Der Fall der Freiburger Studentin Maria L. hat Deutschland aufgewirbelt. An der Person des mutmaßlichen Täters, eines Afghanen manifestierten sich die Ängste vieler Bürger, die das aktuelle Flüchtlingsdrama kritisch sehen. Fremdenfeinde und Populisten nutzten die Gelegenheit, ihre Positionen zu propagieren. Schließlich stellte sich heraus, der der über Griechenland nach Deutschland gereiste Täter bereits in Griechenland in vergleichbarer Weise straffällig wurde. Im Detail betrachtet hat das Verbrechen an Maria L. weniger mit der aktuellen Flüchtlingspolitik zu tun als es auf den ersten Blick scheint. Es ist das Ergebnis falscher Politik, des Pokerns mit Flüchtlingsströmen und des Sparens an der falschen Stelle.

Die Geschichte beginnt Ende Mai 2013. Hussein K., der von seiner griechischen Anwältin Maria Eleni Nikopoulou als der gleiche Täter wie der Mörder von Maria L. zweifelsfrei identifiziert wurde, überfiel am 27.Mai 2013 die damals zwanzigjährige Geschichtsstudentin Spyridoula Chaidou auf Korfu. Dort, in der Gegend von Moragia entriss er seinem Opfer die Tasche und warf es, als sich ein Auto näherte, eine etwa 10 Meter tiefe Klippe hinab. Später sagte Hussein K. aus, er wollte verhindern, dass die Hilfeschreie der Studentin ihn verraten würden.

Er wurde dennoch rasch gefasst. Sein Opfer überlebte, „wie durch ein Wunder“ wie die Ärzte sagten, weil sie eine gut trainierte Sportlerin war mit zahlreichen Knochenbrüchen. Damals gab er sein Alter zunächst mit 17 an und berief sich auf einen Asylantrag. Das angegebene Alter wurde bereits damals ernsthaft in Zweifel gezogen. Dennoch schaffte der Täter es mit Hilfe seiner Verteidigung nach dem Jugendstrafrecht verurteilt zu werden. Das brachte ihm wegen versuchten Raubmordes die für jugendliche geltende Höchststrafe von zehn Jahren ein. Für Aufsehen in der griechischen Presse sorgten seinerzeit auffällige Tätowierungen des Täters. Er hatte neben einer brennenden Kerze auf der Brust, anhand derer die Anwältin in erkannte, ein Hakenkreuz auf dem Oberarm und ein keltisches Kreuz, ein Erkennungssymbol der rechtsextremen Szene auf dem Rücken.

Er konnte sich über sein mildes Urteil freuen. Denn ein zur gleichen Zeit verurteilter Pakistaner, der auf der Insel Paros ein minderjähriges Mädchen nach einer Vergewaltigung fast zu Tode geprügelt hatte, musste – obwohl auch er sich zunächst als Minderjähriger ausgab – eine Strafe von Lebenslänglich plus weiterer 25 Jahre Sicherheitsverwahrung hinnehmen.

Falsche Papiere mit einem einfachen Kartoffeltrick

Dass der gleiche Täter mehr als drei Jahre später mit dem gleichen Lebensalter bei seiner Ankunft in Deutschland registriert wurde, zeigt nur, wie einfach das Beschaffen falscher Papiere ist. Diese wurden unter anderem auf der griechischen Insel Kos zu Zeiten des größten Flüchtingsaufkommens im Sommer 2015 bereits für Preise in der Größenordnung von 100 Euro feil geboten. Für dieses Geld gab es echt aussehende Registrierkarten der griechischen Polizeibehörden. Darauf, faktisch einem DIN A 4 Blatt, wurden die Namen, Geburtsdaten und die Nationalität der Personen verzeichnet. Das Papier diente gemäß einem unter der damaligen Immigrationsministerin Tasia Christodoulopoulou (SYRIZA) erlassenem Gesetz als sechsmonatiger Aufenthaltsausweis. Damit konnten die Flüchtlinge und Immigranten frei durch Griechenland reisen, auch wenn sie bei der Flucht über das Meer ihre Papiere verloren hatten. Der griechische Staat hatte nicht das Geld, bessere, fälschungssicherere Dokumente herzustellen. Im Prinzip reichten für ein Falsifikat die Abschrift und der Ausdruck eines Originaldokumentes und eine Kartoffel für den Stempel.

Christodoulopoulou sträubte sich zudem lange Monate, einerseits die ins Land strömenden Flüchtlinge als Problem zu betrachten. Seinerzeit, im Frühjahr 2015, reagierte sie in Interviews auf die Frage, wie sie zu hunderten auf dem Omonoia-Platz mitten in Athen campierenden Menschen stehe mit der schnippischen Feststellung „die sonnen sich dort.“ Vorhandene Flüchtlingslager, die wie in Amygdaleza eher Konzentrationslagern als einer humanitären Versorgung glichen, wurden aufgelöst, ohne dass der Staat anderweitig Sorge für die Mittel- und Obdachlosen traf.

Zeitgleich versuchte der damalige Justizminister Nikos Paraskevopoulos eine Lösung für die überfüllten Haftanstalten des Landes zu finden. Die frische Regierung Tsipras hatte in ihrer ersten Periode mit dem Finanzminister Yanis Varoufakis einen Konfrontationskurs mit den Kreditgebern auf dem Programm. Die Kreditgeber entzogen daraufhin Griechenland die Unterstützung und lähmten den Staat indem dieser finanziell buchstäblich ausgetrocknet wurde.

