„Und alle entdeckten sie Öl, viel Öl. In Baku war es gar nicht nötig, danach zu bohren, das Öl lag in schwarzen Lachen, ja manchmal riesigen Seen direkt unter der Erdoberfläche, und gelegentlich war der Fluss des Rohöls sogar so stark, dass ganze Häuser am Ufer des Kaspischen Meeres davon hinweggespült wurden. Sehr schnell wurde der einstige, von Mauern umgebene Karawanvorposten zum Zentrum der aufblühenden Ölindustrie in der Welt, und lieferte mehr als die Hälfte des weltweit geförderten Rohöls. Und aus dem Profit entstand eine fantastische Stadt des 19. Jahrhunderts mit extravaganten Villen, Moscheen, Kasinos und Theatern, die alle erbaut wurden, als Baku der Sitz der Rothschilds, der Nobels und dutzender so genannter einheimischer muslimischer Ölbarone war(...)"

Diese Zeilen, aus dem lesenswerten Buch “Der Orientalist: Auf den Spuren von Essad Bey“ von Tom Reiss, welche sich auf die Zeit vor dem ersten Weltkrieg beziehen, sind auch heute wieder von beklemmender Aktualität.

Baku - eine eurasische Hypermetropole

Die aserbaidschanische Hauptstadt wurde in den letzten Jahren zu einer eurasischen Hypermetropole umgestaltet und hinterlässt bei ihren Besuchern einen tiefen Eindruck. Aserbaidschan heißt in seiner ursprünglichen Bedeutung "Das Land des Feuers". "Azar" lautet das alte persische Wort für Feuer: Schon vor Jahrtausenden war Aserbaidschan mit einem Reichtum an Öl und Gas gesegnet, so dass an den Hügeln und Berghängen entlang des Kaspischen Meers Flammen loderten.

Der Reichtum an Rohstoffen hat Aserbaidschan nicht nur wohlhabend gemacht, wobei der Wohlstand sehr ungleich verteilt ist, sondern auch Begehrlichkeiten geweckt, in den Nachbarstaaten und darüber hinaus - wie vor über 100 Jahren schon.

Türkei - die Schutzmacht von Aserbaidschan

Die Türkei definiert sich als Schutzmacht Aserbaidschans, basierend auf der sprachlichen Verwandtschaft der beiden Turkvölker. Das Staatsgebiet Armeniens, welches sich wie ein Riegel zwischen die Türkei und Aserbaidschan schiebt, zerschneidet nahezu eine direkte territoriale Verbindung zwischen den turanischen Staaten, also den Staaten der turksprachigen Welt, deren riesiges Territorium sich von Anatolien, über den Kaukasus und das Kaspische Meer hinweg nach Zentralasien ausdehnt, wo Kasachstan, Usbekistan, Kirgistan und Turkmenistan dazu gehören. Tadschikistan bildet als iranischsprachige Republik die Ausnahme, ebenso die turksprachigen Gebiete im Westen Chinas, dem Siedlungsgebiet der Uiguren.

Die Republik Arzach

Zum Nachbarland Armenien, dessen Truppen ca. 20 % des aserbaidschanischen Territoriums besetzt halten, unterhält Aserbaidschan - ebenso wie die Türkei - keine diplomatischen Beziehungen. Das Verhältnis beider Völker ist historisch aufs Äußerste belastet.

Mit dem Niedergang der UdSSR kam es in Aserbaidschan zu blutigen Pogromen gegen Armenier, die schnell auf alle Städte übergriffen, in Baku aber ihren fürchterlichen Höhepunkt fanden. Daraufhin wurde auch die aserbaidschanische Minderheit in Armenien massakriert und vertrieben.

Erst mit dem Einmarsch der Roten Armee 1991 wurde dem blutigen Treiben in Baku ein Ende gesetzt, was aber den Weg zur Unabhängigkeit beschleunigte. Das Wort „Gorbatschow“ fungiert in Aserbaidschan noch heute als Schimpfwort.

Die Region Bergkarabach hatte sich schon 1990 für unabhängig von Aserbaidschan erklärt, ein Prozess der von Massakern und Gewalttaten begleitet wurden und bei vielen Armeniern die Furcht vor einem neuen Völkermord durch Türken und Azeris - wie im Jahr 1915 - hervorrief, wobei die Übergriffe von beiden Seiten ausgingen.

1994 kam es zu einem Waffenstillstandsabkommen. Bergkarabach wird seitdem von Armenien kontrolliert aber auch von Baku und Eriwan beansprucht. Seitdem kam es immer wieder zu Scharmützeln und bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen armenischen und aserbaidschanischen Verbänden.

Bergkarabach wird von der internationalen Staatengemeinschaft als Bestandteil Aserbaidschans angesehen, von Armenien aber als unabhängiger zweiter armenische Staat - die sogenannte Republik Arzach.

Erdogan macht ernst

In diesem Sommer spitzen sich die blutigen Zusammenstöße zu, wobei die Türkei von Anfang an ihre direkte Unterstützung Aserbaidschans bekundete. Schon in der Vergangenheit ließ Präsident Erdogan verlautbaren, im Ernstfall Aserbaidschan "bis zum Schluss" zu unterstützen. Dieser Tage machte er Ernst.

