Falschnachrichten sollen bestraft werden

In seiner Neufassung besagt Paragraph 1 des Artikels 191:

Wer öffentlich oder über das Internet Falschmeldungen veröffentlicht oder verbreitet, die geeignet sind, die Öffentlichkeit zu beunruhigen oder zu verängstigen oder das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Volkswirtschaft, die Verteidigungsfähigkeit oder die öffentliche Gesundheit des Landes zu erschüttern, wird mit einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten und einer Geldstrafe bestraft. Wurde die Tat wiederholt durch die Presse oder das Internet begangen, wird der Täter mit einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten und einer Geldstrafe bestraft. Der tatsächliche Eigentümer oder Herausgebers des Mediums, mit dem die Handlungen der vorherigen Absätze vorgenommen wurden, wird mit derselben Strafe bestraft.“

Paragraph 2 des gleichen Gesetzes besagt, dass auch die fahrlässige Weiterverbreitung der Falschmeldungen unter Strafe steht. Den Artikel und auch den Straftatbestand gab es bereits vor der Novellierung als Antragsdelikt und mit einer Maximalstrafe von drei Jahren. Eine Mindeststrafe war zuletzt unter der Militärdiktatur vorgesehen. Nun wird es ein Offizialdelikt. Zudem ist die Definition der Straftat gemäß der ESIEA nicht präzise genug festgelegt. Dies lässt Raum für Anklagen gegen Journalisten mit kritischer Meinung oder aber kritischen Fragen, weshalb sie die sofortige Rücknahme der Neuerungen fordert.

Eventuell reicht bereits die exakte Wiedergabe von amtlichen Nachrichten aus, um zum Beispiel „das Vertrauen in die Volkswirtschaft zu erschüttern“. Die folgenden Beispiele aktueller Ereignisse sollen demonstrieren, wie einfach das im Zweifel sein kann.

Vertrauenserschütterung in die Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaft – ein Praxisbeispiel

So verbreitete Kyriakos Mitsotakis als Erfolgsmeldung, dass unter seiner Regierung die Arbeitslosigkeit um zwei Prozent auf ein Vorkrisenniveau, somit auf den niedrigsten Wert seiner Amtszeit gesunken sei. Nachzulesen ist die Rede von Mitsotakis, die er anlässlich der 85. Internationalen Messe von Thessaloniki am 11. September hielt, auf seiner amtlichen Internetpräsenz.

Am 12. September präzisierte er seine Angabe anlässlich der traditionellen Pressekonferenz in Thessaloniki:

...ich glaube, wenn sich die Wirtschaft mit diesem Rhythmus entwickelt, wird die Arbeitslosigkeit begrenzt. Darüber hinaus kann ich ob der Tatsache, dass sie weiterhin auf dem Niveau von 14 Prozent liegt, nicht zufrieden sein. Aber ich muss betonen, dass wir die höchste Zahl von Beschäftigten der letzten zehn Jahre im Land haben.“

(Auf Griechisch nachzulesen unter https://primeminister.gr/2021/09/12/27403).

Eine kurze Suche im Internet ergibt, dass im Juli 14,2 Prozent der Griechen und Griechinnen, also 664.384 Personen arbeitslos gewesen sein sollen, so zumindest steht es auf der Internetpräsenz der ElStat, der griechischen Statistikbehörde. Tatsächlich finden sich bei der Statistikbehörde ElStat detaillierte Veröffentlichungen zum Thema. In diesen steht jedoch, dass es sich bei den Zahlen um Schätzungen handelt. Der OAED, also das griechische Arbeitsamt, meldete dagegen am 20. August für den gleichen Zeitraum 972.981 real existierende und behördlich erfasste Arbeitslose.

Die Zahlenklauberei mag auf den ersten Blick kleinlich klingen, aber aus der Darstellung solcher Widersprüche einer vom Regierungschef zitierten Schätzung im Vergleich zur amtlichen Bestätigung durch den zuständigen Träger könnte der Vorwurf der vielzitierten „Greek Statistics“ samt einer entsprechenden, vernichtenden Aussage über die Leistungsfähigkeit der griechischen Volkswirtschaft konstruiert werden.

Gut, mögen kritische Stimmen nun einwerfen, vor Gericht könnten sich wegen Falschmeldung angeklagte Journalisten mit Hilfe der vorgelegten Veröffentlichungen freisprechen lassen. Aber, wie die ESIEA in einer anderen Stellungnahme bemerkt, sehen sich Journalisten in Griechenland bereits einer „Industrie der Klagen“ ausgesetzt.

Mit der Reform des Artikels 191 könnte, selbst wenn es von der aktuellen Regierung nicht so beabsichtigt ist, eine pressefeindliche Regierung eine Reihe von kritischen Journalistinnen und Journalisten dem Risiko teurer Prozesse aussetzen.

Ängste bezüglich der öffentlichen Gesundheit – ein Beispiel

Griechenland hat ungefähr die gleiche Bevölkerungszahl wie Schweden. 10,72 Millionen Einwohnern in Hellas stehen 10,35 Millionen in Schweden gegenüber. Griechenland fährt in der CoVid-Pandemie einen harten Kurs mit landesweiten Lockdowns in den ersten Wellen und lokalen Lockdowns bei einer Inzidenz von mehr als 30/100.000 während der aktuellen Infektionswelle.

