Maria Kolesnikowa ist ohne Zweifel eine mutige Frau. Die 1982 in Minsk geborene Musikerin hat angesichts der Turbulenzen ihr Land nicht verlassen, im Gegensatz zu anderen Oppositionellen, sondern kämpft energisch für politische Veränderungen in ihrer Heimat und gegen den Starrsinn der Lukaschenko-Regierung.

In der westlichen Öffentlichkeit wurde sie daher auch zu einer Art Jean D´Arc der weißrussischen Protestbewegung aufgebaut. 

Kolesnikowa, die zwölf Jahre in Deutschland gelebt hat und in Stuttgart ihr Studium absolvierte, gilt inzwischen als eine der populärsten Aktivistinnen des Minsker Koordinationsrates für den Machtwechsel. Allerdings lässt die sympathische Frau sich auch nicht vor den Karren westlicher Geostrategen spannen, im Gegenteil. 

Gegen westliche Einmischungsversuche…

Ebenso energisch wie gegen die eigene Regierung, tritt Kolesnikowa auch gegen westliche Einmischungsversuche bei den politischen Umgestaltungsprozessen in ihrer Heimat auf. Bezüglich der Sanktionen, welche die EU-Außenminister in der vergangenen Woche ins Rollen brachten, zeigte sie sich empört und lehnte diese ab.

Darüber hinaus verwahrt sich die junge Frau gegen die Versuche, den Koordinationsrat für die Interessen von EU und NATO einzuspannen und mit Millionenbeiträgen den politischen Kurs dieser Instanz zu beeinflussen. Dieses Vorgehen hat dem Rat sehr geschadet, ließ die Bürgerrechtlerin verlautbaren.

…und für die Entwicklung freundschaftlicher Beziehungen zu Russland

"Ohnehin wünsche die klare Mehrheit der Demonstranten keine einseitige Annäherung an EU und NATO, sondern wolle vielmehr die Beziehungen ihres Landes zu Russland "entwickeln" und "freundschaftlicher ... gestalten".

Ferner erläutert Kolesnikowa, dass die "traditionelle Opposition", die in Kooperation mit dem Westen eine weitreichende Abkehr von Russland anstrebt, sich - noch - in der Minderheit befindet. Dieses liegt unter anderem daran, dass es in Weißrussland keine historisch begründeten russophoben Tendenzen gibt, die man instrumentalisieren kann, wie etwa im Baltikum oder im Westen der Ukraine.

Am Freitag hatten sich die EU-Außenminister auf Sanktionen gegen Minsk geeinigt. Dabei sind Maßnahmen gegen zunächst mindestens 20, möglicherweise bis zu 30 Personen, vorgesehen, die künftig nicht mehr in die EU einreisen dürfen; außerdem wird ihr Vermögen in der Union eingefroren. 

Ein Blick in die Türkei offenbart die doppelten Standards des Westens

Hierbei werden wieder einmal die doppelten Standards deutlich, welche der Westen bei der Beurteilung von Menschenrechtsverletzungen anlegt. In Weißrusslands sind bei Protesten zuletzt mehrere Menschen ums Leben gekommen sowie Tausende inhaftiert worden.

In dem NATO-Mitgliedsstaat Türkei wurden nach dem Putschversuch vom 15./16. Juli 2016 allein bis zum Juli vergangenen Jahres rund eine halbe Million Menschen vorläufig festgenommen - unter weithin fadenscheinigen Vorwänden; rund 129.000 Staatsbedienstete wurden wegen oft fingierter Verbindungen zu den Putschisten entlassen; rund 30.000 waren weiterhin in Haft.

Daher wiesen die EU-Mitgliedsstaaten Griechenland und Zypern darauf hin, dass Sanktionen gegen die Türkei nötig seien, bevor man welche gegen Weißrussland erhebe. Da dieses von Berlin abgelehnt wird, heißt es nun aus Athen und Nikosia, die EU müsse ihre Grundsätze "überall gleich anwenden“. Hier offenbart sich die Fragilität und Fehlbarkeit der Menschenrechtspolitik der Regierung Merkel. 

„Was bedeutet das konkret für mich!?“

In westlichen Strategiedebatten, die anscheinend immer noch das Ziel verfolgen, die EU- und NATO-Außengrenzen immer tiefer in den eurasischen Raum hineinzutragen, trotz aller Fehlentwicklungen der vergangenen Jahre, werden inzwischen Zweifel lauter, was die Frage angeht, wie man die innenpolitischen Spannungen in Weißrussland für die eigene außenpolitische Strategie nutzen kann.

Aufgrund der schon erwähnten schwachen antirussischen Stimmungen vor Ort, plädiert man inzwischen für ein „armenisches Modell“. Hierzu ein Zitat aus meinem Cashkurs-Beitrag „Schüsse im Südkaukasus“ aus dem Juli:

Russland und Persien sind die beiden historischen Schutzmächte dieses Landes, das immer um sein Überleben kämpfen musste. Im September 2013 erklärte Präsident Sersch Sargsjan nach einem Treffen mit seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin in Moskau überraschend, Armenien werde der Eurasischen Zollunion beitreten.

Es besteht also noch etwas Hoffnung darauf, dass die Stimmen der weißrussischen Opposition bis zu den Strategen von EU und NATO vordringen, bevor diese noch weiteres Unheil anrichten.

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