Ein Herz für Arme – nur im Wahlkampf!

„Es ist doch besser, wenn wir 100 Euro von den Rentnern für den Staat nehmen, als wenn diese das Geld ihren Enkeln für zum Kaffeetrinken geben.“ Mit diesem Spruch, welcher der Aussage des Chefs der Eurogruppe und amtierenden niederländischen Finanzministers Jeroen Dijsselbloem, der sinngemäß den Südländern der Eurozone vorwarf, sie würden die geliehenen Gelder für Frauen und Alkohol verprassen, stark ähnelt, erzürnte Dimitris Kammenos die Gemüter der Hellenen. Dijsselbloems flapsiger Spruch während eines Interviews gegenüber der Frankfurter Allgemeinen. Es sorgte nicht nur in Griechenland für Rücktrittsforderungen. Portugiesen, Spanier, Italiener aber auch Parlamentarier der übrigen EU-Staaten registrierten die Aussage mit Entsetzen. Seitens der griechischen Politiker blieb jedoch eine scharfe Reaktion aus. Was Wunder, wenn der abwertende Spruch über griechische Rentner und deren Enkel ausgerechnet von einem Regierungsabgeordneten stammt. Mit den 100 Euro, um die er die Ruhegelder kürzen möchte, meinte Kammenos keineswegs die ohnehin bereits beschlossene nächste Rentenkürzung, welche weniger als ein Jahr nach der letzten bereits geplant ist, und mehr als einer Million Rentnern weitere Einbußen beschert. Vielmehr möchte er den Rentnern noch einmal 100 Euro abnehmen, um damit Arbeitgebern einen Nachlass für die Sozialversicherung zu gewähren, so diese vorher Arbeitslose unter Vertrag nehmen.

Dimitris Kammenos ist Abgeordneter für die Unabhängigen Griechen, der Partei, welche Verteidigungsminister Panos Kammenos ins Leben rief, als er mit der damals regierenden Nea Dimokratia wegen des Schwenks zum Sparkurs brach. Panos Kammenos, der mit Dimitris Kammenos nicht verwandt oder verschwägert ist, hatte seine einstigen Parteigenossen in Parlamentsreden scharf angegriffen. Sie würden „auf allen Vieren gestützt darauf warten, dass ….“ die Kreditgeber ihnen weitere Forderungen abverlangen. Die im Griechischen eindeutig in Richtung einer sexuellen Handlung abzielende Wortwahl „auf alle Viere!“ von Panos Kammenos gefiel den Wählern, die sich von der Koalitionsregierung des konservativen Antonis Samaras und des PASOK-Vizepremiers Evangelos Venizelos buchstäblich verkauft fühlten. Es waren vor allem die ärmeren Bevölkerungsschichten, die Kammenos und Kammenos populistischen Wahlkampfsprüchen auf den Leim gingen. Mehr als die Hälfte der griechischen Bevölkerung, das besagen die einschlägigen Statistiken, lebt momentan mit der Unterstützung von Rentnern. Je nach Zählweise fanden seit 2010 elf bis zwölf Rentenkürzungen statt.

Nachdem Dimitris Kammenos am Dienstag die Gemüter erhitzt hatte, versuchte er am Mittwoch eine Korrektur des Gesagten. Er schrieb in seiner Erklärung im Wortlaut (unter Beachtung der von ihm hervorgehobenen Formulierungen, sowie der von Kammenos verwandten Grammatik, sofern dies bei der Übersetzung wiedergegeben werden kann):

„Bezugnehmend auf meine gestrigen Erklärungen im Fernsehen von SKAI möchte ich das Folgende klarstellen. In dem Moment wo wir gezwungen sind, die persönliche Differenz bei den Renten ab 2019/20 zu mindern hat nur unsere Regierung es geschafft, einen Teil der Differenz als Förderung der Arbeitgeberabgabe zu binden, womit wir neue Arbeitsplätze für Arbeitslose schaffen.

