Die britische Premierministerin Theresa May kann hellsehen: „Höchstwahrscheinlich“ sei Russland für das Attentat auf den russisch-britischen Ex-Doppelagenten Sergej Skripal und seine Tochter in Salisbury verantwortlich. Das habe eine Analyse des verwendeten Gifts ergeben, eines Nervenkampfstoffes, der früher in der Sowjetunion hergestellt wurde.

Und sofort wird Mays Unterstellung von fast allen westlichen Medien übernommen. Es wird vermutet und angeklagt, obwohl nichts bewiesen ist. Wenn Theresa May Russland dann noch ein Ultimatum stellt, ist die Täuschung perfekt und die bislang im Recht aller zivilisierten Staaten geltende Unschuldsvermutung – in dubio pro reo – wird in ihr Gegenteil verkehrt.

Die Sprachrohre der Kriegshetzer

In der New York Times heißt es unter der Überschrift "Wladimir Putins toxischer Arm“: „Die britische Premierministerin Theresa May gab das Ende eines Rätsels bekannt, das genau genommen kein Rätsel war … Der ‚willkürliche und rücksichtslose‘ Angriff auf Mr. Skripal war so entsetzlich, furchterregend und öffentlich wie möglich inszeniert worden. Er hatte eindeutig den Segen von Präsident Wladimir Putin.

Aus der WELT ist zu erfahren: „Die Nato hat sich sehr besorgt über die Vergiftung des Ex-Spions Sergej Skripal und seiner Tochter gezeigt. ‚Der Einsatz von jeglichem Nervengas ist vollkommen inakzeptabel‘, teilte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg mit. US-Außenminister Rex Tillerson warf Russland am Montag eine Beteiligung an dem Fall vor.

An anderer Stelle meldet die WELT: „Deutsche Außenpolitiker fast aller Fraktionen verurteilten den Nervengift-Angriff scharf.“ So der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich und der Grünen-Außenexperte Omid Nouripour, der den Giftanschlag als einen „Angriff auf ein EU-Mitglied“ ansieht, „der einer europäischen Antwort bedürfe“. Nouripour: „Deswegen müssen die Außenminister der EU schnell zusammenkommen, um sich auf eine gemeinsame Linie zu verständigen.“ Der FDP-Außenexperte Alexander Graf Lambsdorff möchte „Großbritannien bitten, uns zu sagen, was es von seinen Verbündeten erwartet“. Im Deutschlandfunk war bereits zu hören: „Die EU-Kommission hat Großbritannien im Fall des vergifteten Doppelagenten Unterstützung zugesagt.

Es ist ein ekelerregendes Spiel mit dem Feuer, das sich die Propagandisten, die sich Politiker nennen, im Namen der Bevölkerung ihrer Länder erlauben. Putin, Putin, Putin, angeblich ist er an allem schuld, soll sogar den Befehl erteilt haben, den Doppelagenten zu vergiftet. Die Beschuldigungen sind an Absurdität und Perfidie nicht mehr zu überbieten. Kaum Gegenstimmen, die sogenannten Qualitätsmedien sind – nicht erst in diesem Fall – nahezu auf ganzer Linie zu Sprachrohren einer verlogenen und kriegshetzerischen Politik verkommen. Ob Russland wirklich schuldig ist – was letztlich nicht ausgeschlossen werden kann – spielt überhaupt keine Rolle mehr, Russland soll schuldig sein und wird für schuldig erklärt.

Doch es gibt sie noch, die Gegenstimmen

Nur wenige Lichtblicke, aber es gibt sie immerhin: Der ehemalige Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Willy Wimmer, schreibt <link wirtschaftsfacts beitrag theresa-may-und-die-lizenz-zur-randale>gestern hier auf Cashkurs: „Das übliche Spiel gegen Russland, diesmal vor der Fußball-Weltmeisterschaft, soll aufgezogen werden. Am besten direkt vor der russischen Präsidentschaftswahl in wenigen Tagen … Theresa May besitzt noch die Unverfrorenheit, die EU und die NATO bei ausbleibenden Beweisen zu Salisbury ins Spiel zu bringen. So macht man im westlichen Szenario Kriegsvorbereitung, aber löst keine Kriminalfälle.

Albrecht Müller, Ex-MdB und Herausgeber der NachDenkSeiten, ist der Ansicht: „Wer diesen Anschlag verübt hat, ist ungewiss. Es ist alles möglich. Das kann von Russen verursacht sein. Dahinter können offizielle Stellen in Russland stecken. Es kann von westlichen Geheimdiensten arrangiert worden sein, um den Russen einen Mord unterjubeln zu können. Die britische Premierministerin versucht nun die Ursache dadurch festzuklopfen, dass sie von Russland ‚Erklärungen‘ verlangt. Damit ist für die Zuschauer vom heute Journal zugleich die Verantwortung für den Nervengift-Anschlag festgeklopft. Man bräuchte ja keine ‚Erklärungen‘, wenn nicht sicher sei, dass die Russen dahinterstecken usw.“ Auch der Journalist und Drehbuchautor Dirk Pohlmann, der schon mehrfach Geheimdienstoperationen untersucht hat, meint bei KenFM, es sei „nicht nur journalistische Pflicht, angesichts der Flut an unbewiesenen Anschuldigungen gegen Russland sehr gründlich und kritisch zu ermitteln und zu berichten“, darüber hinaus sei die Frage zu stellen, wem dieser neue Kalte Krieg nütze.

Pohlmann kommt in seinem höchst informativen Artikel zu dem Schluss: „Es riecht nach psychologischer Kriegführung und der Nutzung der westlichen Medien als Täuschungsinstrument. Es sind Methoden, die die westlichen Geheimdienste anders als die Russen virtuos beherrschen, auch wenn die dazulernen. Nach Jahrzehnten von False Flag Angriffen, vom Zaun gebrochenen Angriffskriegen und zusammengelogenen Regime Changes muss man nicht nur an den Absichten der führenden Politiker des ‚Freien Westens‘ zweifeln, man muss auch dem Führungspersonal der westlichen Medien die Frage stellen, ob sie wirklich unfähig sind, jemals dazuzulernen, oder wer in den Medien sehr genau weiß, was er tut.

Wie wird es auf der Eskalationsleiter weitergehen – nicht nur im „Fall Skripal“?

Erst einmal hat der russische Außenminister Sergej Lawrow erklärt, die Unterstellung, Russland habe den Doppelagenten vergiftet, sei unsinnig. Zur Aufklärung des Anschlags sei man zu einer Zusammenarbeit bereit, fordere allerdings einen “kompletten Zugang zu den Ermittlungen und den Nervengiftproben“, wie in der ZEIT zu lesen war. Eine vernünftige und deeskalierende Reaktion! Zu bezweifeln ist, dass die westliche Antirussland-Allianz darauf eingehen wird. Soeben sind die Sanktionen gegen Russland verlängert worden und England beabsichtigt, sie noch zu verschärfen. Albrecht Müller meint zum Fall Skripal: „So etwas geschieht nicht ungeplant und dahinter steckt eine wohldurchdachte Strategie der Meinungsmache.“ Der Abgrund rückt immer näher!

Zum Autor: Der Schriftsteller und Publizist Dr. jur. Wolfgang Bittner lebt in Göttingen. Im Juni 2017 erschien von ihm im Westend Verlag eine überarbeitete und um 111 Seiten erweiterte Neuausgabe seines Buches „Die Eroberung Europas durch die USA“.

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