Artikel 3 Grundgesetz – unwichtig für die Regierungspartei Griechenlands

Artikel 3 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland besagt:

Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

Es ist ein im öffentlichen Leben Deutschlands viel diskutierter Artikel, zeigt er doch die Grenzen öffentlicher Meinungsäußerungen und verwaltungstechnischer Maßnahmen auf. In Griechenland wurde Ende November - nach vielen vorher gescheiterten Versuchen - endlich eine Novellierung der Verfassung verabschiedet.

Zahlreiche Sicherungsmechanismen, welche die Verfassungsväter 1975 zum Schutz vor Missbrauch durch temporäre parlamentarische Mehrheiten eingebaut hatten, machen Verfassungsreformen in Griechenland zu einem komplizierten und schwierigen Verfahren. So mussten die Reformvorschläge zunächst die Mehrheit der vergangenen Legislaturperiode erhalten, bevor sie mit der Mehrheit der aktuellen Periode bestätigt werden konnten. Bevor eine neue Reform möglich ist, muss ein bestimmter Zyklus, samt der Dauer von Legislaturperioden vergehen.

Als moderner, europäischer Staat, der Griechenland sein möchte, müsste das Land eigentlich einen den EU-Grundwerten entsprechenden Artikel wie Artikel 3 in der Verfassung verankern. Die vergangene Legislatur der Vouli der Hellenen, wie das Parlament heißt, verabschiedete einen entsprechenden Vorschlag. Bei der Bestätigungsabstimmung Ende November verweigerten jedoch 178 Abgeordnete des dreihundertsitzigen Parlaments die Zustimmung. Nur die Parteien des linken Spektrums konnten sich für die explizite Betonung der Gleichheit aller Bürger und Einwohner des Staats begeistern. Die Regierungspartei, die Nea Dimokratia, ist mit der CDU/CSU über die Europäische Volkspartei verbrüdert.

Pressefreiheit SOS

Ebenfalls Ende November betonte die Journalistengewerkschaft ESIEA in einer Stellungnahme:

Die Träger der Regierungsgewalt sind verpflichtet, zu verstehen, dass die Polyphonie der Sauerstoff der Demokratie ist. Anstatt das Schwert der Strafe zu ergreifen, sollten sie sich lieber an die Regeln der Meinungsvielfalt und die öffentliche Auseinandersetzung mit Argumenten anpassen.

Was war geschehen? Der erst drei Tage vorher zum stellvertretenden Leiter der staatlichen Koordinierungsstelle für unbegleitete minderjährige Asylbewerber, Apostolos Doxiadis, hatte sich über regierungskritische Kommentare des Journalisten Dimitris Maniatis geärgert, und dessen Zeitung „Ta Nea“ mit Boykott gedroht, sollte Maniatis, den er öffentlich mit persönlichen Beschimpfungen überzog, nicht entlassen werden. Er drohte damit der Zeitung indirekt auch mit Ausschluss von der Berichterstattung über die wieder aufflammende Asylproblematik.

Pikant an dem Fall ist, dass Doxiadis selbst seine für einen Großteil der griechischen Bevölkerung häretischen Meinungsartikel bis zu seiner Erhebung ins Amt in „Ta Nea“ veröffentlichte.

Forschungsgelder & Bankkredite: Missbrauch staatlicher Parteienfinanzierung

Die staatliche Parteienfinanzierung soll in demokratischen Staaten die Demokratie stärken und zur politischen Meinungsbildung beitragen. Dies gilt theoretisch auch in Griechenland. Dort gibt es neben der staatlichen Finanzierung der Parteiarbeit auch Budgets für die parteinahen politischen Forschungsinstitute. Diese Mittel sind per Gesetz für die Verwendung in der Forschung und Lehre vorgesehen. Gelder, die nicht für diesen Zweck verbraucht werden, stehen laut Gesetz dem Staat als Rücküberweisung zu.

Die politischen Parteien des Landes haben jedoch vor und während der Finanzkrise über ihre Verhältnisse gelebt. Sie haben, gegenüber den Banken mit postulierten Wahlergebnissen „abgesicherte“, Kredite aufgenommen, die sie nun nicht mehr bedienen können. Für die Gewährung der Kredite nutzten regierende Parteien gegenüber den Bankdirektoren ihre politische Macht aus. Bestraft wurde niemand.

Offenbar ermutigte dies die Schatzmeister der Parteien, auch die Forschungsgelder eiskalt zu veruntreuen. Dies zumindest deckte der zivilgesellschaftliche Verein Vouliwatch auf. Vouliwatch verlangte mit juristischen Mitteln Einblick in das Finanzgebaren der Parteien und erhielt bislang zumindest für das Jahr 2015 Auskunft.

Demnach zahlte die heutige Regierungspartei Nea Dimokratia mit 350.997,95 Euro ihrer Forschungsgelder an Banken und für die Begleichung von Schulden beim Staat. Die PASOK setzte 199.191,51 Euro der Gelder zweckentfremdet für die Bezahlung von Personal ein. Selbst die im Parlament nicht vertretene, neoliberale Kleinpartei Drasi schloss sich dem allgemeinen Trend an. Sie benutzte das gesamte Forschungsgeld in Höhe von 4.996 Euro für Löhne der Parteimitarbeitet.