Bei den sogenannten „Mini-Lockdowns“ ist unter anderem auch die öffentliche Aufführung von Musik, ob aus dem Radio oder live, verboten. Zweifelsohne zählt das Land damit im EU-Vergleich zu den strengeren Ländern. Im Gegensatz dazu fuhr Schweden einen relativ lockeren Kurs.

In der amtlichen Statistik des European Centre for Disease Prevention and Control, einer Behörde der EU, stehen für Schweden am 4.10.2021 für die gesamte Pandemiedauer 1.155.534 registrierte Infektionen und 14.876 Todesfälle in der Tabelle. Griechenland hat, Stand 6.10.2021, knapp die Hälfte der Infektionen, nämlich 666.517. Die geringere Infektionsrate könnte als Beleg der Wirksamkeit der Pandemiemaßnahmen angesehen werden. Allerdings erschreckt die Zahl der Toten, die bei 14.991 – und somit über dem schwedischen Wert liegt.

Der allgemeinen Logik, sowohl der Zero-Covid-Verfechter, die harte Maßnahmen als Mittel gegen die Pandemie sehen, als auch der Anhänger der schwedischen Politik und auch der Pandemieleugner zufolge zeigen die statistischen Werte, dass es im Zusammenhang mit der Pandemie in Griechenland mehr Todesfälle gibt. Schürt dies nicht bereits Angst?

Waffenkäufe, Allianzen und die Verteidigungsfähigkeit

Ende September schloss Premier Mitsotakis mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron einen Waffendeal und einen Verteidigungspakt ab. Dieser wurde in der laufenden Woche im griechischen Parlament ratifiziert. Rund fünf Milliarden Euro zahlt Griechenland an die französische Rüstungsindustrie und erhält unter anderen drei Fregatten der Belharra Klasse. Beim Deal gibt es keine Vereinbarung zur Montage der Fregatten durch die griechische Rüstungsindustrie. Derartige Vereinbarungen setzt der NATO-Partner Türkei bei Waffenkäufen regelmäßig durch. Bereits dies kann hellhörigen Kommentatoren einen Anlass zur Kritik und zur Beurteilung der Auswirkungen auf die Verteidigungsfähigkeit liefern.

Wie sieht es mit dem gegenseitigen Verteidigungspakt aus? Die beiden Partner verpflichten sich, für das jeweils andere Land im Fall eines Angriffs Unterstützung zu leisten. Konkret bedeutet dies nun, dass Griechenland Truppen an der Seite von Frankreich in Mali einsetzen wird.

Was aber gewinnt Griechenland beim Pakt? Der einzige Nachbarstaat, mit dem ein militärischer Konflikt denkbar wäre, ist der Nachbarstaat und NATO-Partner Türkei. Würde Frankreich, ebenfalls ein NATO-Partner, militärisch gegen die Türkei intervenieren? Was wäre ein solcher Pakt wert, wenn im - trotz stetigem Säbelrasseln - eher unwahrscheinlichen Fall eines offenen militärischen Konflikts zweier NATO-Partner, der Zusammenhalt der NATO, und damit ein geopolitisch wahrscheinlich gewichtigeres Problem auf der Tagesordnung stünde?

In der Parlamentsdebatte zur Ratifizierung wurden derartige Fragen von der Opposition gestellt. Regierungsabgeordnete sahen darin bereits staatsgefährdende Sichtweisen. Der bis Dienstag als Parlamentsabgeordneter der Nea Dimokratia fungierende Constantinos Bogdanos ließ seine Rede in diesem Zusammenhang in ein antikommunistisches, anti-linkes Crescendo abgleiten. Für ihn ist Kritik am Pakt Landesverrat.

Wie dürfte es da, bei Gültigkeit des reformierten Artikels 191 erst Journalisten ergehen?

Bogdanos wurde wegen seiner verbalen Ausfälle im Zusammenhang mit der Rede von seiner Fraktion ausgeschlossen. Er hatte Mitte September bereits wegen zahlreicher, rechtsextremer Positionierungen in anderen Fällen eine „gelbe Karte“ erhalten. Die Entscheidung seines Fraktionsausschlusses ist auch in der Regierungspartei umstritten. Schon an Mittwoch wurde von Ministern und Parlamentariern der Nea Dimokratia eine Rückkehr Bodganos angedacht.

„Was heißt das konkret für mich!?“

Aktuell ist (noch) nicht zu erwarten, dass reihenweise Journalisten aufgrund des Artikels 191 vor den Kadi gezerrt werden. Aber vollkommen abwegig ist die Angst davor nicht! Die aktuelle Führung der Gewerkschaft ESIEA steht der Regierungspartei nahe. Ihre Forderung ist keineswegs ein Akt der Opposition.

Übrigens reicht für die Bestrafung von sogenannten Pandemieleugnern der jetzige Gesetzesrahmen vollkommen aus, wie zahlreiche laufende Verfahren belegen. Schon 2016 wurde ein Internetmedium verurteilt, weil es in den strafrechtlich geahndeten Artikeln hieß, Impfungen seien allgemein mit einer Krebsgefahr verbunden.

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