Der griechische Finanzminister Euklid Tsakalotos begrüßte die seit Mittwoch, den 29. November wieder stattfindenden Versteigerungen von gepfändeten Immobilien als Schritt zur wirtschaftlichen Erholung. Er jubelt, dass nun der Aufschwung beginnen würde. Dass ausgerechnet seine Partei maßgeblich für das Aussetzen von Versteigerungen angetreten war, stört den selbsterklärten Marxisten überhaupt nicht.

Tsakalotos und seine Regierung haben sich von sämtlichen ideologischen Positionen der Linken entfernt. Es geht nur noch darum, an der Macht zu bleiben – offenbar um jeden Preis. Denn auch bei den von der Kreditgebertroika verlangten Versteigerungen gibt es Sprengstoff, der bei der nächsten Krise erneut zum Zusammenbruch führen kann.

Das komplizierte Immobilienwesen

Denn die Crux mit den Versteigerungen von Immobilien in Griechenland ist erheblich komplizierter, als es auf den ersten Blick den Anschein hat. Die Griechen hatten während der Ära der Drachme keine andere Wahl, als ihr angespartes oder anzusparendes Kapital in Immobilien zu stecken.

Die Zinsen, welche auf Einlagen der inflationären Drachme gezahlt wurden, deckten kaum die Hälfte des Wertverfalls. Die Banken hingegen verdienten gut an Immobilienkrediten, welche durch den Wert des Objekts jederzeit abgedeckt waren und dank hoher Zinsen gegenüber den von der Politik gern eingesetzten Abwertungen eine gewisse Immunität aufwiesen.

Die „Sparbücher“ der Hellenen, die eigenen vier Wände als Altersvorsorge, hielten die einheimische Bauindustrie auf Trab. Diese trug mit einem im Schnitt zwischen zehn und fünfzehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegenden Umsatz zur wirtschaftlichen Entwicklung bei. Als einzige Investitionsalternative für Privatleute gab es hochverzinste griechische Staatsanleihen. Es war eine lange anhaltende Win-Win-Situation von der Banken und Bürger profitieren konnten.

Ein Mietwohnungsmarkt war bis auf Groß- und Universitätsstädte kaum existent. Die Griechen hatten sich mit diesen Lebensumständen arrangiert und planten dementsprechend. Konsumentenkredite, gleich welcher Art, waren nahezu unbekannt.

Wer als Bürger etwas auf Pump kaufen wollte, schloss direkt mit dem Verkäufer einen Vertrag ab und unterzeichnete vordatierte Schuldverschreibungen. Vollkaufleute handelten untereinander mit vordatierten Wechseln, den so genannten Epitages, die wie eine Parallelwährung eingesetzt wurden und auch vom Empfänger seinerseits als Zahlungsmittel gegenüber seinen Lieferanten dienten.

Die Politik hingegen konnte ihre wirtschaftlichen Fehler mit den Abwertungen der Währung weitgehend ausgleichen und so sowohl das Volk als auch die Industrie bei Laune halten. Mit der Einführung des Euros fehlte dieses Instrument, ohne dass es zu einer Angleichung der Finanzierungspraxis kam.

Die Banken vergaben leichtfertig und ohne Rückversicherung auf den Kapitalmärkten Kredite an potentielle Wohnungskäufer. Je höher der Kredit, umso mehr stieg der Marktanteil der Banken, welche praktischerweise selbst die Bewertung der Immobilie vornahmen. Damit die Kunden zufrieden waren, wurde der Kaufpreis gern höher angesetzt, die Mehrsumme wurde als Renovierungskredit im Darlehensvertrag verzeichnet.

Die von der Bank bezahlten Ingenieure, die als Immobilienschätzer dienten, machten gute Miene zum bösen Spiel. Schließlich erhielten sie von den Geschäftsstellenleitern die Vorgabe, welchen Wert das zu schätzende Objekt haben sollte.

Der Fiskus hingegen reagierte auf die Diskrepanz zwischen im Kaufvertrag angegebener Summe und dem tatsächlichen, zu besteuernden Wert mit der Einführung der „objektiven Werte“ (antikeimenikes Axies). Diese wurden als Grundlage für die Besteuerung gewählt. Um die einheimische Konjunkturmaschine des Hausbaus nicht zu bremsen, verzichteten die jeweiligen Regierungen auf eine einheitliche, klar erkennbare Immobiliensteuern. Stattdessen wurden mehrere, teilweise versteckte Abgabenbelastungen für Hausbesitzer eingeführt.