Wir haben danach gestrebt und waren erfolgreich, zum Beispiel zwanzig Euro im Monat von den Opas als Staat zu nehmenund diese an einen Arbeitgeber zu gebendamit unsere Enkel Arbeit finden und nicht damit der Herr Schäuble sie kriegt, oder sie im schwarzen Loch der Schulden versickern.

Wir haben es geschafft, dass dies weniges Geld wirklich gut investiert wird und damit helfen wir substanziell den Arbeitslosen, die wir geerbt haben.

Ich erinnere daran, dass die vorherigen elf Rentenkürzungen der vorherigen Regierungen im schwarzen Loch der Schulden versickerten und gleichzeitig die Arbeitslosigkeit um 998.000 Mitmenschen erhöhten. Dabei wurde ein Fehlbetrag von 8,5 Milliarden Euro (Rentenabgaben) in unseren Sozialkassen generiert.“

Atheisten bis zum nächsten Kirchenfest

Dass Premierminister Alexis Tsipras vor seinem Amtsantritt immer wieder betonte, Atheist zu sein und die vollständige Trennung von Staat und Kirche vorantreiben zu wollen, gehört zu den Paradoxa, an welche sich die Griechen bereits gewöhnt haben. Kaum ein Staatsakt, keine der zahlreichen Einweihungen neuer Autobahnabschnitte vergeht, ohne dass sich Tsipras zusammen mit hohen kirchlichen Würdenträgern zeigt.

Tsipras zumindest hinsichtlich der Präsenz bei Kirchenfesten und in der Regierungspolitik belegbare Bekehrung gipfelte in der Entlassung des Bildungsministers Nikos Filis. Filis musste seinen Hut nehmen, als Erzbischof Ieronymos sich über dessen Kürzungen in der orthodoxen Religionslehre ärgerte und beim Premierminister vorstellig wurde. Seine Heiligkeit Ieronymos revanchierte sich, indem er in einem Hirtenbrief um mehr Verständnis für den Regierungschef und um die Geduld des Volkes bat.

Trotzdem belieben Abgeordnete von SYRIZA immer wieder, öffentlich gegen kirchliches Brauchtum zu wettern. Der Abgeordnete Gerasimos Balaouras bezeichnete mitten in der Karwoche das Brauchtum des Osterlichts, eines in der Grabkapelle in Jerusalem zum Auferstehungsfest entzündeten Feuers, welches per Flugzeug und mit den Ehren eines Staatspräsidenten zum Osterfest nach Griechenland aber auch nach Zypern gebracht wird, als „paganistisches Brauchtum“. Balaouras sah sich sofort der scharfen Kritik von Gläubigen aller Parteien ausgesetzt. Eine Kollegin, Foteini Vaki, stand ihm trotzdem tapfer zur Seite. Vaki erklärte, „all jene, die Balaouras durch den Dreck ziehen, weil er das Brauchtum des Heiligen Lichts als paganistisch" bezeichnete, sollten bei Korai (Adamantios Korais (griechischer Gelehrter und Schriftsteller, Reformator der griechischen Literatur, gestorben 1833) nachlesen. In seinem Werk bezeichnet er es als Pseudowunder, dem „einige aufgrund von Naivität und andere aus Gewinnnutz Glauben schenken.“

In welche Kategorie sich Vaki einreiht, hat sie nicht geäußert. Sie stand mit einer Kerze tief andächtig neben Tsipras, als dieser der Ostermesse auf Korfu bewohnte. Vaki entzündete ihre Kerze am Heiligen Licht, welches von den Priestern zur Auferstehung an die Gläubigen gegeben wurde.

Es wäre unfair, die Inkonsequenz zwischen Worten und Taten nur bei der Regierung zu suchen. Die Beispiele mögen als pars pro toto dienen. Schließlich verspricht Oppositionsführer Kyriakos Mitsotakis, der nicht müde wird, sofortige Neuwahlen zu fordern, den Wählern bereits jetzt umfangreiche Steuererleichterungen.

Beitrag senden

Drucken mit Kommentaren?



href="javascript:print();"