„Die erste Lektion im Business lautet, werde niemals emotional wegen einer Aktie – das trübt Dein Urteilsvermögen.“ Dieses Zitat stammt von Gordon Gekko alias Michael Douglas aus dem Film-Klassiker Wall Street. Dieser Ratschlag, den der Heuschrecken-Investor seinem von Charlie Sheen gespielten Zögling Bud Fox mit auf den Weg gibt, spielt in der Börsenpsychologie eine wichtige Rolle. Die emotionale Bindung des Anlegers an sein Investment, die er mit seiner Entscheidung eingeht, wird in der Behavioral Finance als Commitment bzw. „Selbstverpflichtung“ bezeichnet.

 

Wenn die Menschen eine Wahl treffen, dann hängen sie emotional an der getroffenen Entscheidung. Ein Aktienhändler geht bei einem Kauf seiner Papiere somit eine emotionale bzw. psychologische Bindung zu seiner aufgebauten Position ein. Der Grad der empfundenen Selbstverpflichtung hängt von verschiedenen Aspekten ab, wie etwa, dass die Entscheidung freiwillig, nicht erzwungen und eigenverantwortlich getroffen wird. Ein weiterer Gesichtspunkt ist die Normabweichung. Handelt jemand im Rahmen einer gesellschaftlich anerkannten Norm, ist das Commitment bedeutend geringer als wenn sein nonkonformes Verhalten bei den Anderen auf Unverständnis stößt. Wenn ein Anleger gegen den Trend investiert und Verluste macht, ist der Missmut darüber größer als wenn man sie zusammen mit vielen anderen erleidet. Auf der anderen Seite steigt die Freude über den Gewinn mit zunehmendem Commitment ebenfalls. Diese höhere Bewertung im Gewinnbereich wird mit dem Begriff Proud- bzw. Stolz-Effekt umschrieben.

 

Als weiterer Punkt, der sich auf die Höhe des Commitments auswirkt, kommen die Kosten dazu, die im Zuge einer Entscheidung anfallen oder dann entstehen, wenn die Entscheidung revidiert wird. Damit sind nicht nur die monetären Kosten gemeint, sondern auch diejenigen, die ihren psychischen Preis fordern. Wenn ein Anleger sich z.B. sehr lange und intensiv mit einem bestimmten Engagement beschäftigt und sich schlussendlich zum Kauf durchringt, wird er sich sehr schwer tun, sich davon zu trennen. Die Zeit für die Recherche und Analyse sowie die gedanklichen Mühe werden in ihm eine viel stärkere Selbstverpflichtung gegenüber seinem Investment hervorrufen als wenn er die Kaufentscheidung spontan getroffen hätte.

 

Wie in vorherigen Artikeln zum Thema Börsenpsychologie gelegentlich erwähnt, empfinden Menschen Verluste in einer zwei bis zweieinhalb Mal größeren Intensität als Gewinne in gleicher Höhe. Diese asymmetrische Bewertung von Gewinnen und Verlusten, die dem Bild der traditionellen Ökonomie, in der der Entscheider rational und fernab von emotionalen Einflüssen handelt, zuwiderläuft, führt zur verzerrten Wahrnehmung und als Konsequenz dessen sehr oft zu unvernünftigen Urteilen. Dass Folgen von Fehlentschlüssen aus dem Ruder laufen können, wird fachsprachlich als „Irrationale Eskalation (des Commitments)“ betitelt. Zur Veranschaulichung werden häufig die Beispiele des Vietnam- oder des Irak-Krieges gebraucht. Demnach wurden die Truppenkontingente seitens der USA immer weiter aufgestockt, weil die hohe Anzahl der Gefallenen und ihr Einsatz nicht umsonst gewesen sein sollte.