Mit der Stromrechnung wird die kommunale Immobilienabgabe eingezogen, Immobilienbesitz galt (und gilt) als Schätzwert fiktiven Einkommens, Mindestsozialabgaben werden fällig, wenn das erworbene Objekt ans Strom- und Wassernetz angeschlossen werden sollte. In der Praxis manifestiert sich das darin, dass selbst für ein nachweislich vom seinem Besitzer eigenhändig gebautes Gebäude Versicherungsbeiträge für Bauarbeiter fällig wurden. Die eigenen Beiträge konnten nur einmal eingereicht werden, wobei die tagesweise abgerechneten Sätze die Gesamtzahl der Monatstage nicht überschreiten können.

Kurz, wenn ein Bauarbeiter nach Schichtende an seinem eigen trauten Heim werkt, muss er dafür einen weiteren, fiktiven Bauarbeiter versichern. Wie viele Tagessätze pro Quadratmeter Bau erforderlich sind bestimmt dabei nicht die Praxis, sondern der Kapitalbedarf der Sozialversicherung.

Es liegt auf der Hand, dass diese Beitragszahlungen ihrerseits gehandelt wurden. So bekamen Menschen für einen Bruchteil des Beitrags einen Versicherungsanspruch als Bauarbeiter, obwohl sie selbst nie eine Maurerkelle angefasst hatten. Auf eine Reform auf diesem Gebiet wartet die mangels Nachfrage nahezu komplett arbeitslose Baubranche bis heute.

 

Die Banken drucken ihr eigenes Geld – als Urlaubskredit

Die Banker gingen leichtfertig von einem ewigen Anwachsen der Immobilienblase aus. Sie hatten nicht begriffen, dass die gemeinsame Währung die nominelle Wertsteigerung einer Immobilie an die wirtschaftliche Entwicklung des Landes koppelt.

Neben den Hausbaukrediten gab es plötzlich für die Hellenen Kreditkarten, Reisekredite, Weihnachtskredite, Osterkredite, Ausverkaufskredite und natürlich Hochzeitskredite. Den Kunden wurden entsprechende Kreditverträge unaufgefordert frei Haus geschickt.

 „Unterschreiben Sie hier und holen Sie sich ihren XYZ-Kredit in der nächsten Geschäftsstelle unserer Bank ab“, „Wir haben Sie für unsere XYZ-Kreditkarte ausgewählt, aktivieren Sie sie am nächsten Bankautomaten mit der PIN, die Sie in unserer Geschäftsstelle abholen können und sofort haben sie XYZ-Tausend Euro Kreditvolumen“, waren die Sprüche, die in den gezielten Werbebriefen standen. Die Griechen, von den jeweiligen Regierungen dazu aufgerufen, nahmen die Angebote zum großen Teil an.

Sowohl unter dem Sozialdemokraten Costas Simitis als auch unter seinem konservativen Nachfolger Kostas Karamanlis wurde den Bürgern erklärt, dass sie mit ihrem Konsum zum wirtschaftlichen Aufschwung beitragen würden. Die Ungleichheiten bei der Euro-Einführung, die sich in bis zu vierfach gesteigerten Konsumentenpreisen manifestierten, sollten von den Bürgern als Kredit zwischenfinanziert werden.

Das „starke Griechenland“ würde in der Folge für die entsprechenden Lohnsteigerungen sorgen, so das Narrativ. Der Preis für einen halben Liter Trinkwasser am Kiosk wurde, ebenso wie der Preis für eine Gurke schlicht von 50 Drachmen bei der Euroeinführung auf 50 Eurocent gesetzt.

Ein Euro war jedoch 340,750 Drachmen wert. Bei Immobilienpreisen, Dienstleistungen und Mietpreisen verhielt es sich nicht ganz so extrem, aber durchaus ähnlich. So verlangte ein Arzt, der vorher seine Patienten für 5000 Drachmen pro Visite behandelte nun 50 Euro, in anderen Berufsfeldern, zum Beispiel bei Elektrikern, wurden aus den 5000 Drachmen dreißig Euro. Gesundheitskredite der Banken halfen den Patienten bei der Bezahlung. Der Staat griff nicht ein.

Der Lohn der Angestellten wurde exakt gemäß dem offiziellen Wechselkurs berechnet. Gleiches galt für die Zulieferverträge von Freiberuflern an Unternehmen. Bei dieser wirtschaftlichen Schieflage war die Pleite großer Teile der Bevölkerung auch ohne Euro-Krise vorprogrammiert, sie war durch die Kredite schlicht auf einen späteren Zeitpunkt verschoben worden.