Konkreter sind Berichte über Kämpfer aus Syrien, die von einer türkischen Sicherheitsfirma für einen Einsatz in Aserbaidschan angeworben worden sein sollen. Der britische "Guardian", die französische Zeitung "L'Express", die Agentur Reuters sowie die Nahost-Expertin Elizabeth Tsurkov fanden Zeugen, die die Rekrutierung von Söldnern in Syrien bestätigten. Die Rede ist von 300 bis 4.000 Männern.

Diese kämpften unter türkischer Führung für die "Syrische Nationalen Armee" (SNA), ihnen sei versprochen worden, nur für den Schutz von Infrastruktur in Aserbaidschan eingesetzt zu werden, schrieb Tsurkov in Tweets. Es gebe aber bereits Informationen über getötete und verletzte Syrer von der Frontlinie in Aserbaidschan. Dies meldete die Tagesschau, ebenso wie zahlreiche andere internationale Nachrichtenagenturen

Aserbaidschan - vom Westen aufgerüstet

Aserbaidschan selbst ist militärtechnisch auf dem neuesten Stand und wurde in den vergangenen Jahren massiv aufgerüstet, neben der Türkei auch seitens Israels, den USA, sowie anderen westlichen Staaten, während Armenien, das älteste christliche Land der Welt, Russland und Iran als seine historischen Schutzmächte ansieht. Weiteres lesen Sie hierzu in meinem Artikel Schüsse im Südkaukasus aus dem Juli dieses Jahres.

Was die Beziehungen zum Iran angeht, so lässt sich sagen, dass Armenien ohne den südlichen Nachbarstaat seit seiner Unabhängigkeit 1991 kaum überlebt hätte. Die geschlossenen Grenzen zu Aserbaidschan und der Türkei erdrosseln die Perspektiven Armeniens nahezu.

Obwohl Aserbaidschan in keiner Weise westliche Menschenrechtskriterien erfüllt, die vom benachbarten Iran beispielweise angefordert werden, pflegt die Kaukasusrepublik bisher engste Beziehungen zum Westen. In Baku befindet sich der einzige Zugang des Westens zu den unermesslichen Rohstoffquellen des Kaspischen Meeres, jenseits des Herrschaftsgebiets des Irans und Putins Russland.

Das „Great Game“ ist voll entbrannt

Neben seinem Interesse an engen Beziehungen zu den turksprachigen Staaten geht es dem türkischen Präsidenten eben auch um einen Zugang zum Kaspischen Meer, in diesem „Great Game“ welches voll entbrannt ist.

Hier stoßen nicht nur die Interessen Moskaus, Ankaras, Teherans und des Westens aufeinander, sondern auch die der Volksrepublik China im Rahmen des Seidenstraßenprojektes, welches durch Zentralasien verläuft, kommen hinzu.

Die Region um das Kaspische Meer ist aufgrund ihrer Energieressourcen zu einer Zone des weltweiten Interesses geworden, in der sich ein neues Kräftegleichgewicht entwickelt. Der Politikwissenschaftler Rainer Freitag-Wirminghaus schrieb dazu:

"Der Kampf um die Erdöl- und Erdgasreserven hat dabei den Begriff von einem neuen "Great Game" geprägt, dessen Auswirkungen vom Balkan bis nach China reichen. Die Bedeutung der Region im globalen Zusammenhang ist gestiegen, der von einigen vorhergesagte Abstieg zu einer "grauen Zone" der Weltpolitik hat nicht stattgefunden. In der internationalen Wahrnehmung läßt sich um das Kaspische Meer herum die "Geburt einer neuen Region" beobachten. Das Meer, das eigentlich die Kaukasusregion von Zentralasien trennt, verknüpft heute beide Teile zu einem großen euroasiatischen Wirtschaftsraum mit der Kaspischen Region im Zentrum. Diese könnte nach dem Persischen Golf zum zweiten Hauptgebiet für Hydrokarbonreserven in der Welt aufsteigen. Der wachsende weltweite Bedarf und die Möglichkeit einer für den Westen wichtigen Alternative zum Nahen Osten kommen dieser Entwicklung entgegen."

„Was heißt das für mich konkret!?“

Erdogans Engagement im Südkaukasus deckt sich mit den Großmachtambitionen, die seit geraumer Zeit ein außenpolitisches Kennzeichen des NATO-Staates Türkei geworden sind.

Ob in der Ägäis, in Katar, am Persischen Golf, in Libyen, in Nordsyrien oder Nordirak, auf dem Balkan oder eben in der Region um das Kaspische Meer, wird der türkische Einfluss, flankiert von alten Kalifatsträumen, ausgebaut.

Die westliche Staatengemeinschaft lässt der Türkei freie Hand, lediglich der französische Präsident Macron legt sich mit Ankara an, was Rückschlüsse über den Zustand und den inneren Zusammenhalt der NATO erlaubt.

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