Ägyptens gestürzter Staatspräsident Hosni Mubarak ist wieder auf freiem Fuß.

Der inzwischen 88-jährige Politiker, unter dessen 30-jähriger Dauerherrschaft diese Kulturnation - die fast so alt ist wie die Menschheit selbst - in Stagnation versunken war, kam nach rund sechs Jahren in Gefangenschaft frei.

Ägyptens Rolle, als heimlicher Führer der arabischen Welt, als dessen demographisches und kulturelles Machtzentrum ging verloren. Inzwischen versucht Saudi-Arabien diese Rolle einzunehmen, ohne das demographische und kulturelle Gewicht Ägyptens zu besitzen.

Unter Mubarak verzichtete der Westen ganz bewusst darauf, Ägypten zu freien Wahlen zu mahnen oder irgendeinen Stimmzettelfetischismus zu propagieren wie bei anderen Staaten der Region.

So kam es auch, dass sich niemand daran erregte, wenn Mubarak regelmäßig mit 90% wiedergewählt wurde, obwohl er in totaler Opposition zu den brodelnden Volksmassen im Nildelta stand.

Während seiner Haftzeit wird sich Mubarak vielleicht daran erinnert haben, unter welchen blutigen Umständen er am 6. Oktober 1981 an die Macht kam.

Als damaliger Vizepräsident hatte er auf einer Militärparade neben dem charismatischen Präsidenten Anwar as Sadat Platz genommen. Sadat, von dem Helmut Schmidt einst sagte, er habe ihn geliebt, galt in der arabischen Welt, noch mehr aber in islamistischen Kreisen, als Verräter.

Sadat hatte zwei Jahre zuvor einen Friedensvertrag mit Israel ausgehandelt und dem gerade gestürzten Shah von Persien Asyl gewährt.

Attentat auf Anwar al-Sadat

An diesem Tag, auf dieser Parade, sollte er dafür mit dem Leben bezahlen.

Die Attentäter brachten vor laufenden Fernsehkameras einen gepanzerten Militärlastwagen vor der Tribüne zum Stehen, stürmten auf diese zu und griffen sie mit Handgranaten und Feuer aus den Maschinengewehren an. Zwar verfehlten die Granaten die Tribüne, aber die Kugeln töteten Anwar al-Sadat, dessen Leibwächter überwiegend davon stoben, und weitere Menschen auf der Tribüne. Der Anführer der Attentäter rief hörbar in der Aufzeichnung des amerikanischen Fernsehens: “Ich habe den Pharao getötet!”

Die Attentäter waren Schüler von Sayid Qutb. Sayid Qutb war der Vordenker und Godfather des islamistischen Totalitarismus wahabbitisch-sunnitischer Strömung und Verfechter für die weltweite Einführung der Scharia.

Seine Hinrichtung erfolgte auf den ausdrücklichen Befehl des damaligen ägyptischen Präsidenten, dem Panarabisten und säkularen Nationalsozialisten Gammar-ab-del Nasser.

Qutb wurde nicht als militanter Islamist geboren.

Das Gegenteil ist der Fall. Sein Vater war ein populärer Abgeordneter der Nationalen Partei, dem politischen Flügel des panarabischen Nationalismus. Das gebildete Bürgertum Ägyptens jener Tage, betrachte die Religion als Lokalkolorit und war viel eher inspiriert von der ideologischen Ausstrahlungskraft des italienischen Faschismus, abgeschwächter auch vom aufkommenden Nationalsozialsozialismus in Deutschland.

Beide politischen Systeme galten bei vielen arabischen Intellektuellen als Werkzeug für die Einigung der arabischen Welt von Marokko zum Irak und vor allem als Waffe gegen die verhassten britischen und französischen Kolonialisten.

Der Syrer Michel Aflaque gründete wenig später die Baath-Partei, die Partei der arabischen Wiedergeburt und des Sozialismus.

