Diese Überlegungen von Stanislav Lem, einer der großen Intellektuellen Europas, der gestern vor 100 Jahren geboren wurde, dessen Werk eine zeitlose Inspirationsquelle darstellt, klingen auch heute noch - oder heute erst Recht - von beklemmender Aktualität, denn wie sonst könnte man sich erklären, dass eine Dame wie Annegret Kramp-Karrenbauer Bundesverteidigungsministerin werden konnte. Frau Kramp-Karrenbauer repräsentiert die „verschlechterte Qualität“ der Eliten eindrucksvoll, völlig ungerührt von der „wachsenden Komplexität“ unserer Welt.

Die Ernüchterung der AKK

Anfang September, der Einmarsch der Taliban in Kabul hatte sich gerade vollzogen, tweetete AKK "Die nüchterne Wahrheit zu Afghanistan" sei, erklärte Kramp-Karrenbauer: "Wir Europäer haben gegen die Entscheidung der USA zum Abzug kaum Widerstand geleistet, weil wir mangels eigener Fähigkeiten keinen leisten konnten". "Die zentrale Frage für die Zukunft" der Außen- und Militärpolitik der Union sei, wie man "unsere militärischen Fähigkeiten" gemeinsam nutze.

Nun ja, wie man darauf kommt, dass irgendwelche EU-Truppen den Taliban hätten heldenhaften Widerstand leisten können, kann nur dadurch erklärbar sein, dass man eben nicht in einem nüchternen Zustand war, oder dass diese Person weder etwas vom Militär noch von Geo- und Verteidigungspolitik versteht, was angesichts ihres hohen Amtes ja schon bedenklich genug erscheint.

AKK bleibt weiter auf dem intellektuellen Niveau einer Milchmädchenrechnung hängen, als sie verlautbaren lässt: “Gelinge es der Union," auf Augenhöhe mit den USA "stärker zu werden," dann gewinnen wir. Konkret schlägt sie die Herausbildung von "Koalitionen von Willigen" vor: „Zusammenschlüsse einzelner EU-Staaten, die sich jeweils für konkrete Militärinterventionen verbünden.

Ist diese CDU-Politikerin so naiv, oder tut sie nur? Washington hat überhaupt kein Interesse daran, die EU zu einer eigenständigen militärischen Macht umzuwandeln, sondern sieht die europäischen NATO-Verbände lediglich als Reserve-Material, um die eigenen geopolitischen Zielsetzungen zu verwirklichen.

Diese Strategie, so gestand es der Stratege und US-Sicherheitsberater Zbigniew Kazimierz Brzezinski in seinem 1997 erschienenem Buch "The Grand Chessboard" freimütig ein, diene dazu, dass "kein Staat oder eine Kombination von Staaten die Fähigkeit erlangt, die USA aus Eurasien zu vertreiben". Weiter schrieb der Erfinder dieser fatalen und gefährlichen Ideologie: „Genauso wie Japan und Südkorea an deren anderem Ende, diene Westeuropa als Brückenkopf, auf der für eine andauernde Weltherrschaft entscheidenden eurasischen Landmasse.“ Unglücklicherweise bietet Europa eben jenes Bild des "Vasallen" und "Tributpflichtigen", wie Brzezinski die Verbündeten nannte, anstatt sich auf eigene geopolitische Grundsätze zu einigen.

Bis jetzt hatte die Bundesverteidigungsministerin auch nichts anderes zu tun gehabt, als willfährig die Vorgaben Washingtons zu erfüllen, ob in Afghanistan oder im Südchinesischen Meer, weshalb ihre Äußerungen besonders kenntnisfrei klingen.

Nebelkerzen statt neuer Analysen in der Verteidigungspolitik

In einer perfekten Welt wäre die EU-Antwort auf die verheerende Niederlage des Westens am Hindukusch - und nicht nur dort - zuallererst die Analyse dieser Niederlage, flankiert von einer eigenen europäischen Verteidigungsdoktrin, basierend auf den geopolitischen Interessen unseres Kontinents, völlig unabhängig von den Plänen der USA. Dass die transatlantischen Eliten der EU dazu gar nicht in der Lage sind, steht auf einem anderen Blatt Papier.

Stattdessen schwadronierte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell in einem Medienbeitrag davon, dass neben "militärischen Schlüsselfähigkeiten" vor allem eine besonders schlagkräftige Eingreiftruppe ("initial entry force") aufzubauen sei. Aktuell ist in der EU von einer mindestens 5.000 Soldaten starken Einheit die Rede, die sich am Vorbild der NATO-"Speerspitze" orientiert; eine Aufstockung auf bis zu 20.000 Militärs wird ebenfalls diskutiert.

Eine EU-Armee als Söldnertruppe für die USA?

Zynischer weise nennt sich dieses Programm eine „EU-Koalition der Willigen“, als ob die EU nicht bisher willig genug gewesen wäre, ihre eigenen Armeen und ihr militärisches Potential den Vorgaben Washingtons zu unterwerfen. Ferner stellt sich die Frage, was ist der Zweck von „schlagkräftigen Eingreiftruppen“, die den USA nur als eine Art-Söldnertruppe zur Verfügung stehen würden, bezüglich der Sicherheit Europas? Es ist alles nur Augenwischerei, denn in der Realität schaut es leider anders aus. 

Der Westen zieht aus dem Debakel in Afghanistan den Schluss, dass das "Nation Building" gescheitert ist, eine richtige Erkenntnis, um dann aber sich in neue Abenteuer zu stürzen, die man mit dem Begriff "Großmachtpolitik" umschreiben kann, also sich geballt auf die großen Machtkämpfe gegen Russland und vor allem gegen China einzustellen.

Auf dem Internetportal German Foreign Policy.com war diesbezüglich zu lesen:

Deutschland hat den Schwenk zur Großmachtkonfrontation in seiner Rüstungs- und Militärpolitik längst vollzogen, rüstet vor allem für Kriege gegen Streitkräfte starker Staaten auf und fokussiert seine Manöver vor allem auf Szenarien eines Waffengangs gegen Russland; hinzu kommen zunehmend militärische Aktivitäten in Asien und der Pazifikregion."

„Was bedeutet das konkret für mich!?"

Eine Zeitlang konnte man den Eindruck gewinnen, die Europäer hatten begriffen, dass ein eigenständiger europäischer Kurs in der Außenpolitik von brennender Aktualität ist. Nach der Wahl von Joe Biden ins Weiße Haus änderte sich diese Tonlage wieder und allzu willfährig krochen die EU-Regierungen wieder unter den Rockzipfel Washingtons. Ein unrühmliches Beispiel verkörperte mal wieder Heiko Maas, als er sich nach der Wahl Bidens per Bild-Zeitung äußerte, er habe für Bidens Sieg mitgefiebert um dann - Gewehr bei Fuß zu verkünden, dass "Deutschland bereitstehe, das transatlantische Verhältnis wieder zu reparieren."

Kramp-Karrenbauer erklärte wenig später, gegenüber einem australischen Medium, als "entscheidend für die Zukunft der Welt," ob der Westen sich gegenüber Peking einiger zeigen kann.

Kühne Sprüche für eine Ministerin die aus dem Saarland kam. Aber glücklicherweise gibt es ja demnächst wieder Bundestagswahlen und wir dürfen den betreffenden Politikerinnen und Politikern wieder einmal zeigen, was wir von diesen Politspielchen halten. Gregor Gysi äußerte dazu:

Während man den USA "vasallenhaft" hinterherrennen würde, habe man zu Russland und China derzeit keinen guten Draht. Statt Sanktionen und Konfrontationen brauche man Dialogpolitik.

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