Die britische Premierministerin May sah erschöpft aus, geradezu niedergeschlagen, als sie nach der verlorenen Schlacht am gestrigen Dienstagabend das House of Parliament verließ und sich in ihren Amtssitz in die berühmte Downing Street 10 fahren ließ.

War Theresa May von dunklen Ahnungen bezüglich ihres Platzes in den Geschichtsbüchern geplagt, angesichts ihrer von Niederlagen geprägten Amtszeit? Sehnte sie sich insgeheim, nach den Tagen ihrer Jugend, als im Vereinigten Königreich noch die kulturellen Schwingungen des Empires zu spüren waren? Oder erinnerte sie sich an einen ihrer historischen, weit gewichtigeren Vorgänger im Amt, zu der Zeit als Britannien noch ein Weltreich war?

Großbritannien: Eine asiatische Macht!?

Es war der damals führende britische Politiker Benjamin Disraeli, zweimal sogar im Amt des Premierministers, welcher das britische Weltreich öffentlich eher als eine asiatische Macht definierte, denn als eine europäische.

Disraeli bezog sich zu seiner Zeit, also Mitte des 19. Jahrhunderts, als britische Seeleute ihren Finger in den Ozean tauchten - flankiert von der Aussage "Tastes salty – must be British", "Schmeckt salzig, muss also britisch sein" - auf die Herrschaft Londons über den indischen Subkontinent.

1876 verband Disraeli sogar den Titel der Königin von England mit dem der Kaiserin von Indien, dies war ab diesem Zeitpunkt der offizielle Titel Ihrer Majestät. Schon 1847 hatte derselbe Politiker in seinem Roman "Tancred" die Idee propagiert, die Königin von England sollte nach Indien umziehen.

In dem erwähnten Roman heißt es: "Die Königin soll eine große Flotte sammeln und mit ihrem ganzen Hof und der ganzen führenden Schicht ausziehen und den Sitz ihres Reichs von London nach Dehli verlegen. Dort wird sie ein ungeheures, fertiges Reich finden, eine erstklassige Armee und große Einkünfte."

Wenig Verbindung zwischen der Insel und dem Kontinent

Benjamin Disraeli brachte mit diesen Worten zum Ausdruck, was zu jener Zeit von vielen Bewohnern des Empires ähnlich empfunden wurde, nämlich dass das britische Mutterland - die Insel - aufgrund der gewaltigen geographischen Ausdehnung des Weltreiches, über Kontinente und maritime Weiten hinweg, kein Bestandteil Europas mehr war - und auch nicht mehr mit dessen Schicksal verbunden sei. Viel eher glich dieses Gebiet, in dem die Sonne nicht mehr unterging, einem Schiff, welches den Anker lichten und in einem Erdteil vor Anker gehen kann. 

Mehrheit gegen Mays Vorschlag - Wird der Brexit verschoben?

Gestern hatten 242 Abgeordnete für das von May vorgelegte Brexit-Abkommen gestimmt, aber eine erdrückende Mehrheit von 391 Stimmen hielt dagegen. „Wenn dieser Deal nicht angenommen wird, kann es sein, dass der Brexit verloren geht“, raunte May vor der Abstimmung.

Am heutigen Mittwochabend sollen nun die Parlamentarier erneut abstimmen, Es geht darum, ob Großbritannien ohne Abkommen aus der EU austreten soll. Wenn auch dieses abgelehnt wird, müssen die Abgeordneten am morgigen Donnerstag darüber entscheiden, ob London den Antrag stellen soll, den Brexit zu verschieben.

Ist der Brexit-Gedanke eine nostalgische, von Weltmachtherrlichkeit beseelte Utopie ewig Gestriger?

Es sei in diesem Zusammenhang daran erinnert, dass die Befürworter eines Brexits, bei aller ideologischen und parteipolitischen Heterogenität, zumindest unterbewusst, häufig auch demonstrativ, die Sehnsucht nach jener Zeit propagierten "when Britannia ruled the waves", "alsBritannien die Wellen beherrschte".

Dass es sich hierbei um eine von Nostalgie getragene Utopie handelt, die im Falle eines Austritts Großbritanniens aus der EU einer tristen Realität - ja einer beklemmenden sozioökonomischen Perspektive - weichen könnte, ist bisher weder bewiesen noch widerlegt.

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