45 Prozent aller Amerikaner bezeichnen Facebook als ihre wesentliche Nachrichtenquelle, darauf wies kürzlich der britische Historiker Niall Ferguson hin; basierend auf dem Ergebnis einer Studie.

Ferguson, der Facebook daher als eine Gefahr für die Demokratie interpretiert, stellte daraufhin fest, dass in der gesamten Menschheitsgeschichte der öffentliche Raum als nicht kommerziell galt. Das hat sich geändert, so der im angelsächsischen Sinne konservativ argumentierende Ferguson, der öffentliche Raum gleiche inzwischen einem gigantischen Anzeigemarkt.

Facebook und Google beherrschen diese Sphäre und machen den öffentlichen Raum zu einer Produktionsstätte der Gedanken und der Emotionen, wie es ein Kollege von Ferguson ausdrückt, ein Kollege, der nicht nur aus einem anderen Land, nämlich aus Italien, sondern auch  aus einem gegensätzlichen politischen Lager stammt. Die Rede ist von Prof. Dr. Domenico Losurdo, Jahrgang 1941, der bis zu seiner Emeritierung Philosophie an der altehrwürdigen Universität von Urbino lehrte.

Sein  gerade auf Deutsch erschienenes Werk “Wenn die Linke fehlt“, trägt den Untertitel  „Gesellschaft des Spektakels, Krise, Krieg“.

Losurdo beschreibt in einem der acht Kapitel des Buches den „Empörungsterrorismus“, flankiert von  der „Auswahl und der Lenkung“ der Entrüstung, angefeuert durch Massenmedien, beispielsweise bei Kriegen und militärischen Aktionen des Westens in den vergangenen Jahrzehnten.

Als historischer Hintergrund dienen Losurdo hier die Konflikte von Kuba über Vietnam bis hin zu Afghanistan, Jugoslawien, Irak, Libyen, Syrien und der Ukraine, womit die Analyse eine beklemmende Note erhält. Losurdo zitiert diesbezüglich Nietzsche „Und niemand lügt soviel als der Entrüstete“.

In seinem Werk weist er darauf hin, dass das Versprechen, ja die Verheißung von 1989, nach grenzenlosem Frieden und Wohlstand, nach der globalen Verbreitung vom amerikanischen Kapitalismus, ja nach dem Ende der Geschichte, wie es Francis Fukuyama einst formulierte, nicht in Erfüllung gegangen ist.

Inzwischen, knapp ein Jahrzehnt nach der Finanzkrise von 2008, folgt auf internationaler Ebene ein „kleiner Krieg“ nach dem anderen, der sich in den betroffenen Ländern als Katastrophe mit Zehntausenden, oder gar Hundertausenden Toten offenbart.

Im Vorwort heißt es dazu: „Durch die Tatsache, dass in unseren Tagen, wie wir gesehen haben, seriöse westliche Wissenschaftler beklagen, im Westen sei heute die „Demokratie“ durch „Plutokratie“  ersetzt worden, ist die Rede der herrschenden Ideologie über „Demokratie“ noch grotesker. Und dabei geschieht es im Namen der „Demokratie“, dass infame koloniale und neokoloniale Kriege entfacht werden, und ebenfalls in ihrem Namen, dass die Vereinigten Staaten in Komplizenschaft mit ihren Vasallen die Kriegsvorbereitungen gegen China und Russland verstärken.

Es stellt sich die Frage: Wann wird die westliche Linke endlich imstande sein, von dieser tragischen Gefahr Kenntnis zu nehmen und dann entsprechend zu handeln?“

Diese Frage geht der Wissenschaftler auf 338 Seiten nach, wobei die Konfrontation zwischen der  Volksrepublik China und den USA, den beiden verbliebenen Supermächten, im Mittelpunkt seiner Beobachtungen stehen.

