunden recht kläglich scheiterte. Die Handschuhe erwiesen sich als Sauna für die durch Schweiß vollkommen aufgeweichten Hände. Es erfordert Pausen, wenn das Handschuhtragen konsequent beibehalten werden soll.

Die Maske verwandelt sich ebenfalls innerhalb kurzer Zeit durch die Sommerhitze in ein schweißgetränktes Tuch. Sie müsste daher in kurzen Zeitabständen ausgetauscht werden. Auch hier wären für Kellnerinnen und Kellner Pausen angesagt. Ohne einen erhöhten Personalstand dürften die Regeln für die Lokale in der Praxis kaum umsetzbar sein. Fraglich ist, welcher ohnehin schon von der Pandemie wirtschaftlich geschädigte Unternehmer sich das leisten kann.

Ähnlich verhält es sich mit den übrigen Pandemiepräventionsregeln. Sie sind in der Theorie durchaus richtig und scheinen dem Stand der wissenschaftlichen Kenntnis zu entsprechen. Die Durchsetzung der Regeln wird jedoch nur sporadisch oder nach Denunziation kontrolliert. Wie kann der Wirt, oder gar das Bedienungspersonal, einer Beach-Bar verhindern, dass sich vor seiner Verkaufstheke zu dicht gedrängte Menschenschlangen mit durstigen Urlaubern bilden? Die natürliche Reaktion von Kunden im Urlaubsmodus ist, dass sie sich ein weniger strenges Lokal suchen werden oder komplett auf das Aufsuchen solcher Etablissements verzichten.

Auch hier gibt es eine Eigenbeobachtung. Seit im März der Lockdown verhängt wurde, entdeckte ich, ebenso wie viele ebenfalls im Journalismus und Fotojournalismus tätige Kollegen, eine Gewichtsabnahme. Unsere Ernährungsgewohnheiten haben sich bis auf ein kleines Detail kaum geändert. Keiner derjenigen, die abgenommen haben, kauft sich unterwegs eine Zwischenmahlzeit. Es ist nicht nur die Angst vor Ansteckung, sondern auch die mit dem Erwerb der Zwischenmahlzeit verbundenen Wartezeiten.

Wie sicher sind die Hotels? Fauxpas des Tourismusministeriums, Krankenhausvergleiche & Streit um die Pools

Der Generalsekretär des Tourismusministeriums, Konstantinos Loulis, bemerkte ungerührt im Fernsehen, „ich werde bestimmt keinen Urlaub im Hotel machen, und dort in einer Warteschlange stehen und mich damit gefährden“. Für sich und seine Familie sieht Loulis dagegen durchaus Möglichkeiten für einen Urlaub. Er empfiehlt eine einsame Insel oder einen einsamen Strand und Camping. Persönliche Konsequenzen musste er wegen seiner Aussage nicht fürchten, obwohl sie der offiziellen Regierungslinie diametral widerspricht.

Auch für Hotels gibt es sehr strenge Hygienevorschriften. Darüber hinaus ist zusätzliches Personal vorgeschrieben. „Wer zahlt für den Arzt im Hotel?“, fragt sich der nationale Hotelverband. Für Hotels mit einer Kapazität ab 51 Betten aufwärts ist per Gesetz ein Arzt im Hotel vorgeschrieben. Der Hotelverband klagt über Probleme bei der Rekrutierung von Medizinern, sowie über exorbitant hohe Kosten. Es sei nicht die Aufgabe der Hoteliers, Ärzte zu finden und einzustellen, klagt der Verband. „Hotels sind keine Krankenhäuser, und werden auch keine Krankenhäuser werden“, heißt es in der Stellungnahme.

Der Staat solle sowohl die Kosten als auch die Besetzung der Arbeitsplätze übernehmen, fordert der Verband. Die Nachfrage bei einem Hotelier im Freundeskreis erbrachte folgende Auskunft über die Kosten: Eine Zeitarbeitsfirma bot ihm an, für 2.000 Euro pro Monat einen Arzt bereitzustellen. Bei einer Infektion wären dann zwischen 300 und 350 Euro für den Arztbesuch fällig. Dazu würden 150 Euro für den CoVid19-Test berechnet. „Ich muss somit pro Kunde mindestens 500 Euro Risikozulage zurückstellen“, meint der Hotelier. Er sieht in dem hohen Kostenrisiko einen Grund dafür, dass viele Hotels in der laufenden Saison nicht öffnen wollen.

Die Hoteliers bemängeln zudem eine eklatante Ungleichbehandlung. Swimmingpools in Hotels dürfen nicht betrieben werden, währen die Swimmingpools anderer touristisch tätiger Unternehmen dem Staat unbedenklich erscheinen.

