Als ehemaliger Banker und auch in den letzten 13 Jahren als Honorarberater habe ich immer wieder erfahren müssen, wie gering das finanzielle Basiswissen vieler Bürger doch oftmals ist. Wie wenig sie sich mit ihren eigenen Finanzen beschäftigen und wie gutgläubig sie daher (teils auch blind) ihren Bank- oder Finanzberatern vertrauen.
Woran liegt das? Sind Finanzthemen so abstrakt, so kompliziert, als dass es sich nicht lohnt, sich eingehender damit zu beschäftigen. Oder spricht man aus Tradition oder falsch verstandener Scham einfach zu wenig, oder gar nicht über Geld?
2009 fand in Berlin eine Fachtagung zum Thema „Anforderungen an die Finanzvermittlung – Verbraucherschutz im Zeichen der Finanzmarktkrise“ statt, zu der Ilse Aigner (damalige Verbraucherschutzministerin) bat. Ich war damals eingeladen, als die oben genannte Studie (http://tk.eversjung.de/www/downloads/kanon_broschuere_druckversion.pdf) mit viel Enthusiasmus einer großen Anzahl von Politikern, Vertretern der Finanzwirtschaft und Verbraucherschutzorganisationen vorgestellt wurde.
Eine Aufbruchsstimmung machte sich bei mir breit. Verbraucher müssen mehr informiert und aufgeklärt werden – am besten schon in der Schule beginnend. Die Beratungsqualität muss sich nachhaltig verbessern, Kostenstrukturen bei Finanzprodukten müssen transparenter, die Honorarberatung massiv gefördert und der Interessenskonflikt zwischen Kunden und Bankeninteressen damit aufgelöst werden. Juchhuuu…
Doch schon in der ersten Pause der Fachtagung hat mir ein Mitarbeiter des Bildungsministeriums hinter vorgehaltener Hand mitgeteilt, dass die Erkenntnis, finanzielle Bildung müsse schon in der Schule beginnen, einen langen Zeitraum bis zur Umsetzung benötige. Berlin habe keinen Einfluss auf die Bildungspolitik der Länder. Die vielen „Einzelkönige“ vor Ort wären für die Umsetzung zuständig, da Bildungspolitik Ländersache ist. Was dieser Satz bedeutet, habe ich in Gesprächen mit dem Bildungsministerium von Mecklenburg-Vorpommern am eigenen Leib erfahren. Doch dazu kommen wir in meinem nächsten Beitrag.
Es geht um Millionen!
Gut zwei Mio. EUR kann ein gut ausgebildeter Arbeiter/Angestellter in seinem Erwerbsleben verdienen (brutto versteht sich). Ein Teil davon geht für Sozialabgaben und Steuern weg. Der Rest verbleibt zur eigenen Verwendung. Da jeder verdiente Euro nur einmal ausgegeben werden kann, ist es notwendig zu entscheiden, wofür ich ihn ausgebe. Ob für Konsum, Risikoabsicherung, Kredit oder Sparanlagen.
Was ist finanzielle Bildung?
Sie ist nicht – wie von den meisten, mit denen ich darüber gesprochen habe, angenommen – die Vermittlung von Produktwissen. Also nicht die Antwort auf die Fragen: „Wie funktioniert eine Versicherung?“, „Wie investiere ich am besten mein Geld?“ oder „Wie finde ich die besten Kreditkonditionen?“. Das wäre so, als ob ich einem Kleinkind das Fahrradfahren beibringen möchte, bevor es das Laufen gelernt und ein Gefühl für das Gleichgewicht bekommen hat.
Finanzielle Bildung soll den Bürger befähigen, seine eigene finanzielle Situation richtig zu erfassen und zu bewerten, finanzielle Ziele definieren und Handlungsalternativen abwägen zu können. Im Unterschied zu der bisher meist produktorientierten Systematisierung deckt diese Herangehensweise auch Themen ab, die mit der konventionellen Produktlogik nicht erfasst werden.
Der richtige Umgang mit Finanzen hat zu über 70% mit Psychologie zu tun. Angst und Gier sind zwei völlig menschliche Charaktereigenschaften, mit denen jeder anders umgeht, die jeder anders kontrollieren kann. Auch die eigene Einstellung zum Leben, zum Miteinander, zur Eigenverantwortung – also viele, ganz persönliche Eigenschaften – spielen eine nicht unwesentliche, vielleicht sogar die Hauptrolle bei der Bewältigung der eigenen Finanzen.
Denkbeispiel Autokauf
Wie schwierig es ist, Ziele richtig zu erkennen und zu definieren, zeigt folgendes Denkbeispiel: Was möchte ein Kunde, der sich im Autohaus Fahrzeuge anschaut? Was ist sein Ziel? Ein Auto kaufen, mögen die meisten denken. Ich sage NEIN!
Das primäre Ziel bzw. der eigentliche Wunsch ist, von „A“ nach „B“ zu kommen. Der Kunde ist jedoch - durch sein Umfeld, Werbung oder Erfahrungen geprägt und beeinflusst – der Meinung, dass ein Auto hier die richtige Lösung ist.
