Spahn hat - wie andere europäische Gesundheitsminister - zu Beginn dieser Epidemie eklatant versagt und durch sträfliches Nichtstun gegen alle selbst gesetzten Vorgaben der Regierung verstoßen, wie in einer Protestnote des Medizinerverbands IG Med e.V. an den Kanzleramtsminister dokumentiert. Dadurch hat er den extrem teuren Lockdown länger und einschneidender gemacht, als sonst nötig gewesen wäre.

Umso auffälliger ist, mit wie viel Voraussicht er schon, bevor überhaupt eine Impfung gegen das Virus absehbar ist, die rechtlichen Voraussetzungen für einen elektronischen Immunitätsausweis schaffen wollte. Bei seinem sonstigen Arbeitstempo könnte man den Verdacht haben, dass hier einfach etwas ohnehin Geplantes unter dem Stichwort Corona beschleunigt werden sollte.

Mit diesem Verdacht läge man wohl richtig. Denn die Digitalisierung unserer Gesundheitsdaten und Behandlung – unter Missachtung aller Gefahren, die das für uns mit sich bringt – ist nicht nur ein Arbeitsschwerpunkt dieses Ministers. Der elektronische Impfausweis ist auch ein Projekt der EU, für das es eine ausführliche “Roadmap” (Umsetzungsplanung) gibt.

Wenn Spahn seine Pläne nach Protesten vorerst gestoppt hat, so liegt die Betonung nicht auf gestoppt, sondern ganz klar auf vorerst. „Die Frage, ob im Falle von Corona zusätzlich ein Immunitätsausweis sinnvoll ist, sollten wir als Gesellschaft in Ruhe abwägen und debattieren“, twitterte der Minister am Montagabend. Deshalb habe er den Deutschen Ethikrat um eine Stellungnahme gebeten. „Dieser laufenden Debatte wollen wir nicht vorgreifen und regeln dazu vorerst gesetzlich nichts“, so Spahn.

Aus anderen Gründen als Corona und nicht “vorerst” soll der digitale Impfausweis aber kommen, das war schon vor Corona beschlossen. Die EU-Roadmap sieht die Einführung des europäisch harmonisierten digitalen Impfausweises vor. Was könnte schiefgehen?

Der Bundesbeauftragte für Datenschutz, Ulrich Kelber, wies in seiner Stellungnahme zu den Plänen Spahns darauf hin, dass eine Immunitätsdokumentation zu einer „missbräuchlichen Verwendung“ verleiten könnte. Er äußerte die Sorge, „dass diese Informationen zu einer Diskriminierung der Betroffenen beispielsweise für den Fall führen können, dass sie eine Immunität nicht nachweisen können“. Es wäre wirklich verheerend, wenn eine Unterscheidung von Immunen und Nichtimmunen den „gefährlichen Weg in eine Diskriminierungs- und Entsolidarisierungsfalle“ ebnen würde, wie es der Hamburger Datenschützer Johannes Caspar ausdrückte. In einer offenen Gesellschaft wäre das nicht hinnehmbar.

Masern-Impfpflicht als Übung in Meinungsmanipulation

Dass man das durchaus als hinnehmbar einschätzt, hat sich bei der Masern-Impfpflicht gezeigt. Nicht, dass ich etwas gegen Masern-Impfungen hätte. Ich bin geimpft, auch meine Kinder sind geimpft. Aber man muss sich klarmachen, welche Eingriffsintensität eine Impfpflicht bedeutet, die es Kindern verbietet, in den Kindergarten zu gehen, wenn sie nicht geimpft sind - und die Eltern mit 2.500 Euro Strafe bedroht, wenn die Kinder bei Schuleintritt nicht geimpft sind. Was macht der Staat mit den sehr wenigen Eltern, die die Impfung für gefährlich halten und sich weigern? Müssen sie so lange immer wieder 2.500 Euro bezahlen, bis sie pleite oder die Kinder geimpft sind? Gibt es nötigenfalls Erzwingungshaft? Droht den Eltern der Entzug des Sorgerechts?

Das wäre ja vielleicht hinzunehmen, wenn es sich um eine Gefahr für die Volksgesundheit handelte. Als solche wurde das Thema zur Vorbereitung der Impfpflicht auch dargestellt. Wir wurden in sozialen und sonstigen Medien vor einer großen Zahl unverantwortlicher Impfmuffel gewarnt, die schuld seien, dass Masern wieder zu einem echten Problem werden. Mit dem Ergebnis und der Begründung laut WDR:

Ab dem kommenden Jahr müssen Kinder gegen Masern geimpft sein – und alle, die in Kindergärten, Schulen, Krankenhäusern und anderen öffentlichen Gemeinschaftseinrichtungen arbeiten. Das hat der Bundestag beschlossen, um die steigende Zahl an Masern-Erkrankungen einzudämmen. 2018 haben sich allein in Europa so viele Menschen mit Masern angesteckt wie seit zehn Jahren nicht mehr.“

Aha, das einschneidende Gesetz war nötig, um die steigende Zahl von Masernerkrankungen einzudämmen. Klingt vernünftig. Schauen wir auf die Zahlen des Robert-Koch-Instituts (RKI). Danach war die Zahl der Masernfälle in Deutschland 2019 mit 514 der viertniedrigste Wert in den letzten 19 Jahren. 2018 war die Anzahl noch einen Tick höher gewesen, aber auch vergleichsweise niedrig. Pro Million Einwohner sind das sechs Fälle, die meisten davon bei Kindern, wo der Verlauf in der Regel wesentlich leichter ist als bei Erwachsenen. Die Anzahl der Fälle war also rückläufig und niedrig. Die Angstkampagne in den Medien war eine reine Inszenierung.