Die Bauindustrie, neben dem Tourismus vor der Krise der Konjunkturmotor, boomte aufgrund der Olympischen Spiele von 2004 noch stärker. Die Großbaustellen für Olympia, die Athener Metro und der neue internationale Flughafen von Athen, Eleftherios Venizelos, forderten Unmengen an Beton, und damit an salzfreiem Flusssand. Dies verteuerte noch einmal die Baukosten in Griechenland.

Die griechischen Wohngebäude bestehen aufgrund der geltenden Erdbebensicherheitsgesetzte aus einem Betongerüst welches mit leichtem Mauerwerk in Wohnungen unterteilt wird. Die meisten Gebäude entstanden mit dem System der Antiparoxi.

Ein Grundstücksbesitzer stellte einem Bauunternehmer das Grundstück zur Verfügung und erhielt als Gegenwert Wohnungen und Geschäftslokale im entstandenen Bau. Wer als Bauunternehmer auf unverkauften Wohnungen sitzt, muss für diese ENFIA in voller Höhe abführen und beim Verkauf, ebenso wie die Bürger, eine neu dafür eingeführte Umsatzsteuer entrichten.

Die Bürger müssen zudem den nominellen Wertzuwachs ihres Objekts beim Verkauf versteuern. Das eigene Heim ist damit für die normalen Bürger alles andere als eine Geldanlage. Ironisch bemerken viele Griechen gern, „sei lieb, sonst schenke ich Dir eine Immobilie“. 

Die Euro-Krise, Reformen und private Zahlungsunfähigkeit

Nachdem Griechenland im Mai 2010 den Gang zum IWF antreten musste und schließlich als Konsequenz bis zum Abzahlen der Kredite 2060 unter die wirtschaftlich-politische Verwaltung der Kreditgebertroika geriet, wurden die Missstände in der griechischen Volkswirtschaft vielfältig beleuchtet.

In erster Linie wurden mit den Rettungskrediten die Staatsschulden gegenüber ausländischen und inländischen Banken bedient. Bei der Umschuldung wurden die privaten Kreditgeber gegen die EU-Staatengemeinschaft und den IWF ausgetauscht. Allerdings gab es eine große Ausnahme: private Besitzer von Staatsanleihen sowie die Sozialversicherungsträger und Universitäten, die per Anordnung des Staats ihre Gelder in Staatsanleihen investieren mussten, wurden beim Schuldenschnitt von 2012 faktisch enteignet.

Eine schleichende Enteignung fand auch für die Immobilien statt. Dort, wo neben den versteckten Immobiliensteuern keine als ausdrücklich solche ausgewiesene Steuer existierte, wurde diese in Form einer zunächst befristeten Sonderabgabe eingeführt. Heute heißt diese Steuer ENFIA und ist auf Dauer angelegt.

 Die Abgabenlast entspricht dabei zum Beispiel für ein fiskalisch mit einem „objektiven Wert“ von knapp 30.000 Euro taxierte vierzig Quadratmeter großes Apartment in der nördlichen Provinz Kilkis einer jährlichen Zusatzbelastung von 170 Euro, was im konkreten Fall einer Monatsmiete entspricht.

Die „objektiven Werte“ liegen jedoch aktuell teilweise um ein Vielfaches über den tatsächlich am Markt erzielbaren Preisen. Es ist exemplarisch, dass im Athener Stadtteil Kypseli Wohnungen von 60 Quadratmetern Größe schon für Preise ab 15.000 Euro erhältlich sind. Der fiskalische Schätzpreis bewegt sich jedoch immer noch auf dem Niveau von 1.450 Euro pro Quadratmeter und fällt selbst für sechzig Jahre alte Gebäude nur unwesentlich.

Die Reform der Schätzpreise und deren Angleichung an die tatsächlichen Marktpreise ist pikanterweise eine der wenigen im Rettungskreditvertrag verankerten Maßnahmen, bei denen der griechischen Regierung ein ums andere Mal ohne Murren seitens der Troika Aufschub gewährt wird. Für eine Bereinigung und einen Neuanfang des Immobilienmarkts ist sie jedoch unerlässlich.

Interessanterweise sind die Schätzwerte für einen bestimmten Personenkreis nützlich. Die teuren Immobilien der Oberschicht haben kaum Wert verloren, teilweise haben sie sogar gewonnen. Eine Villa auf Mykonos bleibt weiterhin ein renditeträchtiges Investitionsobjekt.

