„Pristina, kurz nach Einbruch der Dunkelheit. Auf dem Mutter Theresa-Boulevard, der Flaniermeile der kosovarischen Hauptstadt, hat sich eine dichte Menschenmenge gebildet. Das Durchschnittsalter der Anwesenden scheint irgendwo zwischen Ende 20 und Anfang 30 zu liegen, was für kosovarische Verhältnisse, dem Land mit der höchsten Geburtenrate und jüngsten Bevölkerung Europas, schon alt aussieht.

Lebhafte Gespräche werden geführt, Sekt- und Biergläser in den Händen gehalten. Gelegentlich erklingt irgendwo ein lautes Lachen, wird ein Lied eingestimmt, werden Hände geschüttelt, oder Wangenküsse zur Begrüßung ausgetauscht. Die jungen Leute sind modisch gestylt, nicht anders als ihre Altersgenossen, in Prag, Berlin, London oder Zürich. Überwiegend scheint es sich um Akademiker zu handeln, um die Kinder des zahlenmäßig überschaubaren Bildungsbürgertums Pristinas.

In der Mitte steht ein junger Mann, Typ Promotionsstudent, kurz vor Ablauf seines Stipendiums, tief versunken im Gespräch mit einer koketten Blondine. Nach einer Weile, beim genaueren Hinsehen, fällt auf: Dieser Mann steht nicht zufällig dort in dieser Menschenmenge – sondern wird von dieser begeistert umrundet und der eigentliche Grund für diesen Auflauf. Ihm gelten die neugierigen Blicke der vorbei eilenden Passanten, sowie das regelmäßige Aufflackern von Blitzlichtern durch gezückte Digitalkameras und Mobiltelefone. Es handelt sich um Albin Kurti, Medienstar und Enfant Terrible der politischen Szene des Kosovo, ehemals Untergrundkämpfer, Bürgerrechtsaktivist, Studentenführer – und seit den letzten Wahlen Abgeordneter im Parlament, sowie Vorsitzender seiner Gruppierung Vetevendosje, zu Deutsch »Selbstbestimmung«.

Diese Szene war vor knapp 6 Jahren zu beobachten, als der Verfasser dieses Beitrages eine Dienstreise durch den Kosovo unternahm, einen Tag vor einem Interview-Termin mit dem porträtierten Politiker.

Kaum Perspektiven für die Bevölkerung

»Nein, bei Vetevendosje handelt es sich immer noch nicht um eine politische Partei, sondern um eine Bewegung!«, betonte Kurti damals, nachdem er sich von der Gruppe gelöst, und die ausländischen Gesprächspartner in ein nahe gelegenes Café gebeten hatte. Albin Kurti, Jahrgang 1975, wirkte selbstbewusst, smart, eloquent, hatte auf alle Fragen die passenden Antworten parat.

Die Vorstellung fiel schwer, dass dieser Mitdreißiger, der im fließenden Englisch parlierte, schon als 22-Jähriger der Guerilla-Truppe UCK beitrat, seit frühester Jugend für die Unabhängigkeit des Kosovos vom damaligen Jugoslawien kämpfte, von einem serbischen Gericht einst zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt wurde, wenig später, nach dem Ende des Milosovic-Regimes in Belgrad, vorzeitig aus der Haft entlassen wurde, um sich seitdem im Kosovo als Stachel im Fleisch des politischen Establishments zu etablieren, dabei auch immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt gerät, provoziert, rebelliert, auffällt und aufrüttelt, Ablehnung und Begeisterung auslöste.

»Sein Verhältnis zur Gewalt ist problematisch«, wußte ein hoher Kommandeur der KFOR-Truppen zu berichten. »Auf den Demonstrationen von Vetevendosje komme es immer wieder zu Ausschreitungen. Extremistische Ex-UCK-Elemente ziehen dabei die Strippen hinter den Kulissen. Kurti nimmt das alles billigend in Kauf«, lautete die Klage der Militärs.

