Es ist doch erstaunlich, wie gut sich die Menschen in der Kunst verstehen, die Fakten so zurechtzulegen, dass sie zu ihrer Meinung passen. Ob die Argumentation, die dabei verwendet wird, schlüssig, ausgewogen, sachlich und kritisch geprüft ist oder die Gegenargumente zu Genüge berücksichtigt sind, bleibt nicht selten vernachlässigt. Die Hauptsache ist, dass man sich mit der Schlussfolgerung gut fühlt und dass das positive Selbstbild bestätigt wird – auch wenn es nicht zutrifft. Der Versuch, Informationen zurechtzubiegen oder stur auszublenden, um die eigene Weltanschauung nicht ins Wanken zu bringen, ist in der Psychologie als Kognitive Dissonanz bekannt.

Die meisten Menschen haben das Bedürfnis, sich selbst in einem positiven Licht zu sehen. Wir betrachten uns selbst als vernünftig, moralisch und klug. Wenn die Realität uns mit der Tatsache konfrontiert, dass wir uns irrational, gewissenlos oder töricht verhalten haben, empfinden wir ein Gefühl des Unbehagens bzw. der Dissonanz. Um die innere unangenehme Spannung, die durch den Widerspruch von Verhalten und Wissen entsteht, zu reduzieren oder aufzulösen, bedient man sich verschiedener Möglichkeiten.

Beispielsweise sind sich Raucher dessen bewusst, dass Zigaretten ungesund sind. Wenn sie sich trotz des Wissens um die gesundheitsschädlichen Folgen den Glimmstengel anzünden, sorgt das für Kognitive Dissonanz. Der offensichtlichste Weg wäre es natürlich, mit dem Rauchen aufzuhören. Doch diese Maßnahme ist auch die beschwerlichste, da die Sucht und die Qualen der Entzugserscheinungen einer einfachen Umsetzung im Weg stehen. Um die Unstimmigkeit aufzulösen bzw. ohne Reuegefühle weiter zu rauchen, wird der Raucher kreativ. Er beruft sich beispielshalber auf Studien, die besagen, dass Rauchen ungefährlich sei oder das Gesundheitsrisiko sehr viel geringer ausfiele als gemeinhin angenommen. Und wenn man genug Sport treibe, sei es gar nicht so schlimm. Und außerdem: „Der Kettenraucher Helmut Schmidt raucht schon seit Jahrzehnten wie ein Schlot, und der ist für seine 95 Jahre beachtlich fit. Das zeigt doch, dass Rauchen gar nicht so schädlich für die Gesundheit sein kann.“ Die Rechtfertigungsgründe können sogar so weit gehen, dass die „Vorteile“ des Rauchens betont werden. Dann werden Begründungen, wie etwa die entspannende Wirkung, der Stressabbau, das Unterdrücken von Hungergefühlen oder die Stärkung der Konzentrationsfähigkeit in den Vordergrund gestellt.

Auf den börsenpsychologischen Bereich bezogen, spielt die Kognitive Dissonanz eine wichtige Rolle. Sie übt erheblichen Einfluss auf den Umgang mit Informationen und das Entscheidungsverhalten aus. Der Anleger, der in der Regel ein positives Selbstbild von sich hat, betrachtet sich als guten Börsianer, der die Märkte durchblickt, bei seinen Investments geschickt agiert und schlichtweg erfolgreich ist. Doch wenn die Kurse seiner Engagements sich in die unerwünschte Richtung bewegen, löst das verstimmende Kognitive Dissonanzen aus, die er schnell wieder loswerden möchte. Um diese zu verringern, bedient er sich aus einer Vielzahl von Heuristiken (vereinfachende Daumenregeln) und Herangehensweisen, die teils schon in den vorangegangenen Artikeln ausführlich behandelt wurden. Einige davon seien an dieser Stelle kurz wiederholt und andere neu aufgegriffen:

Grundsätzlich nehmen wir wegen der beschränkten Aufnahmekapazität des Gehirns selektiv wahr. Probleme werden auf Grund von eigenen Erfahrungen unwillkürlich strukturiert, und unsere Erwartungshaltung beeinflusst auch unsere tatsächliche Wahrnehmung. Diese selektive Wahrnehmung beruht aber sehr häufig auch darauf, dass manche Informationen gar nicht wahrgenommen werden wollen. Im Kontext zur kognitiven Dissonanz wird die selektive Wahrnehmung - durch den Wunsch die Dissonanz zu vermeiden - noch verstärkt.