Oder doch nicht. Immerhin verweist der zitierte WDR-Artikel auf Masernerkrankungen in Europa. Weil man mit den deutschen Zahlen schlecht argumentieren konnte – und sie deshalb verschwieg – täuschte man das flüchtig lesende Publikum mit einem Unsinnssatz wie “… haben sich allein in Europa so viele Menschen mit Masern angesteckt wie...” Klingt dramatisch, dieses “allein”, aber was soll es bedeuten?

Zu den Masern in Europa fand ich (bezogen auf das erste Halbjahr 2019) folgende Information der WHO: “Besonders stark sind demnach die Masernerkrankungen in der Ukraine, Kasachstan, Georgien und Russland gestiegen.” Dort seien 78 Prozent aller Masernfälle des ersten Halbjahrs aufgetreten. Man kann zweifeln, ob Masernfälle in Russland, Ukraine, Georgien und Kasachstan eine allgemeine Impfpflicht in Deutschland rechtfertigen.

Der Weg zum digitalen EU-Immunitätsausweis

Gleich der erste und wohl wichtigste Punkt auf der Roadmap der EU-Kommission ist der Impfausweis für alle EU-Bürger, “der mit elektronischen Immunitäts-Informationssystemen kompatibel ist und für den grenzüberschreitenden Gebrauch anerkannt ist.” Bis 2021 soll die Umsetzbarkeit untersucht werden, 2022 soll die EU-Kommission dann einen konkreten Vorschlag vorlegen. Ergänzt wird das mit EU-Richtlinien für den Aufbau umfassender elektronischer Impf-Informationssysteme. Darin soll laut Handbuch der Kommission für alle Bürger gespeichert werden, wer wann welche Impfung bekommen hat.

In diesen zentralen oder vernetzten Datenbanken (nennen wir es einfach mal so, auch wenn der Begriff tunlichst vermieden wird) sollen einerseits Ärzte und Patienten jederzeit den individuellen Impfbedarf feststellen können, andererseits auch die Gesundheitsbehörden umfassende und verlässliche Daten über den Impfstand bekommen. Diese Daten sollen sie dann auch mit anderen elektronischen Gesundheitsdaten verknüpfen können, um zum Beispiel gesundheitliche Vorteile des Impfens zu propagieren und Nachteile feststellen zu können.

Dass es um mehr geht als das Impfen - dass das Impfen nur ein guter Einstieg in die generelle Digitalisierung der Gesundheitsversorgung ist - macht der Folgeeintrag deutlich, in dem auf einen Kommissionsbericht verwiesen wird, der die digitale Transformation von Gesundheit und Pflege im “Einheitlichen Digitalen Markt” propagiert, mit der die Bürger “ermächtigt” werden sollen. Dumm nur, dass die Bürger das mehrheitlich gar nicht wollen. Aber das Geschäft geht nun mal dem Bürgerwillen vor im einheitlichen Markt.

Im September hielt die Kommission als Teil ihrer Roadmap einen Globalen Impfgipfel ab, mit drei Roundtables, die die abgewogene, selbstkritische Beleuchtung des Themas deutlich machten. Sie waren betitelt mit “In Vaccines We Trust” (Wir vertrauen auf Impfstoffe), “The Magic of Science” (Die Magie der Wissenschaft) und “Vaccines Protecting Everyone, Everywhere” (Impfstoffe schützen alle, überall).

Beim ersten, stark US-dominierten Roundtable war unter anderem Jason Hirsch dabei. Er verantwortet bei Facebook den “facettenreichen Ansatz zur Bekämpfung von Falschinformation über Impfungen.” Da hat er sicher viel zu tun, wenn “Impfungen helfen allen überall” die Norm des Korrekten ist. Bei letzterem Roundtable durften die Pharmaindustrie und die Gates-Stiftung und die von diesen geförderten Impfallianzen und WHO sich gegenseitig beweihräuchern.

Resümee und Übersetzung

Weil Impfungen gesundheitspolitisch sehr wichtig und hilfreich - und auf Vertrauen in der Bevölkerung angewiesen sind, müssen die Vorzüge groß herausgestellt und Nachteile und Unfälle unter den Teppich gekehrt werden. Kritik und Misstrauen sind zu bekämpfen, notfalls ist mit gelenkten Medienkampagnen voller Halbwahrheiten und gesetzlicher Impfpflicht nachzuhelfen. Wir sollen den Koalitionen aus konzernfinanzierter WHO, Pharmakonzernen und konzernfinanzierten Stiftungen darin vertrauen, dass sie auch ohne eine offene öffentliche Diskussion über Vorteile und Nachteile und Kosten einzelner Impfungen das Richtige tun werden - und nicht etwa das, was die größeren Gewinne bringt.

Wir sollen auch glauben, dass die fast manisch verfolgte Digitalisierung des Gesundheitswesens nicht mit den Interessen von Microsoft und Co. und der eng verbundenen Gates-Stiftung zu tun hat, die im internationalen Gesundheits- und Impfbereich fast überall als Finanzier mit an den Fäden zieht.

Tun wir es nicht, sind wir notorische Impfgegner und Aluhüte, um deren Einhegung sich Facebook, Google und CORRECTIV zu kümmern haben.

Änderungshinweis (11. 05.): Ich habe richtiggestellt, dass nicht geimpften Kindern nur der Kindergartenbesuch verboten ist, nicht der Schulbesuch, und ergänzt, dass den Eltern eine Strafe von 2500 Euro droht, wenn sie ihre Kinder nicht impfen lassen.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf dem Blog von Norbert Häring. Vielen Dank für die Erlaubnis, diesen übernehmen zu dürfen!

Beitrag senden

Drucken mit Kommentaren?



href="javascript:print();"