Dazu heißt es in dem Buch: „Es ist aber eine Veränderung, die den Westen, vor allem seiner Führungsmacht USA, zu einem gereizten geopolitischen und militärischen Aktivismus treibt: Man muss sich beeilen, ehe es zu spät ist, um für Jahrzehnte den Vorsprung zu konsolidieren und zu stabilisieren, den weiterhin die erste kapitalistisch-imperialistische Welt und vor allem jene Nation genießen, die sich als von Gott »erwählt« und »unverzichtbar« wähnt.

Die diversen lokalen Kriege, die als unterschiedlich eingefärbte »Farbenrevolutionen« verkleideten Staatsstreiche, die gegen das eine oder andere Land in Gang gesetzten Destabilisierungsversuche, die gravierenderen Initiativen militärischer, politischer bis hin zu ökonomischer Strategie – all diese Prozesse und Spielzüge enthüllen trotz ihrer extremen Unterschiedlichkeit bei einem genaueren Blick ein gemeinsames Merkmal: Die Absicht nämlich, Russland und besonders China in immer größere Schwierigkeiten zu bringen.

Was das letztere angeht, haben die US-amerikanischen Analysten und Strategen kein Problem damit, ihren Plan offen darzulegen: Man muss so vorgehen, dass die Energieversorgung des großen asiatischen Landes, das nicht über Rohstoffe wie Öl und Gas verfügt, mittels Gewaltmaßnahmen seitens der übermächtigen Kriegsmarine der USA gestört wird, die so grundsätzlich die Macht über Leben oder Tod von mehr als 1,3 Milliarden Menschen ausüben könnte. Es gibt auch Analysten und Strategen, die von Krieg sprechen und deshalb schon mögliche Szenarien eines großen Krieges, ja eines dritten Weltkriegs untersuchen.“

Bezogen auf den Titel seines Buches macht Losurdo keinen Hehl daraus, dass er von dem aktuellen Zustand der Linken im Westen nichts hält. Er schreibt hierzu: “Deshalb sind aber die Unterschiede im Rahmen der Linken nicht unbedeutend geworden. Was die internationale Politik angeht, muss man zu unterscheiden wissen zwischen der imperialen Linken, die sich dieser unterordnet, und jener Linken, die sich gegen die imperiale Linke stellt.

Entsprechend muss man zu unterscheiden wissen zwischen jener Linken, die sich inzwischen neoliberalen Positionen angeglichen hat, und derjenigen, die (auf politischer und kultureller Ebene) mehr oder weniger konsequent und mehr oder weniger klarsichtig an der Verteidigung der sozialen und ökonomischen Rechte arbeitet. Natürlich ist die Lage von Land zu Land ganz unterschiedlich.

Doch trotz der hier und da erkennbaren Zeichen für einen erneuten Aufschwung der kommunistischen, und allgemeiner einer der herrschenden Ordnung innenpolitisch und international wirklich entgegenstehenden Bewegung scheint die Linke im Westen sich insgesamt durch Konfusion und Zerfall auszuzeichnen.“

Wie kann man die heutige Welt, mit ihren beschleunigten historischen Abläufen, mit ihrer enthemmten politischen Dynamik, noch erfassen? Durch welche Instrumente gelingt es der »Spektakelgesellschaft«, Kriege und Kriegspolitik zu legitimieren?

Gibt es eine Alternative dazu, oder sind wir dazu verdammt, auf den Brettern jener Latrinen zu tanzen, die schon morsch sind, wie es Gustave Flaubert einst formulierte? Welche Lösungsansätze bieten sich an? Auf diese Fragen  antwortet das  Buch  von Domenico  Losurdo mit faszinierenden Analysen jenseits des Mainstreams, die zu einer vertiefenden Diskussion einladen.

Domenico Losurdo: Wenn die Linke fehlt … Gesellschaft des Spektakels, Krise, Krieg. Aus dem Italienischen von Christa Herterich. Papy-Rossa-Verlag, Köln 2017, 373 Seiten, 19,90 Euro

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