Die Selbsterkenntnis eines gescheiterten Revolutionärs

Nach dem Ende des Programms im August, so Tsipras, sei Griechenland von der Schuldenknechtschaft befreit und die Bürger könnten endlich die soziale Seite der Politik von SYRIZA genießen. Zweifler an dieser Version wurden bislang als bösartige Feinde der Regierung abgekanzelt. Die Tatsache, dass auch in ausländischen Medien davon die Rede ist, Griechenland sei gerettet, wird gern als Beweis der frohen Botschaft von SYRIZA eingesetzt.

Die griechischen Bürger haben derweil in den letzten sechs Jahren 32,5 Milliarden Euro Sparvermögen eingebüßt. Sie schulden dem Staat 130 Milliarden Euro – 73 Prozent des BIPs – an Steuern und Sozialabgaben. Nicht etwa, weil sie notorische Zechpreller sind – wie die Regierung gern behauptet – sondern vielmehr, weil viele die Abgabenlast nicht mehr tragen können. Weitere Rentenkürzungen und Steuererhöhungen stehen bevor. Die vor allem in Deutschland vorherrschende Skepsis gegenüber den griechischen Finanzen erscheint daher durchaus berechtigt, wenngleich die deutsche Politik selbst erheblichen Anteil am Verlauf des Rettungsprogramms hat.

Stehen gar erneut turbulente Zeiten wie 2015 bevor? Die Antwort darauf gibt ausgerechnet Tsipras selbst. In einem Gastbeitrag für die SYRIZA nahe „Efimerida ton Syntakton“, kurz EfSyn genannt erklärt der Premier die Lage überraschend ehrlich und schonungslos, jedoch in typische Politikerfloskeln verpackt. Der Beitrag ist auf Griechisch abrufbar unter www.efsyn.gr/arthro/varysimanto-arthro-toy-prothypoyrgoy-stin-efsyn

"8 Jahre Regentschaft der Kreditgeber"

Direkt in seiner Einleitung erklärt Tsipras, dass das 2010 bankrotte Land seit nunmehr acht Jahren von den Kreditgebern regiert wird. Er gibt damit zu, dass auch seine Regierung entgegen der bislang vorherrschenden offiziellen Propaganda keinen Handlungsspielraum besitzt. Das „saubere Ende“ der Sparmaßnahmen bezeichnet er nun als nicht zeitlich fixierbares Ereignis. Er verweist darauf, dass alles von der Entwicklung der griechischen Wirtschaft abhängen würde. Diese sieht er gefährdet, wenn es keine „Schuldenregelung“ – vulgo keinen Schuldenschnitt – geben würde. Denn nur mit solch einem Schritt, so argumentiert Tsipras, könne eine Rückkehr zu den dunkelsten Krisenzeiten von 2010 vermieden werden. Ohne Schuldenschnitt sieht Tsipras nicht nur die öffentlichen Finanzen, sondern auch das Investitionsklima im Land in Gefahr.

Nach erfolgter Regelung der Schulden, meint Tsipras, könne SYRIZA endlich linke Ziele umsetzen. Allerdings schränkt er diese Ankündigung bereits im nächsten Absatz ein. Er, der 2014 bei den Europawahlen als Spitzenkandidat der europäischen Linken angetreten war, um die EU zu erneuern, diagnostiziert, dass der Spielraum für souveräne Politik in Europa sehr eng abgesteckt ist. Jeder Versuch, gegen den von Brüssel vorgeschriebenen Kurs zu fahren, würde Konflikte mit sich bringen, meint der griechische Premier. Daher, so schließt er, seien nur kleine Schritte möglich. Denn Konflikte innerhalb der EU würden, gemäß Tsipras sehr leicht verheerende Niederlagen hervorrufen. Dagegen gäbe es bei Siegen nur die Möglichkeit kleiner marginaler Gewinne.

Ein Haufen Widersprüche

Außer der Tatsache, dass Tsipras Beitrag zu erheblichen Zweifeln an der Rettung der griechischen Finanzen berechtigt, und dass ein Schuldenschnitt, sprich der Zahltag für die Gläubiger erneut auf den Plan kommt, zeigt Tsipras Artikel, dass er sich den Vorgaben aus Brüssel fast vollständig unterworfen hat.

Dementsprechend fällt auch die politische Linie der Auseinandersetzung mit der oppositionellen Nea Dimokratia aus. Statt wie früher ideologische Unterschiede der Linken zu den Neoliberalen zu betonen, weist Tsipras nun darauf hin, dass er in Oppositionsführer Kyriakos Mitsotakis jemanden sieht, der eine enge Nähe zu gemäß Tsipras illegalen Machenschaften frönenden Oligarchen habe.

Dabei nimmt der Premier keine Rücksicht darauf, dass gegen die besagten Oligarchen keine rechtskräftige Verurteilung vorliegt.

Aus Tsipras Parteifraktion mehren sich derweil die Stimmen, die behaupten, dass Wahlen direkt nach dem Ende des Sparprogramms im August keine vorgezogenen Neuwahlen seien. Auch hier gibt es damit einen Widerspruch zum vorherigen Credo, dass die Wahlen erst nach Abschluss der regulären Legislaturperiode im September 2019 stattfinden dürfen.

Beitrag senden

Drucken mit Kommentaren?



href="javascript:print();"