Wie der Athener Bürgermeister Freiwillige für sein teures Projekt rekrutiert

Adoptieren Sie einen Baum! Diesen Aufruf machte der Athener Bürgermeister Kostas Bakoyiannis an seine Bürger. Bei der Adoption handelt es sich um nicht nur um eine ideelle Tat. Die Paten der Bäume sollen eine App, Novoville, auf ihr Android oder Apple Smartphone installieren. Dann müssen sie angeben, um welche Bäume der Stadt sie sich kümmern wollen.

Die App erinnert die Bürger in der Folge daran, wann sie die Pflanzen gießen müssen. Die App ist ebenso kostenlos, wie die Dienste der Bürger, die als freiwillige Spende an die Stadt verbucht werden. Alle zwei Tage brauchen die Bäume und Pflanzen in den warmen und heißen Monaten von Mai bis September knapp 15 Liter Wasser. Zumindest so lange, bis genügend Bürger fürs Gießen der Bäume gefunden werden, sind in Athen Fahrzeuge privater Dienstleister unterwegs, die offenbar im Auftrag der Stadtgemeinde die Bäume und Setzlinge gießen. Am gestrigen Sonntag entdeckten Athener Bürger entsetzt, dass bereits einige Bäume und Pflanzen vertrocknet sind.

Der „große Spaziergang“ war nicht abgesprochen

Mitten in der Corona-Krise hat sich der Athener Bürgermeister Kostas Bakoyiannis dazu entschlossen in Athen den „großen Spaziergang“ zu installieren. Dafür legte er große Hauptverkehrsstraßen der Hauptstadt lahm, ließ den Asphalt bemalen und in ziemlich unansehnlichen Blechkanistern Pflanzen installieren.

Die Aktion fand just zu dem Zeitpunkt statt, als die Regierung wegen der CoVid19-Pandemie die Bevölkerung dazu aufrief, mit dem Auto, statt mit dem öffentlichen Personennahverkehr zur Arbeit zu fahren. Ziel des umweltpolitisch kontraproduktiv erscheinenden Aufrufs ist es, die überfüllten Busse, Straßenbahnen und Metro-Wagons zu entlasten.

Schließlich kippte die Regierung für die Zeit der Pandemie auch das in der Athener City geltende Fahrverbot. Daktylios heißt die Regel, welche abhängig von der Ziffer der Nummernschilder bestimmt, an welchen Wochentagen ein griechisches Auto in den Bereich der Athener City einfahren darf. Faktisch ist dies bei Gültigkeit der Daktylios-Regel nur jeden zweiten Tag möglich.

Die Verkehrsberuhigung einer Stadt wie Athen ist im Allgemeinen ein sehr begrüßenswertes Projekt. Vollkommen unverständlich ist es aber, dies ohne jegliche Vorbereitung in Angriff zu nehmen. Bakoyiannis stimmte sich bei seinen Maßnahmen offenbar nicht mit seinem Onkel, dem griechischen Premier Kyriakos Mitsotakis, ab. Sein Ziel, die Umgestaltung Athens, verfolgt er trotz der Pandemie unverdrossen.

„Überraschende“ Konsequenzen

Er installierte am Omonia-Platz einen großen Springbrunnen, für den er private Geldgeber, aber offenbar keine Zeit fand, einen Architekten zu befragen. Bei der Eröffnungszeremonie des Brunnens wurden sämtliche Abstandsregeln und Pandemie-Schutzmaßnahmen übertreten. Mea culpa, meinte Bakoyiannis, der sich überrascht zeigte, dass sich mitten in einer Millionenstadt, „so viele Menschen versammelt haben“.

Offenkundig ebenso überrascht muss Bakoyiannis auf die Tatsache reagiert haben, dass die abrupte Verengung von Fahrbahnbreiten zentraler Arterienstraßen um knapp zwei Drittel rund um das historische Stadtzentrum Athens, die Innenstadt in einen riesigen Stau-„Parkplatz“ verwandelt.

Die auf einer Länge von 6,8 Kilometern erfolgten Maßnahmen legen nicht nur die betroffenen Viertel lahm. Der Verkehr staut sich daraufhin im gesamten Stadtgebiet des urbanen Athens. Im Umkreis von knapp sechs Kilometern rund um den zentralen Syntagma-Platz klagen die Bürger über eine Verlängerung ihres täglichen Wegs zur Arbeit um Stunden.

Sie wurden unvermittelt mit dem neuen Verkehrsverlauf konfrontiert. Die Fahrtrichtung einiger Einbahnstraßen wurde umgekehrt. Auf der Panepistimiou Straße vom Syntagma-Platz zum Omonia-Platz floss der Verkehr vor der Neuregelung faktisch sechsspurig. Nun können PKWs zwei Fahrstreifen nutzen.

