Das „Du weißt schon welches ich meine“ Land

Wie nennt man den Staat nun? Offiziell heißt er Ehemalige Jugoslawische Republik Mazedonien, abgekürzt EJRM oder als englisches Akronym FYROM. Im gesamten nichtgriechischen Ausland wird er jedoch zum Ärger der Griechen nur als „Mazedonien“ bezeichnet. Nun soll es endlich eine Lösung geben.

Wenn die Griechen untereinander über den Nachbarstaat diskutieren, dann ist die Situation mit den Harry Potter Romanen vergleichbar. Ebenso wie der Antiheld der Buchserie über den Magieschüler nur „Du weißt schon wer“ oder „der, dessen Name nicht genannt wird“ bezeichnet wird, ergeben sich im Fall der EJRM bizarre Situationen. Viele nennen den Staat daher nur Skopje. Skopje ist die größte Stadt und gleichzeitig Hauptstadt der EJRM. Die Konsequenz dieser Logik, die übrigen Staaten der Welt einschließlich Griechenland nur nach den Hauptstädten zu betiteln, also Athen, Berlin, Paris oder Rom ist dagegen kaum verbreitet. Journalisten, die den offiziellen vorläufigen Namen der EJRM ausschreiben, laufen Gefahr, des Vaterlandsverrats verdächtigt zu werden. Niemanden der Kritiker interessiert, dass kaum ein Nichtgrieche versteht, was mit FYROM oder gar dem griechischen Akronym PGDM gemeint ist.

Der Grund ist simpel, die Namensgleichheit von Mazedonien in Kombination mit expansionistischen Tönen extremer Kreise weckte bei den Griechen die Angst, dass die EJRM Gebietsansprüche hinsichtlich der gleichnamigen Provinz in Griechenland stellen wird. Tatsächlich kursierten entsprechende Landkarten, die von ultranationalistischen Kreisen in der EJRM verteilt wurden. Dass der Gebietsanspruch in gewisser Form auch in der Verfassung der EJRM verankert wurde, trägt nicht unbedingt zur nachbarschaftlichen Verständigung bei. Wenngleich die Wirtschaft sowohl den Streit als auch die Grenze bereits überwunden hat.

Wirtschaft und Ausland haben den Namensstreit überwunden

In Gevgelija, der Kleinstadt direkt an der Grenze, die praktisch neben dem in der Flüchtlingskrise bekannt gewordenen griechischen Dorf Idomeni liegt, arbeiten zahlreiche Griechen aus Thessaloniki, Kilkis und Drama. In Florina, der griechischen Stadt die im nordwestlichen Makedonien liegt, finden sich dagegen viele Arbeitnehmer aus der EJRM als Pendler oder Ortsansässige. Die Griechen kaufen aufgrund der durch die Finanzkrise verteuerten griechischen Waren gern in der EJRM ein. Grenznah floriert in der EJRM auch das Geschäft der Ärzte. Die Casinos in Gevgelija buchen griechische Popstars, um ihre Klientel zu unterhalten. Schließlich ziehen viele mittelständische Unternehmen aus Griechenland ins steuerlich günstigere Nachbarland um.

Regional gibt es auch bilaterale Kooperationen auf staatlicher Ebene. Rund um die Prespa Seen bemühen sich sogar Albanien, die EJRM und Griechenland gemeinsam um den Schutz der Ökosphäre des Naturschutzgebiets.

Der Namensstreit als Politikum

Ähnlich wie in Griechenland gestaltet sich die öffentliche Diskussion in der Nachbarrepublik. Denn der Staat, der von den Griechen als potentieller Aggressor gesehen wird, ist selbst von expansionistischen Gelüsten seiner Nachbarn bedroht. Nationalistische Albaner träumen von einem Großalbanien, Bulgarien hingegen sieht sich als rechtmäßiger Verwalter der gesamten geographischen Region Mazedoniens.

Tatsächlich ist die EJRM ein kleiner Vielvölkerstaat, in dem sich zu Zeiten Jugoslawiens fast der gesamte Balkan repräsentiert fühlen konnte. Es gibt Slawen, die serbischen Ursprungs sind, Albaner, Roma, moslemische Minderheiten, bulgarische und auch griechische. Zu Zeiten des byzantinischen Kaiserreichs diente vor allem die nördliche Region des geographischen Makedoniens als Pufferzone. Die Kaiser wiesen den Slawen das Siedlungsgebiet zu. Zu Zeiten Titos hieß der damalige Bundesstaat schlicht Mazedonien und Griechenland sparte sich den Protest. Denn damals war der blockfreie, kommunistisch ausgerichtete Balkanstaat für die NATO zu wichtig.

Nach dem Zerfall Jugoslawiens drohte auch der EJRM ein ähnliches Schicksal. Ein bindendes Element für den Staat musste gefunden werden. So wurde, um es angesichts der Komplexität des Themas für den Leser verkürzt darzulegen, die mazedonische Nationalität zum existentiellen Bestandteil des Staats. Die bis vor kurzem regierenden nationalistischen Premierminister des Landes versuchten gar mit allen Mitteln eine historisch unhaltbare Verbindung zu Alexander dem Großen aufzubauen. Dies wiederum führte in Griechenland regelmäßig zur Auslösung von patriotischen Reflexen.

Internationale Vermittlungsbemühungen scheiterten regelmäßig, weil in Griechenland kein Politiker einen Namen akzeptiert, in dem Mazedonien als etwas anderes als eine regionalgeographische Zuordnung enthalten ist. Aus den oben angeführten Gründen der zahlreichen Minderheiten, kann auf der anderen Seite niemand Gefallen am Namen Slawomazedonien finden.