Unter dem Preisverfall, der durch die mit zahlreichen neuen Steuern und Abgaben, Gehalts- und Rentenkürzungen gesunkene Kaufkraft der Griechen noch weiter verstärkt wird, leiden die Banken doppelt. Sie haben in ihren Büchern überbewertete Hypotheken als Pfand für Millionen nicht mehr bediente Kredite stehen.

Mit dieser Begründung, der Kompensation der „roten Kredite“, wurden die griechischen Geldhäuser mehrfach auf Staatskosten – also mit Geldern der Steuerzahler und der Rettungskredite – rekapitalisiert. Der Fiskus erhielt als Gegenwert nicht stimmberechtigte Vorzugsaktien, die wiederum mit erheblichem Wertverfall von neunzig Prozent und mehr auf Druck der Kreditgeber erneut privatisiert, sprich an die Bankaktionäre zurück verkauft wurden.

Eine Bereinigung der Bücher hinsichtlich der „roten Kredite“, eines der wichtigsten Wahlversprechen von Premierminister Alexis Tsipras, fand dabei nicht statt. Tsipras wollte als Kandidat sogar sämtlichen Schuldnern, die er seinerzeit als Opfer der Krise ansah, ihre Schuld erlassen.

Die Variante, den Banken die mit den Kapitalaufstockungen gewährten Gelder wieder abzunehmen, wenn die Kredite bezahlt oder das jeweilige Pfand versteigert wird, wurde nicht vorgesehen. Die Banken hatten zudem im Zuge der Weltwirtschaftskrise vom Staat die Bürgschaft für Stützungskredite erhalten. Weil deren Rückzahlung nicht erfolgte, belasteten auch diese Verpflichtungen einseitig den Staat -und damit die Steuerzahler.

Als Ausgleich für die Bürger wurden Pfändungsschutzgesetzte eingeführt. Die nach den verantwortlichen Ministern der Krisenzeit Katselis- (2011) und Stathakis-Gesetz (2015) genannten Regelungen ermöglichen es überschuldeten Kreditgebern eine Gerichtsentscheid zur Schuldenreduzierung sowie den Schutz einer einzigen, als Wohnung dienenden Immobilie vor jeglicher Pfändung zu erreichen. Die Schutzregelungen laufen zum 31.12.2018 aus. Sie wurden zuletzt am 31.12.2014 verlängert.

Vom Schutz ausgenommen sind Freiberufler, Selbstständige und Händler, selbst wenn sie nachweislich nur scheinselbstständig sind. Ebenfalls vom Schutz ausgenommen sind die Bürgen der Kredite. Sie erleben das Paradoxon, dass sie, wenn dem Hauptschuldner vom Gericht ein Schuldenschnitt gewährt wird, die dem ursprünglichen Kreditbetrag entsprechende Restsumme zahlen müssen, ohne dass sie gegenüber dem nun geschützten Schuldner ein gemäß den ursprünglichen Kreditverträgen mögliches Regressrecht haben. Auch diese volkswirtschaftliche Zeitbombe wurde nicht entschärft.

Die Banken haben ihre „roten Kredite“ gemäß einer weiteren Weisung der Kreditgeber auf dem internationalen Märkten an Hedge-Fonds verkauft. In der Presse kursierten dafür Preise von einem bis dreißig Euro pro hundert Euro Nominalkredit. Auf Druck der Kreditgeber wurde ein mit Auflagen versehener inländischer Verkauf der mit Abschlag veräußerten Kredite an die Schuldner selbst, oder aber an die Bürgen ausgeschlossen. 

Ein Privatinsolvenzrecht, wie es Deutschland kennt, existiert nicht. Die Schulden werden vererbt, wenn der Erbbegünstigte nicht rechtzeitig widerspricht. Auf diese Weise fanden sich über die notwendigen Schritte nicht informierte Nichten und Neffen mit den Schulden eines verstorbenen Erbonkels wieder, weil dessen nächste Familie das Erbe ablehnte und die erforderliche Frist zum Einspruch abgelaufen war.

Immobilienüberschuss und Wohnungsmangel – wie passt das zusammen?

Trotz sinkender Immobilienwerte und statischem Immobilienüberschuss gibt es für Wohnobjekte in besserer Lage steigende Mieten. Warum? Weil die Objekte über Internetplattformen wie AirBnB und oft am Fiskus vorbei,  tagesweise statt monatsweise vermietet werden.

