Kiew wirft dem Westen das Schüren von Panik vor

Seltsam ist es auf jeden Fall, dass der britische Premierminister Johnson erwägt die Zahl britischer Truppen in den osteuropäischen NATO-Staaten zu verdoppeln, nachdem der ukrainische Präsident in Kiew vor Journalisten am Freitag öffentlich erklärt hatte, dass der Westen grundlos Kriegs-Panik wegen eines angeblichen russischen Aufmarschs schüre. Ferner führte der Präsident aus, dass er keine größere Eskalation an der Grenze erkenne.

Falls die ukrainische Regierung bisher irgendwelche Zweifel hegte, welchen Wert ihre Worte und Einschätzungen im Westen allgemein und in London speziell besitzen, so sind diese jetzt beseitigt. Ihre Worte hegten nämlich gar keinen Zweifel, trotz aller warmen Worte der Solidarität, die man in London, Berlin, Warschau und Washington für die Herrschenden in Kiew regelmäßig äußert. 

Schon einige Tage zuvor, nachdem in Kiew der Sekretär des nationalen Sicherheitsrats der Ukraine, Olexij Danilow erklärteWir sehen zum heutigen Tag überhaupt keine Anhaltspunkte für die Behauptung eines großflächigen Angriffs auf unser Land!

Für Kiew seien Truppenbewegungen auf russischer Seite im Gegensatz zum Westen keine erstaunliche Angelegenheit. Die ganze Aufregung habe erst mit einem Artikel in der „Washington Post“ Mitte Oktober begonnen - so der Sekretär des nationalen Sicherheitsrats der Ukraine. Johnson ließ davon in London unberührt propagieren, Moskau plane einen Blitzkrieg gegen Kiew.

London und Washington ziehen an einem Strang

Möglicherweise verwechselt Johnson die Ukraine mit einem Überbleibsel des Empires oder betrachtet dieses Land lediglich als ein Aufmarschgebiet für westliche Truppen. Das würde erklären, weshalb der britische Premierminister plant, die Zahl britischer Soldaten in der Region zu verdoppeln und Estland Waffen zur Selbstverteidigung zu liefern, wie die britische Regierung am Wochenende mitteilte.

Oder es handelt sich um britischen Humor, wenn dann die Außenministerin Liz Truss Russland mit Nachdruck zur Deeskalation aufforderte.

Johnson folgt hierbei Biden und untermauert die „special relations“, die angeblich die Beziehungen zwischen London und Washington charakterisieren, denn auch der US-Präsident hatte angekündigt, zusätzliche US-Truppen in osteuropäische Nato-Staaten zu verlegen. Biden machte keine genaueren Angaben, um wie viele Soldaten es sich handeln könnte und wohin sie wann verlegt werden könnten.

Verkehrte Welt: Im Gegensatz zum Westen teilt man in Moskau die Einschätzungen der ukrainischen Regierung

Russlands Sicherheitsratschef Nikolai Patruschew äußerte sich der Agentur Interfax zufolge: „Derzeit wird davon gesprochen, Russland bedrohe die Ukraine. Das ist eine komplette Absurdität, es gibt keine Bedrohung."

Der frühere Leiter des Inlandsgeheimdienstes FSB beschuldigte zudem den Westen, bezüglich eines Krieges "eigennützige Erfindungen" zu verbreiten. "Wir wollen keinen Krieg, wir brauchen ihn überhaupt nicht", so Patruschew.

Johnsons Flucht in eine riskante Außenpolitik 

Man muss wahrlich kein Politologe sein, um die Motive für die Vorgehensweise des britischen Premierministers zu durchschauen. Während Johnson innenpolitisch das Wasser bis zum Halse steht, die Rücktrittsforderungen auch aus den eigenen Reihen immer lauter werden, versucht der Premierminister die Flucht nach vorne, um die Aufmerksamkeit auf den Ukraine-Konflikt zu lenken. In wenigen Tagen wird der sogenannte Party-Gate-Bericht erwartet.

Die aktuelle innenpolitische Krise Großbritanniens, das Verhalten des Premierministers, flankiert von einer Regierung, die sich zerstritten und uneinig präsentiert, lassen die Umfrage-Werte Johnsons massiv sinken. 

„Was heißt das für mich konkret!?“

Auch in der Bundesrepublik sind einflussreiche Kreise nicht gewillt, die jüngsten Einschätzungen der Regierung in Kiew zu reflektieren. Die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik beispielsweise, fordert eine "drastische" Verschärfung der deutschen Russlandpolitik und eine "dramatische" Aufrüstung der Bundeswehr.

Der Präsident dieses transatlantischen Thinktanks - Thomas Enders - kritisiert das Vorgehen der Bundesregierung als "verantwortungslos" und ruft diese dazu auf, umgehend auf eine robuste "Außen- und Verteidigungspolitik" umzuschalten, was heißen soll, noch gefügiger gemäß den Vorgaben Washingtons zu agieren.

Dieses Vorgehen führt aber inzwischen zu einem Aufweichen der NATO-Front, wie das Internetportal German Foreign Policy wie folgt berichtet:

Aus anderen Staaten Ost- und Südosteuropas wird hingegen Unmut über die NATO-Pläne gemeldet. Bulgariens Verteidigungsminister Stefan Janew hat dem Vorhaben, in seinem Land eine eFP-Einheit zu stationieren, bereits im Dezember eine Absage erteilt und vergangene Woche seine Haltung vor dem bulgarischen Parlament bekräftigt.Bulgarien verfügt über gute Beziehungen nach Russland. Ebenfalls in der vergangenen Woche wurde berichtet, die Regierung der Slowakei sei einer eFP-Stationierung ebenfalls abgeneigt; zwar zeige Außenminister Ivan Korčok für die Pläne Sympathien, doch spreche sich eine Mehrheit in der Regierung dagegen aus, auch, weil Unruhen befürchtet würden: Mehr als 60 Prozent aller Slowaken sehen Russland nicht als Bedrohung an, mehr als 50 Prozent betrachten das Land als einen strategischen Partner. Ungarns Außenminister Péter Szijjártó nannte Berichte, denen zufolge eine Stationierung von rund 1.000 NATO-Soldaten im Gespräch sei – das ist die übliche Größe einer eFP-Einheit –, „fake news“. Bereits kürzlich hatte der kroatische Präsident Zoran Milanović mit der Äußerung für Aufsehen gesorgt, bei einer militärischen Eskalation des Ukraine-Konflikts würden alle kroatischen Soldaten aus Bündnistruppen abgezogen. Zwar hat in Kroatien der Präsident nicht die Kompetenz, darüber zu entscheiden, und die Regierung ist strikt NATO-loyal. Allerdings gilt dies nicht für die Bevölkerung: Aktuelle Umfragen ergeben, dass lediglich 44 Prozent „Vertrauen“ gegenüber dem Bündnis haben; 47 Prozent hingegen misstrauen ihm.“

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