Die für die Überwachung der Verwendung zuständige staatliche Prüfkommission konstatiert, dass fast alle Parteien ihre Forschungsgelder, anders als es das Gesetz vorschreibt, auf getrennten Konten verwaltet haben. Sie könnte eigentlich ein Strafgeld in Höhe von fünfzig Prozent der Finanzmittelzuwendung verhängen. Sie verzichtet jedoch darauf und beruft sich auf die Tatsache, dass die Parteien nicht gut genug organisiert waren und Zeit bräuchten, um sich dem Gesetz anzupassen.

Rauchverbot fördert Zechprellerei

Wenn schon die Parteien, die mit ihren Beschlüssen das Leben der Bürger bestimmen, diese selbst nicht einhalten, dann sehen sich einige Griechen motiviert, Gleiches zu tun. So geschieht es momentan mit dem Rauchverbot. Nachdem das gesetzliche Rauchverbot in öffentlichen geschlossenen Räumen fast ein Jahrzehnt regelmäßig nicht beachtet wurde, zog der neue Premier Mitsotakis die Reißleine. Im gesamten Land schwärmen Kontrolleure aus, und belegen Gaststätten, in denen geraucht wird, mit empfindlichen Strafen. Ein Bürgertelefon wurde eingerichtet, über das jeder einen illegalen Raucher melden kann.

Die Lokalbetreiber setzt dies gleich mehrfach unter Druck. Sie verlieren Kunden, die ohne die Möglichkeit zu rauchen nicht ins Lokal wollen. Sie müssen büßen, wenn ein Kunde widerrechtlich eine Zigarette anzündet und von staatlichen Kontrolleuren oder von Nutzern des Bürgertelefons erwischt wird, bevor sie einschreiten können. Schließlich müssen die Wirte auch noch ertragen, dass sich einige Bürger so unsozial verhalten wie viele Politiker. Mit der Ausrede, sie würden kurz vor der Tür rauchen gehen, entfernen sich Gäste gruppenweise von den Tischen. Danach verschwinden sie und „vergessen“ schlicht, zu bezahlen.

Spiele statt Brot

Steuererleichterungen für Reiche und Krümel für Bedürftige, so lässt sich die fiskalische Reformpolitik unter Mitsotakis am besten beschreiben. Das griechische Parlament verabschiedete Anfang Dezember die neuen Steuergesetze des Landes. Griechenland kennt keine Sozialhilfe im Sinn des deutschen sozialen Netzes der Grundsicherung. Gerade in der Krise bedroht dieser Mangel die Bedürftigsten des Landes in ihrer biologischen Existenz. Es ist ein Umstand, der selbst vom IWF anerkannt und den Regierungen ein ums andere Mal ins Aufgabenheft geschrieben wird.

Für Mitsotakis bedeutet dies, dass er 175 Millionen Euro aus dem Primärüberschuss des Staatshaushalts für soziale Leistungen ausgeben möchte. So bekommen schwer Behinderte bis zum Alter von 24 Jahren im Dezember einmalig eine kleine Prämie. Für ältere Personen ist kein Geld da.

Allerdings zahlen professionelle Sportvereine in Griechenland nach Meinung der Regierung zu hohe Steuern. Für sie wird der Spitzensteuersatz für Transferzahlungen und Prämien an Spieler von 45 Prozent auf 22 Prozent gekappt. Weitere 540 Millionen Euro verliert der Staat pro Jahr durch die Senkung des Spitzensteuersatzes für Unternehmen, der von 28 Prozent auf 24 Prozent fällt. 75 Millionen Euro kostet die Halbierung der Besteuerung von Dividenden von zehn auf fünf Prozent.

Die Steuerfreiheit der Reeder von Passagier und Handelsschiffen, die als Berufsstand einen Großteil der Medien und der professionellen Sportclubs besitzen, bleibt weiterhin erhalten. Im Gegenzug wird eine neue Steuer auf Fischerboote eingeführt. Eine spezielle Kraftfahrzeugsondersteuer für Traktoren wurde von einem Thinktank ebenfalls als Notwendigkeit für die Konsolidierung der Staatsfinanzen vorgeschlagen.

Kein Geld für Krankenhäuser

Wegen Geldmangel schließt dagegen ein Dialysezentrum auf der Insel Santorin. Die achtzehn chronisch nierenkranken Patienten auf der Insel wissen nicht, wie sie nun überleben können. Es gibt zwar im staatlichen Allgemeinen Krankenhaus Thira auf der Insel eine Abteilung für Dialyse mit moderner Ausstattung, allerdings fehlt es an Personal.

Diesmal ist nicht nur die bescheidene Honorierung der Ärzte für den Mangel verantwortlich. Vielmehr können selbst idealistisch eingestellte Ärzte nicht auf die Insel kommen, weil die Insulaner in Zeiten des AirBnB-Booms den Wohnraum zu Preisen vermieten, welche das Honorar der Ärzte übersteigen.

Mit Personal - aber ohne Medizinprodukte - muss dagegen das Universitätskrankenhaus von Patras auskommen. Das führte dazu, dass am 10. Dezember für unbestimmte Zeit die Chemotherapie für onkologische Erkrankungen eingestellt werden musste.

„Was heißt das konkret für mich!?“

Der Leser erfährt, dass es außer dem Streit der Griechen mit den Türken über fossile Energievorkommen in der Ägäis, den Flüchtlingen auf den Inseln und außer den von Gewalt begleiteten Demonstrationen in den griechischen Großstädten viele, oft übersehene Kleinigkeiten gibt, die aber in der Summe die Bürger mehr betreffen und beeinflussen als die international beachteten Meldungen. Die beschriebenen Beispiele sollen einen kleinen Einblick in den griechischen Alltag gewähren.

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