Die Herodes Attikus Straße, die am Präsidentenpalast und dem Amtssitz des griechischen Premiers, dem Megaron Maximos, vorbei führt wird ebenso zur Fußgängerstraße mit eingeschränktem Kraftfahrzeugverkehr, wie Straßen rund um das Plaka-Viertel.

Warum die Eile bei vergleichsweise spärlichem Tourismus?

Die für den allgemeinen Straßenverkehr gesperrten Fahrspuren wurden mit Farbe markiert. Sie dienen als Radwege, Busspuren und als Spazierwege. Bakoyiannis Vorhaben soll es Touristen in Athen ermöglichen, die gesamte Innenstadt per pedes mit einem „großen Spaziergang“ zu begehen.

Dass es in diesem Jahr wegen CoVid19 kaum zum üblichen Touristenansturm auf die griechische Hauptstadt kommen wird, gehört zu den kleineren Details der Geschichte. Bakoyiannis wollte das Projekt, dessen Kosten auf 50 Millionen Euro veranschlagt wurden, über den Regionalförderungsfonds der EU finanzieren lassen.

Dafür gab es aber – nachdem die ersten Kosten bereits angefallen waren – eine rote Karte aus Brüssel. Dies berichten zahlreiche griechische Medien, die der Regierung und Bakoyiannis gegenüber durchaus positiv gesonnen sind.

Bereits der Brunnen am Omonia-Platz wurde ohne Ausschreibung, aber auch ohne architektonische Studie installiert. Begründet wurde dies mit der Eile, die für die Umgestaltung geboten war. Wieso diese Eile nun weiterhin bestehen soll, wo doch die Touristen wegen der CoVid19-Pandemie in Athen eher eine exotische Erscheinung, denn eine große Zielgruppe sind, darüber gibt es keine Information.

Heiß und teuer: Neue Sitzgelegenheiten aus Metall

Übermäßig viel akademische Planung scheint auch an anderen Ecken und Enden des Projekts zu fehlen. So wurden entlang des „großen Spaziergangs“, so auch am unteren Teil des zentralen Syntagma-Platzes metallische runde Kübel mit einer integrierten, ebenfalls metallischen Sitzgelegenheit installiert.

5.249,70 Euro pro Stück kosten sie. Bislang wurden fünf davon aufgestellt. Die Kübel, über deren geschmackliches Erscheinungsbild sich streiten lässt, wurden weiß angestrichen. Die Kübel ohne Sitzbank wurden von der Stadt mit 4.605 Euro pro Stück bezahlt. Sie haben die Maße 3 m * 3 m * 1 m.

Der Anstrich vermindert zwar die Absorption von Hitze im Vergleich zu schwarzem Metall etwas, aber die Aufheizung der Metallbänke reicht aus, um sich beim Sitzen - vor allen in kurzen Hosen oder im kurzen Rock - Beine und Gesäß zu verbrennen.

Diese Erfahrung machte, live vor laufender Kamera, die Reporterin, welche die staatliche Rundfunkanstalt ERT vor Ort geschickt hatte. Die Moderatoren im Studio, die eigentlich die Neugestaltung feiern und preisen sollten, reagierten überrascht. Eine Beschattung der Sitzbänke ist offenbar nicht vorhergesehen.

Miami in Griechenland: Meterhohe Palmen in Blumenkübeln

Entlang der nun verkehrsberuhigten Hauptverkehrsstraßen ließ Bakoyiannis Palmen pflanzen. Die mehrere Meter hohen Bäume sollen ein Flair von Miami in die griechische Hauptstadt bringen, feiert die wohlgesonnene Presse. Allerdings stecken die Palmen in 50 cm hohen Blumenkübeln. Sie sind auch in Straßen aufgestellt, in denen – nun in zweiter Reihe stehend wie in der Panepistimiou-Straße – bereits viele Bäume vorhanden sind.

Ob die Kübelpflanzung für die Palmen - die jedoch niedrig in die Erde gehende Wurzeln haben - auf die Dauer stabil ist, muss sich zeigen. Zudem ist fraglich, was in den regenreichen Wintermonaten passiert, wenn die Palmen in ihren Kübeln im Wasser stehen. Palmen neigen zur Wurzelfäule…

Schließlich bleibt noch ein weiterer Parameter des Projekts, der Fragen aufwirft: die Kosten. Metallische Blumenkübel mit den Maßen 1,50 m * 0,5 m * 0,5 m wurden mit 550 Euro pro Stück bezahlt. Die bislang bestellten 570 Kübel kosten somit 313.500 Euro. Parkbänke wurden mit mehr als 5.000 Euro berechnet. Blutpflaumensetzlinge schlugen mit 600 Euro pro Stück zu Buche.

„Was heißt das konkret für mich!?“

Trotz aller Ausgaben erscheint das gesamte Projekt wie ein Provisorium. Das ist schade und birgt die Gefahr, dass ein Scheitern neue Ruinen in Athen zurücklassen könnte.

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