Der Kosovo begeht dieser Tage den 9. Jahrestag seiner Unabhängigkeit, die noch immer auf wackeligen Beinen steht. Weder ist Kosovo international vollständig anerkannt, noch kann von einer Staatlichkeit gesprochen werden, die sich ökonomisch selbst trägt. Viel eher gleicht Kosovo einem Protektorat, aus dem die Menschen in Massen emigrieren, statt den Jahrestag zu feiern.

Zerfall und forcierte Zerstörung Jugoslawiens

Im Gegenteil dazu plädieren kosovarische Intellektuelle heute für eine breite Koalition von Parteien und Bürgergruppen um Hashim Thaci  zu entmachten, der sich vom einstigen Hoffnungsträger zum halbseidenen Autokraten entwickelt hat.  In dieser Volksfront wäre die linksnationalistische Vetevendosje (Selbstbestimmung).von deren Vorsitz Albin Kurti inzwischen zurückgetreten ist, die stärkste Kraft, was zu neuen Problemen führen könnte, denn diese Bewegung fordert ein Groß-Albanien, also eine Vereinigung von Kosovo und Albanien, plus Anschluss der albanisch bevölkerten Regionen Mazedoniens, Serbiens und Montenegros.

Bis heute unerträglich klingt der Vergleich mit Auschwitz, den der damalige Außenminister Joschka Fischer verwendete, um den ersten "Out of Area"-Einsatz der Bundeswehr zu rechtfertigen. Im Kosovo geschah natürlich sehr viel Schreckliches. Diese paramilitärischen Einheiten der Serben hatten schon in Bosnien gezeigt, daß sie zu morden verstehen. Es waren zum Teil kriminelle Elemente, doch der Vergleich mit Auschwitz war und ist eine Beleidigung der Opfer von Auschwitz, ja eine Bagatellisierung der dort vergangenen Menschheitsverbrechens. Als deutscher Politiker hätte er eigentlich über ein gewisses historisches Gespür verfügen sollen bezüglich solcher unsachlichen Vergleiche.

Inzwischen wurden in den USA Stimmen laut, die erklärten, dass die CIA den Zerfallsprozess Jugoslawiens in den 1990er Jahren massiv beschleunigten, der zu Krieg und Bürgerkrieg führte und hundertausende Opfer forderte.

Der ehemalige CIA-Agent Robert Baer behauptet sogar in seinem Anfang des letzten Jahres erschienen Buch "Secrets of the White House", dass das Ziel bestand, den Staat Jugoslawien als geopolitischen Machtfaktor auszuschalten. Zu jene Zeit ,so Robert Baer, also vor rund einem Vierteljahrhundert, zerbrach die Sowjetunion, ebenso die Tschechoslowakei, Deutschland wurde vereinigt, der Warschauer Pakt löste sich auf, die geopolitische Landschaft, welche nach dem 2. Weltkrieg entstanden war, hatte über Nacht aufgehört zu existieren. In Washington hatte man damals das Ziel, gemäß der Fehlanalysen Fukuyamas, die Chancen zu nutzen, um dauerhaft westliche Vorstellungen von der Welt nicht nur in Europa zu installieren, um zukünftig das Entstehen eines gegnerischen Machtfaktors, wie es die UdSSR einst war, dauerhaft zu verhindern. Die Frage, ob mit der Abspaltung Kosovos von Serbien der Zerfallsprozess Jugoslawiens beendet ist, hängt davon ab, wie sich die innenpolitische Lage Kosovos entwickelt. Momentan scheint es so, als wären die Gespenster des Balkans wieder erwacht...

Im Kosovo, sowie in dessen unmittelbaren Umfeld, kreuzen sich inzwischen die geostrategischen Interessen Russlands, der Türkei und - mit abnehmender Tendenz - des Westens. War der Kosovo-Feldzug nur eine Probe-sollte der Balkan ursprünglich als Sprungschanze dienen, für eine Ausdehnung des westlichen Verteidigunsbündnisses in die Weiten Zentralasiens hinein? Wenn ja, dann war der Balkan-Einsatz eine Falle für den Westen, besonders für Europa, denn die USA sind dabei sich global zurückzuziehen.Wir verbleiben aber in unmittelbarer Nähe der alten und neuen Konfliktzonen unseres Kontinents.

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