Für die Unterbringung erkrankter Touristen möchte das Tourismusministerium Hotels anmieten. Diese erhalten für leere, bereitgestellte Betten zehn Euro pro Tag und 30 Euro, wenn das Bett gebraucht wird. Pro Zimmer ist in der Regel nur eine Person zugelassen. Die Hotels müssen sich für die gesamte Saison verpflichten, bekommen aber bis auf die zehn Euro, die effektiv pro Zimmer gezahlt werden, keinerlei Garantie. Es ist noch nicht bekannt, wie viele Hoteliers sich auf solch einen Deal einlassen.

Flughafen: Statistik ersetzt lückenloses Testverfahren

Bis Sonntag wurden die Passagiere aller in Griechenland ankommenden Flugzeuge getestet. Dies geschah zuletzt am Sonntag. Dabei wurde am Sonntag ein Passagier des Flugs von Frankfurt am Main nach Athen positiv auf CoVid19 getestet. Seit am Montag, den 15. Juni für zahlreiche Staaten die Einreisebeschränkungen aufgehoben wurden, wird nur noch stichprobenartig überprüft.

So wurden am Montag nur die Passagiere von elf von insgesamt 25 am Flughafen Eleftherios Venizelos bei Athen ankommenden Flügen getestet. Von 3.240 Personen mussten sich damit nur 1.560 einem Test unterziehen, während 1.680 den Flughafen ohne Kontrolle verließen. Ungetestet blieb am Montag der Flug aus Frankfurt. Die Regierung setzt bei der Kontrolle auf Statistik und nicht auf ein lückenloses Testverfahren für alle.

Auf der Straße: Wohngebiet oder Pass – was ist entscheidend?

Bei den Autoreisenden, die über die nun offene Landgrenze aus Bulgarien einreisen, gab es am Montag kilometerlange Warteschlangen. Dabei kam es auch zu surreal erscheinenden Ereignissen.

In der vergangenen Woche hatte der griechische Außenminister seinen serbischen Amtskollegen empfangen. Eines der wichtigsten Themen dabei war der Tourismus, der im gemeinsamen Statement erwähnt wurde. Vor allem die Halbinsel Chalkidiki aber auch die Insel Thassos leben zum großen Teil vom Tourismus aus Serbien. Die touristischen Orte in Nordgriechenland werden von Touristen aus den Anrainerstaaten gern angefahren.

Die Serben befanden sich explizit im Katalog der Herkunftsländer für welche ab Montag den 15. Juni der problemlose Tourismus möglich sein sollte. Sollte, denn von Sonntag auf Montag wurde mitten in der Nacht oder in den frühen Morgenstunden über den Staatsanzeiger veröffentlicht, dass Serbien aufgrund einer Empfehlung der EU nicht zu den sicheren Staaten zählen sollte.

Serben, die bereits ihre Hotels auf Chalkidiki und Thassos gebucht hatten, waren zu diesem Zeitpunkt bereits mit ihrem Auto unterwegs. Sie hatten keinerlei Möglichkeit, von der neuen, der Erklärung beider Außenminister diametral entgegengesetzten Bestimmung zu erfahren, bis sie an der Grenze ankamen.

Dort trafen sie auf Beamte, welche die Bestimmung kannten, und folglich alle Serben an der Grenze abwiesen. Alle Serben? Das bedeutete in der bürokratischen Praxis der Grenzbeamten auch, jene Touristen abzuweisen, die zwar eine serbische Staatsbürgerschaft hatten, aber ihren gewöhnlichen Aufenthalt und Wohnsitz im – gemäß der Bestimmung sicheren – Bulgarien nachweisen konnten.

Die Folge war ein wirres Chaos an der Grenze. Auf den Protest der Hoteliers aus Griechenland reagierten die Behörden mit einer eigentümlichen Lösung. Sie ließen schließlich all jene Serben, die bis Dienstag wütend an der Grenze ausgeharrt hatten, mehrere hundert Personen, durch. Diejenigen, die entnervt die Rückreise angetreten hatten, erfahren nun aus der Presse, dass sie um ihren Urlaub gebracht wurden. Die im Staatanzeiger veröffentlichten Bestimmungen sollen dagegen, „in naher Zukunft“ korrigiert werden.

„Was heißt das konkret für mich!?“

Ein Urlaub in Griechenland garantiert in der laufenden Saison zahlreiche abenteuerliche Erlebnisse in einem landschaftlich schönen Ambiente. Für die Sicherheit eines unbeschwerten Urlaubs kann aber niemand reinen Gewissens die Hand ins Feuer legen.

Zudem kann man nach der Lektüre wohl abschätzen, ob Griechenland durch ein touristisches Wunder die Pleite abwenden kann - oder ob dies schlicht unrealistisch ist.

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