Wohl wissend, dass das europäische und ostasiatische Neujahrsfest zeitlich nicht ganz übereinstimmen, möchte ich mit diesem Hinweis einem Kulturkreis huldigen, dem im Zuge der unvermeidlichen globalen Verschiebung eine dramatische Bedeutung zukommt.

Am Beispiel Chinas offenbart sich mit betrüblicher Deutlichkeit, in welchem Ausmaß den Europäern und Amerikanern das geschichtliche Bewusstsein abhanden gekommen ist. Die Fehldiagnose des amerikanischen Politologen Fukuyama vom “End of History” war auf allzu fruchtbaren Boden gefallen.

So begegnet die westliche Welt dem phänomenalen Aufstieg Chinas in den Rang der zweiten Weltmacht mit einem Gemisch aus Arroganz und Missgunst. Die explosive Dynamik Chinas erzeugt wachsende Furcht, ja die Ahnung des eigenen Rückfalls in unerträgliche Mittelmäßigkeit.

Die an Sinophobie grenzende Abneigung, die immer wieder in der westlichen Berichterstattung  über China zu erkennen ist, hängt wohl auch damit zusammen.

Man könnte es auch anders betrachten, und den  phänomenale Aufstieg dieses Riesenreiches - in den letzten 35 Jahren - als eine beispiellose Erfolgsgeschichte interpretieren.

Wäre es dem Westen denn lieber, in Peking würde immer noch ein totalitärer, unberechenbarer Herrscher regieren, dessen ideologischen Verirrungen Millionen Menschen das Leben kosten würden? Viele der westlichen Wortführer, die heute mit der äußerst selektiven Menschenrechtskeule pseudodemokratische Reformen im Reich der Mitte einfordern, während im Westen die demokratischen Grundrechte sukzessive eingeschränkt werden, während auch viele Verbündete des Westens weit weniger demokratisch agieren als China, waren ja während der Herrschaft von Mao recht schweigsam, bisweilen sogar heimliche Bewunderer dieses Herrschers.

Unterdessen baut Peking seinen globalen Einfluss aus. Der chinesische Einfluss in Afrika - also quasi vor unserer Haustür - ist groß, sehr groß. Die massive Präsenz der Volksrepublik dort besteht nicht nur auf dem Papier. Sie ist allumfassend von Algerien bis nach Namibia und soll, gemäß der außenpolitischen Doktrin Chinas, an die friedlichen, die harmonischen Entdeckungsreisen des Eunuchen-Admirals Zheng He anknüpfen. Der hatte im frühen 15. Jahrhundert mit einer Flotte riesiger Dschunken, die die Karavellen der Portugiesen jener Zeit übertrafen, den Indischen Ozean überquert und mit den Völkern Afrikas einen für beide Seiten vorteilhaften Handel betrieben.

Auf drei verschiedenen Schienen dringt Peking offenbar nach Afrika und in andere Teile der Welt vor. Da sind die großen Projekte der Rohstoffbeschaffung, die von staatlichen Konzernen gelenkt werden. Daneben gibt es zahllose Initiativen des privaten chinesischen Kapitals. Ferner findet seit Jahren eine massive chinesische Migration nach Afrika statt, in Form von Handwerkern, Kaufleuten und Kleinunternehmern, die bei der einheimischen Bevölkerung, etwa in Senegal, als lästige Konkurrenten auf wachsende Ablehnung stoßen.

Europa verschläft Entwicklung in Afrika

In Dakar erschien denn auch das Buch “Le Dragon et l´autruche/Der Drache und der Strauß“ des senegalesischen Journalisten Adama Gaye. Die Wirtschaft Afrikas wächst. Lange Zeit galt der zweitgrößte Kontinent der Welt, direkt vor der Haustür im Süden Europas, als globales Sorgenkind. Die Berichterstattung war geprägt von Hunger und Katastrophen, Krisen und Konflikten.

Überhaupt scheinen Europäer nur dann Afrikaner wahrzunehmen, wenn Flüchtlinge an Küsten und Grenzen eintreffen oder Seuchen grassieren. Es gibt in Afrika unzählige Probleme und soziale Konflikte. Doch das ist nur die eine Seite der Medaille.

Gerade in Staaten südlich der Sahara boomt die Wirtschaft. Dort werden Wachstumsraten von bis zu sieben Prozent prognostiziert. Eine konsumfreudige Mittelschicht entsteht, welche die Nachfrage antreibt. Und es befinden sich dort 60 Prozent des weltweit nichtbewirtschafteten Ackerbodens.

Anders als Europa hat China den afrikanischen Boom schon lange im Blick. 2013 summierte sich der Handel auf 200 Milliarden Dollar. Bis 2020 soll er sich sogar verdoppeln. Das geschieht auf drei Wegen: Die staatlichen Konzerne beschaffen Rohstoffe. Privates Kapital beteiligt sich an zahllosen Projekten. Und seit Jahren wandern chinesische Handwerker, Kaufleute und Kleinunternehmer nach Afrika aus.

Auch europäische Firmen sind dort unterwegs, ebenso viele Entwicklungsorganisationen. Nur öffentliche und private Geldgeber investieren nicht so viel wie ihre chinesischen Kollegen, schon gar nicht in aufwendige Infrastrukturprojekte.

Europa verschläft diese Entwicklung.

Wir alle erleben jetzt die dramatischen Verschiebungen des globalen Machtgefüges, deren Zeugen wir sind, deren Folgen und Auswirkungen aber die wenigsten noch erfassen können.

Unsere Zeit macht uns zu Chronisten einer Welt im Aufbruch, aber auch einer Welt in Auflösung. Die beschleunigten historischen Abläufe, die ein Kennzeichen unseres Zeitalters sind, gönnen uns keine Atempause. Wir erleben eine Welt im Aufbruch und Auflösung, den Aufstieg und Fall großer Imperien, die unaufhaltsame Verlagerung der geopolitischen Machtzentren, vom Atlantik an die Gestaden des Pazifiks.

Diese Entwicklung enthält Chancen und Risiken, produziert Gewinner und Verlierer. Die Natur des Menschen, von der man keine zu hohe Meinung haben sollte, bleibt aber immer gleich, trotz Internet, W-Lan, Facebook und der fast weltweiten Verbreitung von Starbucks-Filialen.

Allerdings, aufgrund der heutigen Kommunikationsmöglichkeiten, von denen unserer unmittelbaren Vorfahren nicht zu träumen wagten, aufgrund einer globalen kulturellen Anpassung und Osmose, deren Ausmaß wir noch nicht ermessen, wären wir vielleicht in der Lage Fehlentwicklungen zu erkennen und darauf zu reagieren. Ob dieses gelingt, wird uns die Zukunft zu zeigen.

„Es kommt nicht darauf an, die Zukunft vorherzusagen, sondern auf die Zukunft vorbereitet zu sein“,  lautet ein Zitat von Perikles.

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