Eine Amnestie aus Kostengründen

Paraskevopoulos bestand als Menschenrechtler darauf, dass in den überfüllten Haftanstalten humane Bedingungen herrschen müssten. Er sah keinen anderen Ausweg, als zahlreiche Häftlinge zur Entlastung der Anstalten zu entlassen. Ein entsprechendes Gesetz wurde im April 2015 verabschiedet.

Die Freilassung des mutmaßlichen Mörders von Maria L. erfolgte aufgrund des Gesetzes 4322/2016 vom 7. April 2016. In der Begründung der Novelle heißt es „das Hauptziel des vorliegenden Gesetzesplans ist es, die negativen Bedingungen und Umstände des Gefängniswesens zu entlasten und damit die notwendige Voraussetzung für eine Reform und Logik des Maßregelvollzugs zusammen mit den weiteren zu ergreifenden Maßnahmen zu schaffen“. Gleichzeitig wurden die Sicherheitsgefängnisse vom Typ Gamma, vergleichbar den Hochsicherheitstrakten deutscher Gefängnisse abgeschafft.

Bis zum Geltungstag des Gesetzes ausgesprochene Zuchthausstrafen von bis zu fünf Jahren wurden nach Artikel 7 des Gesetzes überhaupt nicht mehr vollstreckt. Bereits einsitzende Kriminelle, deren Strafe in diesem Bereich lag, kamen sofort frei. Für Strafen bis einschließlich zehn Jahren Zuchthaus galt eine Mindestregel für die abzusitzende Haftzeit. Danach wurden auch diese Täter unter Meldeauflagen entlassen.

Eine Freilassung verhindern konnte nach Artikel zwei des Gesetzes nur die Einstufung als „besonders gefährlicher Straftäter“. Dafür hätte Hussein K. in der Haft Mitgefangene schlagen müssen oder sein Opfer hätte aus dem persönlichen Umfeld stammen und minderjährig sein müssen.

Bis Mitte Juni 2015 wurden über diese Regelung mehr als 2160 Straftäter freigelassen. Schließlich konnte am 31. Oktober 2015 auch Hussein K. die Amnestie nutzen und kam ebenso wie zahlreiche weitere Immigranten frei. Darunter befanden sich nach Angaben eines hochrangigen Polizeioffiziers, der nicht namentlich erwähnt werden möchte, „nahezu alle Immigranten, die schon vor 2014 straffällig wurden. Die sind wir nun los, die sind mit dem Flüchtlingsstrom über die Grenze gegangen.“ Bewährungshelfer oder Beamten für die Überwachung der Menschen waren nicht abgestellt worden. Für Erstere fehlten die finanziellen Mittel und die Polizeibeamten Griechenlands werden von der Politik viel lieber für die eigene Bewachung genutzt. Seit dem Ausbruch der Finanzkrise im Land 2010 werden immer mehr Polizeistationen geschlossen. Streifenwagen geht der Sprit aus und moderne Technik wird im Zweifel durch alte Geräte aus dem Lager ersetzt.

Es gab nach Angaben des Offiziers keinerlei Dienstanweisung, mit denen die Beamten ins Ausland flüchtende Migranten, die unter Auflagen frei gekommen waren, aufhalten konnte. Sie wurden einfach durchgewinkt.

Denn noch bevor das wilde Lager bei Idomeni an der griechischen Nordgrenze in den Fokus der Weltöffentlichkeit rückte, war es bereits Durchgangsstation für die Flüchtlinge und Immigranten. Der griechische Staat sah seinerzeit keine Veranlassung, dort Präsenz zu zeigen. Vielmehr hatte die Regierung offenbar ein Interesse daran, das humanitäre Drama, welches Premierminister Tsipras mehrfach in seinen Reden erwähnte, als medienwirksames Druckmittel gegen die Kreditgeber einzusetzen. Hätte der Staat in Idomeni ein Lager organisiert, so die Theorie, wäre die Story von der außergewöhnlichen Belastung mit dem humanitären Drama nicht in der präsentierten Form haltbar gewesen.

Kritiker, welche diese Wahrheit aussprechen, werden auch heute noch von SYRIZA-Anhängern mit dem Attribut „Nazi“ versehen, selbst wenn sie, wie der Generalsekretär der Kommunistischen Partei Griechenlands, Dimitris Koutsoubas, aus dem eindeutig diametral dem Nazismus entgegengesetzten Lager stammen. Koutsoubas hatte es am vergangenen Samstag während der Debatte über den Staatsetat „gewagt“, das Flüchtlingsdrama als ein von der Regierung selbst zu Ungunsten der einheimischen Bevölkerung verschärftes Problem zu bezeichnen.

Schlussendlich versagte im Fall Hussein K. auch die Kontrolle der Meldeauflagen. Er hatte als seinen Wohnsitz in Freiheit das Athener Stadtviertel Agios Panteleimonas gemeldet. In der dortigen Polizeiwache, die personell dezimiert im Athener Viertel mit der größten Dichte an Immigranten vor zahlreichen Problemen steht, hat er sich nach derzeitigem Stand der Dinge nie gemeldet. Ein nationaler Haftbefehl erging jedoch trotz des Verstoßes gegen die Auflagen erst im Februar 2016. Zu einem internationalen Haftbefehl scheint es wegen der Verzögerung des griechischen Bürokratieapparats nie gekommen zu sein.

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