Während ich heute Morgen mein Frühstück zu mir nahm, kaute ich nicht nur auf meinem Brötchen herum, sondern auch auf einem Begriff - dem Begriff - "Neue Normalität".

Dieser Begriff geistert zurzeit durch die akademisch-mediale Kunstlandschaft und wird von Politikern und Publizisten verwendet, ohne diesen näher zu erklären.

"Neue Normalität", -sicher- es gibt Erklärungsansätze, trotzdem empfinde ich diese als schwer verdaulich.

Jens Spahn verwendete den Begriff „Neue Normalität“ kürzlich in einer kurzen Rede mehrmals. Seitdem wird von der „Neuen Normalität“ wie selbstverständlich gesprochen, als hätte es nie etwas anderes als eine „Neue Normalität“ gegeben, als Ausdruck der Tatsache, dass der öffentliche Diskurs zum unterschiedslosen Geplapper transformiert wurde. Was wir jetzt brauchen, ist für lange Zeit eine „neue Normalität“, sagte Finanzminister Olaf Scholz (SPD) in der ARD, kurze Zeit später.

Begriffe und Begriffshülsen

Hier wird eine Tendenz deutlich, die in den vergangenen Jahren an Bedeutung gewonnen hat, die Verbreitung von Begriffen und Begriffshülsen, im öffentlichen Diskurs, die kaum hinterfragt noch diskutiert werden, dafür umso mehr an Verwendung finden, bis sie im öffentlichen Diskurs so selbstverständlich verwendet werden, wie das Amen in der Kirche. In  seinem lesenswerten Buch “Wir amüsieren uns zu Tode-Urteilsbildung im Zeitalter der Unterhaltungsindustrie “, schrieb der amerikanische Soziologe Neil Postman schon 1985“,…wenn aus Bürgern Zuschauer werden und ihre öffentlichen Angelegenheiten zur „Varieté-Nummern herunterkommen, dann ist die Nation in Gefahr - das Absterben der Kultur wird zur realen Bedrohung.“

In der TV Talkshow von Anne Will, die ihren Namen trägt, wurde gestern die These formuliert  „Die Bundesregierung formuliert die Normalität um, das ist ganz neu“, worauf der Versuch einer Diskussion gestartet wurde, welche sprichwörtlich im Sande verlief, was nicht nur an der Auswahl der Gäste lag, sondern an der fehlgeleiteten These, denn „Neu“ ist es nicht, dass Politiker versuchen Begriffe zu platzieren, die dann geschluckt werden sollen, ohne zu hinterfragen, was da eigentlich verabreicht wird.

https://www.fr.de/kultur/tv-kino/corona-talk-anne-will-ard-hart-trifft-neue-normalitaet-zr-13667631.html

Auch ein Blick in die Tagespresse verschafft wenig Klarheit, obwohl die Leitmedien eigentlich dafür verantwortlich sind, solche Begriffe zu hinterfragen, statt diese zu rekapitulieren. In der FAZ war beispielsweise zu lesen:“ Die Bürger müssen sich nach Überzeugung der Bundesregierung wegen der Corona-Pandemie noch lange auf einen veränderten Alltag einstellen. „Was wir jetzt brauchen, ist für lange Zeit eine neue Normalität“, sagte Finanzminister Olaf Scholz (SPD) in der ARD. Solange es weder Therapien noch Impfstoffe gebe, müsse man lernen, mit dem Virus zu leben.“

https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/gesundheit/coronavirus/coronavirus-regierung-erwartet-fuer-lange-zeit-eine-neue-normalitaet-16730647.html

Die Süddeutsche formulierte immerhin den Ansatz einer Kritik, mit den Worten:“ Die Bürger werden noch lange Zeit mit Beschränkungen leben. Sie werden das aber nur akzeptieren, wenn Bund und Länder ihre Entscheidungen nun sehr gut rechtfertigen. Wenn, ja wenn das Wörtchen wenn nicht wäre.

https://www.sueddeutsche.de/politik/coronavirus-einschraenkungen-deutschland-1.4878344

Der schon erwähnte Neil Postman warf in seinem Buch die Frage auf: Aber was ist, wenn keine Angst- und Schmerzensschreie zu hören sind? Wer ist bereit, sich gegen den Ansturm der Zerstreuungen aufzulehnen? Bei wem führen wir Klage und wann? Und in welchem Tonfall?“

Die EU zwischen Orwell und Huxley

„Was bedeutet das konkret für mich!?“

Diejenigen, die im Rahmen der Corona-Krise solche Entwicklungen kritisieren, werden häufig mit einer fast hysterischen Kritik konfrontiert, was ihnen den Vorwurf einbringt, sie seien Nörgler, Quälgeister, Corona-Leugner, oder sie würden den Ernst der Lage nicht erkennen.

Aber, so eine Kritik, auch oder gerade in Zeiten einer Krise wie wir sie erleben, ist notwendig, ebenso wie ein öffentlicher Diskurs der seinen Namen verdient. Bürger- und Freiheitsrechte wurden im Laufe der Jahrhunderte nicht durch Kadaver-Gehorsam oder mit einer Amtsarsch-Mentalität erkämpft. Daher ist zuschauen keine Alternative, keine Haltung. Es ist höchste Zeit die vorgestanzten Begriffe, welche dieser Tage auf uns einprasseln und ein neues Regelwerk skizzieren, zu hinterfragen, zu kritisieren, ja auch abzulehnen, wenn man persönliche Freiheitsrechte erhalten möchte.

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