Dieses Paradoxon hat die Lage auf dem Wohnungsmarkt in Groß- und Universitätsstädten sowie an touristischen Orten weiter verschärft. Die Regierung bemüht sich gegenzusteuern, ist jedoch planungstechnisch und hinsichtlich des Zeitdrucks sichtlich überfordert. Wieder kommt die Situation der reicheren Bevölkerung zu Gute. Selbst bei einer Versteigerung eines ihrer Objekte, können sie anders als Besitzer von Immobilien in ärmeren Gegenden auf eine Kompensation ihrer Schuldenlast hoffen.

Mitten in dieses Chaos platzte die nächste, für die Beendigung der aktuellen Troika-Inspektion von der Troika geforderte Bedingung. Die Versteigerung von gepfändeten Wohnungen musste noch vor Ende November beginnen.

Um ihr Gesicht zu wahren, verwies die Regierung darauf, dass es mit den Banken ein mündliches Gentlemen's Agreement gäbe. Wohnungen mit einem Wert von unter 300.000 Euro würden (zunächst) nicht versteigert, außerdem sei der Wohnsitz eines Schuldners geschützt.

Damit außer den physisch vor dem Zivilgericht ausgetragenen Versteigerungen noch weitere Versteigerungen möglich werden, wurden zudem per Gesetz elektronische Versteigerungen über das Internet gesetzlich verankert und zum ersten Mal am 29. November durchgeführt.

Die 300.000 Euro Untergrenze entsprechen jedoch dem fiskalischen Schätzwert, der Mindestverkaufswert liegt erheblich niedriger. Zudem erlaubt sich der Fiskus den Luxus, für eigene – von keinem Gesetz eingeschränkte – Versteigerungen den niedrigeren Marktwert als zu erzielenden Preis anzusetzen.

Den fiskalischen Schuldner trifft somit das Paradoxon, dass er für eine Immobilie Steuern gemäß des hohen fiskalischen Schätzwertes schulden kann, der vom Staat beabsichtigte Verkaufserlös jedoch lediglich dem Marktwert entspricht. Nicht vor Versteigerungen geschützt sind zudem Objekte, bei denen der Schuldner keiner Bank, sondern einer Privatperson oder einem privaten Unternehmen Geld schuldig ist. Hier wurden am vergangenen Mittwoch Objekte im Wert von 30.000 Euros versteigert.

Die Versteigerungen als Waterloo für die „linke“ Regierung

Der Regierung propagierte, dass sie weiterhin „die Wohnungen des einfachen Volkes“ schützen würde. Sie verwies darauf, dass am ersten Versteigerungstag eine knapp 1,4 Millionen Euro teure Villa in einem teuren Vorort Athens zum Verkauf stand.

Trotzdem versammelten sich an den Zivilgerichten im gesamten Land, wie seit Monaten an jedem Mittwoch, Demonstranten, welche die Verfahren stoppen wollten. Die Aktivisten und linken Ideologen, die vehement gegen die Auktionen ins Feld ziehen, gehörten einst selbst der Partei Tsipras an. Sie waren seine Freunde, als er die Partei mit Wahlergebnissen zwischen drei und vier Prozent Wählerzuspruch übernahm.

Sie demonstrierten wacker gegen die Vorgängerregierungen und gaben Tsipras parlamentarische Munition, als sie zum Beispiel von der Schutzpolizei dessen konservativen Vorgängers Antonis Samaras bei Demonstrationen zusammengeschlagen wurden. Seinerzeit warf Tsipras seinem Vorgänger diktatorisches, menschenverachtendes Verhalten vor. Die heutigen Gegner Tsipras hatten für dessen Wahlsieg „die Straßen erobert“.

Am Zivilgerichtshof in Athen kam es zum Eklat. Die von Bürgerschutzminister Nikos Toskas damit beauftragte Bürgerschutzpolizei hielt Auktionsinteressenten aller Art, Journalisten und Demonstranten außen vor dem Sitzungssaal. Eine vernünftige Auktion hätte unter solchen Umständen kaum abgehalten werden können, denn es bleibt unklar, ob auch Kaufinteressenten fern gehalten wurden.

Es kam zum Wortgefecht zwischen Polizisten und Demonstranten und einer der Heißblütigsten entleerte den Inhalt eines Feuerlöschers auf die Polizeitruppe. Dies wiederum veranlasste Polizisten insgesamt drei Tränengasgranaten in den geschlossenen Vorsaal des Sitzungssaals mitten in die Menge zu werfen.

