Natürlich ist die erzwungene Umleitung eines Passagierflugzeuges auf internationaler Strecke ein schwerer Verstoß gegen internationale Abkommen im Luftverkehr. So wie am 3. Juli 2013 geschehen, als die Maschine des bolivianischen Präsidenten Morales auf dem Rückflug von Moskau nach Bolivien in Wien zur Landung gezwungen und durchsucht wurde. Als Grund wurde angegeben, dass die USA vermuteten, dass Morales den Whistleblower Edward Snowden mit an Bord hatte.

An diesem Sommertag, vor acht Jahren, fiel die Empörung in der internationalen Staatengemeinschaft des Westens äußerst mau aus. Nato-Staaten wie Frankreich und Spanien unterstützten damals diesen Bruch eines internationalen Abkommens, indem sie ihren Luftraum für die Maschine des bolivianischen Präsidenten gesperrt hatten. Im Spiegel war damals anschließend zu lesen:

Durften europäische Staaten der Maschine von Evo Morales das Überflugrecht verweigern und sie so zur Landung in Wien zwingen? Ja, sagen Rechtsexperten. Jede Nation herrscht über ihren eigenen Luftraum. (…) Zur Landung zwingen dürfte ein Staat ein Flugzeug nur aus schwerwiegenden Gründen – wenn etwa der Verdacht besteht, dass die Maschine zur Spionage oder als Terrorwaffe missbraucht wird. Für eine Durchsuchung am Boden hingegen genügt zufolge laut Giemulla schon der Verdacht eines Verbrechens. Österreichs Sicherheitsbehörden hätten also die Maschine inspizieren dürfen.“

Bei der erzwungenen Umleitung eines Ryanair-Fluges nach Minsk, welche dieser Tage die Medienberichterstattung dominiert, werden andere Maßstäbe angelegt. Das gleiche Hamburger Nachrichtenmagazin, welches 2013 Worte der Rechtfertigung formulierte, schreibt jetzt:

Politiker in Deutschland und anderen EU-Staaten zeigen sich empört über den Vorfall am Flughafen Minsk. Sie sprechen von »Entführung«, »Piraterie« – und stellen eine scharfe Reaktion in Aussicht.“

Die Negierung des Völkerrechts

Diese unterschiedlichen Beurteilungen in Medien und Politik des Westens von ähnlichen Sachverhalten, setzen nicht nur die Grundlagen internationaler Abkommen außer Kraft, sondern unterminieren das Völkerrecht, um das es sowieso nicht gut bestellt ist. Die deutlichen Worte Gregor Gysis bilden unter deutschen Politikern diesbezüglich eine seltene Ausnahme:

Auch dadurch verkam der Völkerrechtsbruch scheinbar zu einer Bagatelle. So gibt es keine moralische Instanz mehr, die das Völkerrecht wirksam verteidigen könnte. Wer gestern selbst das Völkerrecht gebrochen hat, kann heute nicht glaubhaft einen anderen anklagen, der ebenfalls das Völkerrecht bricht. Dasselbe gilt für das Kosovo und die Krim. Es kann deshalb nur eine Antwort geben: Die internationale Staatengemeinschaft muss kollektiv aus dem Kreislauf der mal geduldeten und mal angeklagten Völkerrechtsbrüche ausbrechen. Der Weg dorthin kann nur politischer Dialog sein - auch mit Minsk und vor allem mit Moskau.“

Lukaschenkos Rechtfertigungsversuch

In Minsk versuchte Präsident Lukaschenko unterdessen sein umstrittenes Vorgehen zu rechtfertigen: Weißrussland werde von „unseren Feinden im In- und Ausland“ attackiert, sagte er.

Sie haben viele rote Linien sowie die Grenzen des gesunden Menschenverstands und der menschlichen Moral überschritten.“

Er habe rechtmäßig gehandelt, „indem ich die Menschen geschützt habe – nach allen internationalen Regeln“, ließ der Präsident verlautbaren. Als weitere Erklärung, die an den Haaren herbeigezogen anmutet, hieß es aus Minsk:

Weißrussland habe aus der Schweiz die Information bekommen, dass sich ein Sprengsatz an Bord des Flugzeugs befinde. Deshalb sei das Flugzeug, das auf dem Weg nach Litauen war, mit Unterstützung eines Kampfjets nach Minsk umgeleitet worden. (…) Minsk hatte am Sonntag eine Ryanair-Maschine auf dem Weg von Athen nach Vilnius unter dem Vorwand einer Bombendrohung der radikalislamischen Hamas und mit einem Kampfjet zur Zwischenlandung in Minsk gezwungen.“

Was wirklich die Hintergründe dieses Vorfalls sind, bleibt zur Stunde unklar, verschwindet hinter dem Nebel der Desinformationen und Halbwahrheiten, die gestreut und verbreitet werden.

Wenn aber die Person Roman Protasewitsch wirklich der Grund sein sollte, ein Blogger und Oppositioneller, der außerhalb eines kleinen Zirkels kaum Bedeutung besaß, dann hat Präsident Lukaschenko wirklich schwache Nerven gezeigt und sollte über einen baldigen Rückzug aus der Politik nachdenken.

"Was bedeutet das konkret für mich!?"

Es ist Zeit, wieder eine aktive Außen- und Sicherheitspolitik zu betreiben. Und zwar eine wirklich europäische, im Dienst demokratischer und humanitärer Werte.“

Diese klugen Worte ließ die Kanzlerkandidatin der Grünen Annalena Baerbock kürzlich auf dem Deutschen Forum Sicherheitspolitik verlautbaren. Frau Baerbock hat absolut Recht, nur stehen diese Worte in einem schroffen Gegensatz zu der außenpolitischen Agenda ihrer Partei und ihrer eigenen Aussagen diesbezüglich.

Die Lage des Völkerrechts und die Aussichten sind nicht rosig. Für die heutige Welt, erst recht für die von Morgen, bedarf es aber einer übergeordneten völkerrechtlichen Instanz, die für alle globalen Akteure verpflichtend ist, soweit dieses möglich ist. 

Dazu ein interessantes Interview mit einer tatsächlichen Völkerrechtlerin, nicht einer angeblichen...

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