Er hat somit das wahre Ziel nicht erkannt, Alternativen (Fahrrad, Bus, Bahn, Carsharing, zu Fuß gehen…) nicht bedacht und die Kostenunterschiede nicht berücksichtigt. Gut für den Autohändler.
Das Umfeld, die Familie, Freunde - aber auch die Politik, die Werbung und der Drang nach vermeintlicher Unabhängigkeit, haben bei vielen von uns das Auto zu mehr gemacht, als es in Wirklichkeit ist. Heute verbirgt sich hinter einem Auto der Wunsch nach Status, Selbstverwirklichung, Mobilität, Flexibilität, Selbstbestimmtheit und und und…
So ist es auch bei den privaten Finanzen. Wir werden in unseren Entscheidungen immer wieder beeinflusst. Und das nicht immer positiv. An Informationen hapert es nicht. Das Internet ist voll davon. Doch woher sollen wir wissen, wonach wir suchen müssen, wenn wir noch gar nicht wissen, was wir wirklich wollen?
Ziele sind wichtig, denn Sie geben uns Orientierung, Halt und Motivation. Wer keine Ziele hat, dem ist der Weg egal! Und wem der Weg egal ist, der ist anfällig für „Ablenkungen“, die links und rechts am Wegesrand warten. Die kosten im Idealfall nur Zeit – im schlechtesten Fall Zeit und Geld.
Finanzielle Bildung ist also Hilfe zur Selbsthilfe, ist die Vermittlung von Analyse- und Entscheidungskompetenzen, die Suche nach sich selbst, die Einstellung zu Dingen, die Motivation, seine finanziellen Angelegenheiten eigenverantwortlich in die Hände zu nehmen.
Umfrage wirft Fragen auf
Einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts NFO-Infratest zufolge gaben 66% der befragten Jugendlichen an, ihre „finanzielle Bildung“ von den Banken und Sparkassen erhalten zu haben, 57% von der Familie und 46% von Freunden und Bekannten - und nur drei Prozent aus der Schule. Die Medien tauchten gar nicht auf.
Auf die Frage, woher sie denn gerne Finanzbildung erhalten wollen, erwarten 72% der befragten Jugendlichen dieses von der Schule und 67% von den Medien.
Wie sehen denn die derzeitigen Konzepte von Politik und Medien aus, um dieser Anforderung zu entsprechen? Eine Bestandsaufnahme und Einschätzung im nächsten Beitrag.
Kommentare
Vielleicht sollte die Gesellschaft beibringen dass dies eben eine Hol-Schuld ist. Ein Hund sollte man auch nicht zum Jagen tragen...
Wenn man selbst Kinder hat, dann versteht man sehr gut, warum sie dieser Holschuld nicht nachkommen können! Ich bin Mutter von einem 15-jährigem Gymnasiasten und zudem Bankfachwirtin in der Kundenberatung! Wenn man sich mal nur diese Flut an Informationen und die Anzahl der Kanäle genauer anschaut, über die diese Flut auf die Jugendlichen herein schwappt, so ist man sehr herausgefordert die Wahrheit und Realität zu erkennen, wenn es sie überhaupt über diese Kanäle des Internets gibt! Haben sie wirklich alle Informationen, an die sie herankommen, gefunden, wenn sie auf der Jagd sind, die nötig sind, um sich ein eigenes Bild zu machen? Ich spüre wie sie denken, aber als Jugendlicher hat man es in der heutigen Welt schwerer als jemals zuvor seine eigene Meinung zu bilden!!! Diese zu vertreten, nicht mehr, denn dazu hat man ja dann wiederrum alle Kanäle offen ;-)
Ich war selbst jung und sehr interessiert am Weltgeschehen (immer noch) und das ist mein Sohn auch. Er hat aber ganz andere Fallstricke zu umgehen, als ich es vor über 20 Jahren musste. Er ist nicht zu beneiden! Und ich finde trotzdem, dass die finanzielle Bildung auch zum Elternhaus gehört und eine Verpflichtung und Verantwortung für die Eltern darstellt. Nur gehen die Meisten in diesem Bereich genauso vor, wie sie es von ihren Eltern gewohnt sind. Doch leider ist das in unserer sich immer schneller drehenden und verändernden Welt nicht mehr zeitgemäß und zielführend. Die Eltern fühlen sich dem immer weniger gewachsen. Sie verlieren langsam den Überblick oder hatten ihn noch nie! Somit wäre es tatsächlich zu überlegen, ob nicht die Schule in Zusammenarbeit mit den Banken diese wichtige Aufgabe übernehmen kann. Zum Glück wurden Börsenspiele ins Leben gerufen, die schon mal einen Anfang für die finanzielle Bildung gemacht haben. Manche finden es toll und profitieren lebenslang davon, manche können damit nichts anfangen. Das wiederum hat andere oder doch ähnliche Ursachen, wie das erwähnte Problem vom vorherigen Kommentar?! Kann man unsere Kinder wirklich mit Hunden vergleichen, die jagen gehen? Vielleicht mit jungen Hunden oder Welpen. Müssen junge Hunde nicht auch eine Zeit lang an der Leine geführt werden, bis sie erwachsen sind? Erst dann können sie jagen und ihre Holschuld erfüllen. In der heutigen Welt ist das nicht mehr so einfach. Alles wird komplexer und um diese Dinge zu verstehen, ist ein Vorwissen unerlässlich. Das muss aber Hand und Fuß haben und nicht aus dem Internet zusammengesucht sein!