Unter dem seit 2006 bis zum Frühjahr 2017 regierenden Premier Nikola Gruevski, glitt Mazedonien immer weit ab in einer Spirale aus Autoritarismus, Nationalismus und kitschigen Anspielungen auf Alexander den Großen. Sein Nachfolger, der Sozialdemokrat Zoran Zaev versucht nun im Eiltempo das Land zu reformieren. Außer den Konflikten mit den Nachbarstaaten und dem Bestreben die wirtschaftlichen und sozialen Missstände zu beseitigen, bemüht sich Zaev die albanische Minderheit zu besänftigen und die Nationalisten in Schach zu halten.

Für das Ausland ist der nunmehr knapp siebenundzwanzig Jahre anhaltende Namensstreit kaum noch interessant. Knapp 130 Staaten der Welt haben die EJRM bereits mit ihrem verfassungsmäßigen Namen als Republik Mazedonien anerkannt. Griechenlands Gegenwehr ist nur innerhalb der EU erfolgreich.

Die EJRM wird weltweit schlicht Mazedonien genannt und die Bürger Mazedonier. Es findet sich schließlich auch kaum jemand, der im Alltag sagt „ich bin Bundesrepublikaner aus Deutschland“. Auch die US-Amerikaner werden allgemein auf der Welt schlicht als Amerikaner bezeichnet, obwohl sie sich den Kontinent mit zahlreichen anderen Nationen teilen. Vielen Deutschen mit geringer Schulbildung dürfte zudem auch nicht auf Anhieb einfallen, dass der deutsche Nachbarstaat Österreich auch den offiziellen Titel Bundesrepublik Österreich trägt. Auch für die Griechen ist der Namensstreit im Alltag weitgehend überwunden. Probleme bereiten jedoch Ehen. Hier ist eine Einbürgerung eines Ehegatten aus der EJRM nicht ohne weiteres möglich.

Wäre nicht die NATO, bliebe der für Außenstehende oft bizarr anmutende Namensstreit ein regionales Thema für Politiker. Denn, obwohl niemand in Deutschland „Ehemalige Jugoslawische Republik Mazedonien“ sagt, oder einen von dort stammenden Bürger mit einem ähnlichen Wortungetüm belastet, kann der Staat ohne offiziellen endgültigen Namen nicht in das Nordatlantische Verteidigungsbündnis aufgenommen werden. Zuletzt scheiterte 2008 eine Aufnahme der EJRM in den Pakt, weil Griechenland sein Veto einlegte.

Lösung in Sicht?

Im Juni 2018 soll ein neuer Vorstoß gestartet werden. Bis dahin versuchen auch der griechische Außenminister Nikos Kotzias und sein Kollege Nikola Dimitrov einen Kompromiss zu finden. Als ernster Stolperstein drohte bislang Verteidigungsminister Panos Kammenos mit seinem Veto. Kammenos, der mit seinen Unabhängigen Griechen als Koalitionspartner von Premierminister Alexis Tsipras überwiegend auf nationalistische Parolen setzte, konnte bis Donnerstag keinen Gefallen an einer Namenslösung mit „zusammengesetzten Namen“, also einem Zusatz plus dem Regionalbezug Mazedonien, finden. In einer Sitzung des Kernkabinetts im Premierministeramt wurde er auf Tsipras Linie eingeschworen.

Würde Kammenos sein Votum verweigern, dann hätte Oppositionsführer Kyriakos Mitsotakis, dessen Vater 1993 über den Namensstreit stürzte, ein ernstes Problem. Kammenos, der aus den Reihen der Nea Dimokratia stammt, stünde als der „bessere Konservative“ da. Ohne Zustimmung aus dem Oppositionslager ist indes keine nachhaltige Lösung des Namensstreits möglich. Offenbar bleibt Kammenos seiner Linie treu, vorherige „rote Linien“ über Bord zu werfen, wenn es um sein Ministeramt geht.

Von den übrigen Oppositionsparteien stehen die Goldene Morgenröte und die Zentrumsunion unter Vasilis Leventis jeglicher Lösung mit einer Namenserwähnung „Mazedonien“ ablehnend gegenüber. Die neue Sozialdemokratie, im Parlament bestehend aus der Demokratischen Fraktion (PASOK und Demokratische Linke) sowie To Potami wird sich im Zweifel einer überwiegenden Mehrheit im Parlament anschließen. Die Kommunistische Partei erklärte sich bereit, einen Kompromiss zu akzeptieren, sofern der Begriff „Mazedonien“ nur als geographischer Zusatz Namensbestandteil ist.

Geopolitisch hat Griechenland trotz der nachvollziehbaren Skepsis wegen des Namens durchaus ein Interesse an einer Stabilität im nördlichen Nachbarstaat. Eine zerfallende EJRM, die Grenzverschiebungen auf dem Balkan auslösen würde, wäre für Griechenland nicht ungefährlich. Denn dann könnten auch andere Grenzen in Frage gestellt werden.

Am 21. Januar wollen Gegner jeglicher Einigung in Thessaloniki eine Großdemonstration veranstalten. Dann wird sich zeigen, ob der Widerstand in der Bevölkerung zur Beilegung des Konflikts ebenso groß ist, wie in den Neunzigern des vergangenen Jahrhunderts.

Beitrag senden

Drucken mit Kommentaren?



href="javascript:print();"