Säkularismus und Nationalismus, sowie die Gründung eines arabischen Einheitsstaates, waren die Grundelemente dieser politischen Bewegung.

Aflaque war Christ und nicht wenige seiner Glaubensbrüder, wie auch die Mehrzahl der säkularen moslemischen Bildungseliten, betrachteten dieses faschistoide Staatsverständnisses als ein Modernisierungskonzept und auch als ein Schutzschild gegen eventuelle religiöse Aufwallungen der verarmten Massen, der arabischen Straße-wie man sich heute ausdrücken würde.

Nach Ende des 2. Weltkrieges, betätigte sich Qutb als militanter Anhänger des Nationalismus und geriet damit in Konflikt mit der Herrschaft des ägyptischen Königs, dem Feudal-Monarchen Faruq, der als Marionette des Westens angesehen wurde und wohl auch eine war.

Aufgrund seiner Beziehungen wurde er in die USA abgeschoben, in der Hoffnung aus ihm einen begeisterten Anhänger des „American Way of Life “ zu machen.

Dieser Aufenthalt gilt als Zäsur im politischen Denken Qutbs.

Es gärt gewaltig in Ägyptens Gesellschaft

Er kehrt als militanter Feind des Westens, als erbitterter Gegner jedes säkularen Politikverständnisses zurück.

Nach einem Attentat auf Nasser, räumte der Rais erbarmungslos unter seinen gefährlichsten politischen Gegenern, den Muslimbrüdern auf.

Die Organisation wurde verboten, die Mitglieder verhaftet und liquidiert.

Während seiner Haftzeit radikalisierte sich Qutb immer weiter.

In seinen Schriften diagnostizierte er der islamischen Welt, die Dschahiliyya-der unislamische Zustand der „Unwissenheit“.

Ferner entwickelte er sich zu einem fanatischen Antisemiten und entwarf einen islamisch begründeten Antisemitismus garniert mit Elementen aus der Rassenideologie der Nationalsozialisten.

Kurz gefasst lassen sich Qutbs späte Thesen wie folgt zusammenfassen: „Es gibt heute keine islamische Welt mehr. Selbst islamische Staaten sind vom Glauben abgefallen. Die jetzige Welt muss zerstört werden und auf deren Trümmern das globale islamische Kalifat errichtet werden.“

Qutb wurde 1966 gehängt.

Ein Jahr später, nach der der verheerenden Niederlage im Sechs-Tage-Krieg gegen Israel, geriet der arabische Nationalismus in eine schwere Krise und erlangte nie wieder seine alte Ausstrahlungskraft.
In der arabischen – und auch in anderen Teilen der islamischen Welt, entstand ein großer sozialer Gärungsprozess, begünstigt durch den ökonomischen Niedergang, der demographischen Explosion, der Fehler des Westens und dem Bankrott der politischen Eliten, der schließlich zum großen „Erwachen“ Ende der siebziger Jahre führte und bis heute im vollem Gange ist.

Mubarak, der den Anschlag vom 6. Oktober 1981 nur knapp überlebte, stolperte über tote und sterbende Menschen und wurde kurz danach zum Präsidenten ernannt.

Das Volk hat er immer gefürchtet, der explosiven Sprengkraft, Ägyptens sozialer Probleme, war er sich stets bewusst.

Diese ansatzweise zu lösen, dafür fehlte ihm der Mut. Gleichwohl war er ein Garant für eine gewisse Stabilität, besonders im außenpolitischen Bereich.

Seine Herrschaft begann mit Blut und Tränen. Sie endete in einer Revolution, die man im Westen zunächst oberflächlich als „Arabischer Frühling“ titulierte, deren Verlauf aber noch im Gange ist.

Mubarak wird bald Geschichte sein, die Geschichte Ägyptens geht weiter. Die Tatsache, dass die Lehren von Sayid Quobt heute noch immer Anhänger finden, sollte den jetzigen Machthabern Ägyptens eine Warnung sein. 

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