Wissen ist eine Holschuld, dass was dir gebracht wird ist Meinung.
Sehr geehrter Herr Borsch,
ich stimme ihrem Artikel grundsätzlich zu.
Aber was nützt einem die Fähigkeit, ein Finanzprodukt unter psychologisch und unter vermarktungsstrategischen Gesichtspunkten richtig einschätzen zu können, es möglicherweise sogar für seine persönlichen Belange optimieren zu können, wenn ich nicht weiß was Geld ist.
Wenn man schon in den Schulen beginnen will, dann doch bitte beim kleinen 1 x 1 und nicht gleich bei der Algebra.
Gehen sie einmal in eine Sparkassen Filiale, schnappen sie sich einen mittleren Sparkassenbetriebswirt, der berechtigt ist Kredite bis zur Höhe von 1 Mio € zu vergeben und stellen sie ihm die folgenden Fragen:
In welchem Moment entsteht Geld?
Woher kommt das Geld, welches er als Kredit vergibt?
Wie steigt die im Umlauf befindliche Geldmenge?
Wie sind die deutschen Goldreserven entstanden?
Bretton Woods, Dollar Leitwährung, Goldstandard etc. etc......
Ich sage ihnen, die Antworten fallen abenteuerlich aus.
Die richtigen Antworten sind aber unbedingte Voraussetzung, um die Spielregeln unseres finanziellen Miteinanders zu verstehen. Danach kann ich mich mit den Spielzügen oder anders gesagt mit den Finanzprodukten beschäftigen.
Das Problem ist mehr das FEHLENDE Interesse. Das ist das gleiche, wie man es in der Politik beobachten kann. Wären 90% der Bevölkerung nicht so träge, dass sie sich mit den Fake-News der Tagesschau zufrieden gäben - wir hätten längst eine ganz andere kritischere Bevölkerungsstruktur und auch Medienlandschaft.
Solange aber alles so funktioniert und nur von ganz wenigen hinterfragt wird, wird sich auch nichts ändern!
Durch das Internet ist es allerdings leichter und es geht mitunter schneller. Das Basiswissen über Finanzprodukte erfordert zudem keine speziellen Kenntnisse im Hinblick auf die Vorbildung. Jeder der die Grundrechenarten anwenden kann, sollte in der Lage sein Basisfinanzprodukte zu beurteilen. Natürlich nach erfolgter Belehrung bzw. Unterrichtung des entsprechenden Produktes und der Konsequenzen daraus.
Dementsprechend kann ich Herrn Borsch nur zustimmen. Dies ist ein wirklich guter Ansatz. Je früher und je intensiver, desto besser. Für alle Altersklassen!
Grosse.ina sagt genau das Richtige im Fall unserer Kinder. Diese erwarten keineswegs zuviel von uns Erwachsenen, wenn sie sich darauf verlassen, dass wir ihnen etwas über das wirkliche Leben beibringen. Unaufgefordert. Diese Wissensvermittlung sollte dann auch mit einem Schulfach Finanzen gestärkt werden. Das ist schon lange überfällig.
Der oben gemachte Vergleich zwischen Hunden, die zum Jagen abgerichtet werden und Jugendlichen die Basisfinanzprodukte kennenlernen und verstehen sollen verstehe ich nicht. Ich verstehe den Zusammenhang nicht.
finanzielle Wissen.?
Alle würden das Finanzsystem oder das Bildungssystem verstehen.
Die Massenmanipulation der Medien oder die Äußerungen der Politik....usw.
Eine Katastrophe.
Manche Dinge sind für die Masse garnicht gewollt.Stelle man sich mal vor die Masse wären Unternehmer wie Google, Ikea und Co.
Ne,ne. Brav in die Schule und dann an die Werkbank oder an den Schreibtisch.
Den Mobilfunkvertrag, das Leasingfahrzeug und das vollfinanzierte Eigenheim weil die Zinsen ja gerade so niedrig sind.
Beide Elternteile Vollzeit und die Kinder fremd erzogen in der Ganztagsschule.
Ziele und Werte aus dem Fernsehprogramm oder YouTube Channel.
Das zum Thema Familie und finanziellem Wissen.
Das Internet ist sicherlich die beste Bibliothek, wo jedermann Informationen beziehen kann.
Es gibt allerdings auch viele Pferde.
Deshalb kann aber nicht jeder gleich reiten.