 

Ein entsprechendes Beispiel aus der Börsengeschichte bietet Nick Leeson, der in den 90er Jahren als Derivatehändler für die britische Barings Bank in Singapur arbeitete. Durch Konten-Manipulationen verschleierte er seine hohen Verluste vor der Innenrevision der Bank sowie vor der Börsenaufsicht. Während des Japan-Crashs (1990-1992) gelang es ihm bis Juli 1992 durch sehr riskante Einsätze alle Verluste auszugleichen. Danach befand er sich nach einer Weile wieder tief in den roten Zahlen, weil sich eine Vielzahl verlustreicher Kontrakte in seinem Portfolio angesammelt hatten. Die hohe Selbstverpflichtung - in diesem Falle u.a. die Verantwortung gegenüber der Bank, den Mitarbeitern, die er gedeckt hat (und sich dadurch ein Teamgeist entwickelte) und gegenüber seinen gefällten Entscheidungen - wurde durch den so genannten Sunk-Cost-Effekt noch verstärkt. Darunter wird der Einfluss verstanden, den bereits entstandene Kosten eines Engagements auf die Bereitschaft zu weiteren Investitionen ausüben können. Es sind gewissermaßen die Kosten, die in der Vergangenheit in ein bestimmtes Projekt geflossen sind und „versenkt“ wurden. Leeson versuchte durch erneute Zukäufe den Einstandspreis zu verbilligen, um wieder schnell in die Gewinnzone zu kommen. Durch das verbissene Festhalten an seiner stark impulsgeleiteten Strategie hat er die traditionsreiche Bank mit seinem Verlust von über 200 Millionen Pfund  in den Ruin getrieben.

 

Im Kontext der möglichen Negativfolgen einer Selbstverpflichtung werden das Setzen von Stop-Loss- bzw. Verlustbegrenzungs-Marken und anderweitige Absicherungsmaßnahmen als „Pre-Commitment-Strategien“ bezeichnet. Denn durch das frühzeitige Aussteigen aus einer Verlustposition wird das Entstehen eines zu hohen Commitments von vornherein unterbunden. Derjenige Anleger, der sich nicht von seiner ins Minus gelaufenen Position trennen, sondern den Einstiegskurs durch Nachkaufen verbilligen möchte, läuft Gefahr, in die Spirale einer irrationalen Eskalation hineingezogen zu werden. Für die Neigung zu einem zu hohen Commitment kann auch der Blick aufs Portfolio wertvolle Erkenntnisse liefern, wenn beispielsweise eine zu große Anzahl an verlustreichen Engagements vor sich hergeschoben wird, die man besser liquidieren sollte.

 

Vor dem Hintergrund, dass die Verlustaversion mit einer steigenden Selbstverpflichtung ebenfalls steigt und die Beibehaltung bzw. Zunahme irrationaler Verhaltensmuster bedingt, ist es nützlich, sich seiner Commitments bewusst zu werden. Nur gestaltet sich das in der Regel schwierig. Denn die emotional geprägte Wahrnehmung beeinträchtigt uns, unsere irrationalen Verhaltensanomalien an uns selber zu erkennen. Der Anleger sollte mit der nötigen selbstkritischen Einstellung versuchen sein eigenes Verhalten und die Argumente mit sachlich-prüfendem Blick unter die Lupe zu nehmen. Falls er bemerkt, dass der Rechtfertigungsdruck groß ist oder gar wächst, wenn er sich ernsthaft mit dem Gedanken auseinandersetzt sich von seinen Engagements zu trennen, weist dies häufig auf das Vorhandensein eines Commitments hin. Zudem ist es ein starker Indikator für eine bestehende Selbstverpflichtung, wenn die Argumente, welche das zurückliegende Handeln und die damaligen Einstiegsgründe in das Engagement untermauern, die von der heutigen Ausgangslage aus betrachteten und in die Zukunft gerichteten Überlegungen überwiegen oder gar ersetzen. Oder anders ausgedrückt: Wenn die Gründe aus der Vergangenheit wichtiger genommen werden als eine sachliche Analyse der veränderten Gegenwartsbedingungen. Sich solch hinderlicher Verhaltensmuster bewusst zu werden, ist notwendig, um sich von den unvorteilhaften Commitments zu lösen und adäquate Gegenmaßnahmen zu treffen.

Beitrag senden

Drucken mit Kommentaren?



href="javascript:print();"