Das ebnet den Weg zu dem so genannten Bestätigungsfehler (Confirmation Bias). Dabei werden diejenigen Informationen gesucht oder sie werden dahingehend interpretiert, dass die eigene Meinung dadurch bestätigt wird. Die Confirmation Bias geht typischerweise damit einher, dass man glaubt, das verwendete Wissen sei exakt und umfassend. Zudem ist es für diese Urteilsheuristik charakteristisch, dass sie zu hoher Risikobereitschaft verleitet.

Weiterhin kommen zur Erlangung von Dissonanzfreiheit häufig der Fokus-Effekt und der Strauß-Effekt (Ostrich Effect) zur Anwendung. Beim Fokus-Effekt werden einzelne Informationen oder Gesichtspunkte eines bestimmten Ereignisses übergewichtet, wodurch eine Wahrnehmungsverzerrung resultiert. Der Strauß-Effekt greift auf das bekannte Bild zurück, dass der Strauß seinen Kopf in den Sand steckt und glaubt nicht gesehen werden zu werden, wenn er selber nichts sieht. In der Behavioral Finance steht dieser Effekt für die Verdrängung bzw. das Ignorieren augenscheinlich nachteiliger Situationen. Die Ausblendung der unbehaglichen Wirklichkeit führt oft dazu, dass ihre negativen Konsequenzen an Eigendynamik gewinnen und sich ungebremst verschlimmern.

Der Wunsch sich nicht unwohl fühlen zu müssen macht darüber hinaus nicht Halt davor, einfach die Vergangenheit neu zu erfinden. Beim Hindsight-Bias (Rückschaufehler) erinnert sich der Mensch falsch an seine früheren Vorhersagen, nachdem er den Ausgang seiner damaligen Prognosen mittlerweile kennt. Die Erinnerungen werden quasi manipuliert, um sich durch diese Selbsttäuschung von der damit verbundenen Dissonanz zu befreien. Forscher stellten zum Beispiel fest, dass sich Fondsbesitzer daran zu erinnern glaubten, ihre Fonds hätten erheblich besser abgeschnitten, als es tatsächlich der Fall war. Viele Anleger sind auch davon überzeugt, dass sie einen Crash hatten kommen sehen, obwohl sie in Wirklichkeit davon kalt erwischt wurden.

Das Wissen um das Bestehen von Kognitiven Dissonanzen alleine reicht sicherlich nicht aus, um ums dahingehend zu verändern, dass wir uns schlagartig zum rationalen und nutzenmaximierenden Homo oeconomicus verwandeln. Dazu sind die (neuro-)psychologischen Ursachen für das Zustandekommen irrationaler Verhaltensanomalien zu tief in uns verankert. Das Verlangen Kognitive Dissonanzen loswerden zu wollen, ist vergleichbar mit einem Hunger- oder Durstgefühl, das der Anleger so schnell wie möglich beseitigen möchte. Um sich nicht dazu hinreißen zu lassen, impulsiv und unbedacht mit schönfärbenden Heuristiken der Dissonanz entgegenzutreten, bedarf es, sich die eigenen Fehler beharrlich vor Augen zu führen. Eine Vielzahl von Heuristiken der Informationswahrnehmung und -verarbeitung weisen Überschneidungen auf, wenn es um ableitbare Handelsstrategien aus den Erkenntnissen der Behavioral Finance geht. Eine grundlegende Regel dabei lautet, bei Themen, zu denen wir uns eine feststehende Meinung gebildet haben, gezielt nach Gegenargumenten zu suchen und zu versuchen, die gegenteilige Ansicht so zu begründen, als seien wir davon überzeugt. So schafft der Anleger, der seine irrationalen Verhaltensanomalien auf diese Weise Schritt für Schritt abbauen möchte, eine Basis für vernunftmäßigere Entscheidungen in der Zukunft.

Beitrag senden

Drucken mit Kommentaren?



href="javascript:print();"