Wer nicht schnell genug heraus kam, darunter zahlreiche Reporter, wurde von der Polizei im gasumnebelten Raum festgehalten. Nicht alle hielten die Atemnot aus. Ein Politiker, der ehemalige Bürgermeister des Athener Vororts Kesariani, brach bewusstlos zusammen. Der alarmierte Rettungsdienst wurde jedoch von der vor dem Gerichtsgebäude eingesetzten Polizei für mindestens zehn Minuten vom Zugang zum Gebäude und damit von der ersten Hilfe abgehalten.

Hinsichtlich dieser Vorgänge hat die Staatsanwaltschaft von sich aus Anzeige gegen Polizei und Demonstranten eingereicht und befasst sich mit der Erhebung von Anklagen. Randalierer wurden bei dem Krawall nicht verhaftet, jedoch zahlreiche friedliche Demonstranten und Senioren durch Polizeiknüppel verletzt.

Hinsichtlich des Ansehens der Regierung haben die Vorgänge dem Vertrauen der Bürger erheblich geschadet. Der wegen der resultierenden Lebensgefahr gesetzlich streng verbotene Tränengaseinsatz in geschlossenen Räumen wurde so lange von den Verantwortlichen und den Ministern geleugnet, bis er zweifelsohne bewiesen werden konnte.

Danach änderte die Regierung ihre Verteidigungstaktik und verwies auf provozierte und überforderte Polizeibeamte vor Ort. Planungsfehler der Einsatzleitung, die offensichtlich unkontrolliert eine große Anzahl von Demonstranten ins Gebäude ließ, wurden nicht thematisiert.

Die Opposition jubelt und hält Tsipras seine Wahlversprechen aber auch sein Scheitern hinsichtlich der inneren Sicherheitslage vor. Erwähnenswert ist es, dass die besagte teure Villa von der Bank selbst zum Mindestgebot ersteigert wurde, weil sich kein weiterer Bieter fand.

Bemerkenswert ist jedoch, dass die Versteigerungen – wie von Finanzminister Tsakalotos angekündigt – den Kredithahn der Banken erneut geöffnet haben. Haben diese in den vergangenen Jahren mittelständischen Produzenten -selbst bei vorliegender Abnahmegarantie für deren Produkte- die Zwischenfinanzierung auf Pump verweigert, geben sie nun großzügig Immobilienkredite.

Allerdings werden diese nicht für zu bauende, sondern bei Vorlage eines Drittels Eigenmittel der für die Versteigerung notwendigen Bankgarantie für die Ersteigerung der Auktionsimmobilien bewilligt.

Die Regierung, die bislang triumphierend verkündete, dass keine „erste Wohnung in die Hände von Bankern“ geraten würde, hielt an der Aussage so lange fest, bis von der Presse bewiesen wurde, dass die Auktionen vom 29. November eben doch auch die besagten ersten Wohnungen einiger Schuldner betrafen.

Das Narrativ wurde innerhalb weniger Stunden auf „keine erste Wohnung des gemeinen Volks in die Hände von Bankern“ geändert. Was eine „erste Wohnung des gemeinen Volks“ in den Augen der Regierenden definiert, ist nicht bekannt.

Stattdessen fühlte sich der ehemalige Marineminister und führende Parteifunktionär der Regierungspartei SYRIZA, Thodoris Dritsas, bemüßigt, öffentlich darauf hinzuweisen, dass SYRIZA-Mitglieder und Funktionäre doch eigentlich sehr gut zu den Demonstranten gegen die Auktionen passen würden und zusammen mit diesen protestieren könnten.

Das Amt des Premierministers schickte gleichzeitig eine Protestnote an die Öffentlichkeit, in der die Presse beschuldigt wurde, dass sie aus propagandistischem Eigeninteresse gezielt nach versteigerten Wohnungen armer Bürger suchen würde.

Verpasst wurden die Chancen, die Krise zu einer tiefgreifenden Korrektur des Immobilienmarkts und der Praxis der Banken zu nutzen. Weiterhin steht ein volkswirtschaftlich notwendiger Neustart für die zum großen Teil überschuldete Bevölkerung aus. Schlimmer als alles wiegt jedoch, dass es in einem derartigen politischen Klima keinerlei Vertrauen -die notwendige Bedingung für jeglichen Wirtschaftsaufschwung- mehr gibt. 

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