Formell sind Staaten als völkerrechtliche Subjekte ebenbürtig, in der Praxis jedoch keineswegs. Es bedarf nicht des Vergleichs der USA oder Chinas mit winzigen unabhängigen Südseeinseln, um ein extremes Machtgefälle innerhalb der Staatengemeinschaft zu konstatieren. Die Möglichkeiten der Dominanz und Einflussnahme wachsen mit der Wirtschaftskraft. Wie bei Privatunternehmen reicht oftmals ein unscheinbarer Trumpf, um Konkurrenten in die Knie zu zwingen.

Neben der Größe des Volkseinkommens sind die Verfügungsgewalt über Spitzentechnologien und eine relative Autarkie wichtige wirtschaftliche Machtfaktoren. Kann ein Staat darüber hinaus die globalen Finanzmärkte weitgehend kontrollieren und verfügt er über eine herausragende militärische Schlagkraft, dann ist seine dominante Stellung nahezu unangefochten. In diese Position gelangten die USA nach dem Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums.

Eine gewisse Rücksichtnahme auf die Interessen Schwächerer erweist sich dennoch als opportun. Dass die US-amerikanische Regierung unter Donald Trump dazu scheinbar nicht in der Lage ist, signalisieren die Reaktionen der meisten westlichen Politiker und Medien. Es wäre jedoch verfehlt anzunehmen, die Kritiker würden einen Zustand herbeisehnen, in dem alle Staaten an Entscheidungen mit gleichem Gewicht beteiligt sind. Es liegt in der Natur eines politischen Kompromisses, dass er die tatsächlichen Machtverhältnisse widerspiegelt.

Wo sich Akteure nicht an Regeln zu halten brauchen, neigen Machtgefälle dazu sich zu vergrößern. Neben dem bereits erwähnten Beispiel privatwirtschaftlicher Konkurrenz genügt ein historischer Rückblick. Die besondere Errungenschaft internationaler Strukturen wie der UN und ihrer Unterorganisationen besteht gerade darin, den Status schwächerer Mitglieder durch einen allgemein akzeptierten Rechtsrahmen zu sichern.

Für dominierende Staaten sind globale Organisationen, die sich auf Prinzipien des Völkerrechts stützen, ein Bremsfaktor für die eigene Machtentfaltung. Wiederholt hat die US-Administration zu Praktiken der Diffamierung, des Mittelentzugs und des Rückzugs wie etwa kürzlich aus dem UN-Menschenrechtsrat gegriffen. Parallel dazu gibt es Bemühungen, genehme UN-Beschlüsse über Stimmenkauf zu erlangen und auf die personelle Besetzung von UN-Organen Einfluss zu nehmen.

Veränderung von Machtkonstellationen

Wenn auch einerseits ein Trend zur Vergrößerung von Machtgefällen besteht, so lassen sich andererseits Veränderungen von Machtkonstellationen beobachten. Staaten können ihre Position verbessern, indem sie schlummernde Potentiale erschließen. Solche sind natürliche Ressourcen und Bedingungen wie Mineralien, Energierohstoffe, Klima, Bodenbeschaffenheit und geografische Lage. Eine große Bevölkerung kann eine Belastung darstellen, aber auch einen außerordentlichen Reichtum, falls sie sich in eine rasch entwickelnde Wirtschaft absorbieren lässt.

Wie ein Staat seine Machtposition durch geschicktes Agieren ausbauen kann, so wird sie bei gravierenden Fehlern gestutzt. Selbstüberschätzung, lähmende interne Verteilungskämpfe und eine Orientierung auf unmittelbare Vorteile zu Lasten längerfristiger Erfordernisse waren bereits im Altertum wesentliche Ursachen für einen Machtverfall. Da dieser schleichend vonstatten geht, wird er häufig zu spät erkannt. Die USA befinden sich gegenwärtig in einer solchen Lage. Trump verfolgt mit seinem Affront gegen Handelspartner erklärtermaßen das Ziel, schwerwiegende Versäumnisse der letzten Jahrzehnte zu korrigieren.

Die Stärke des Dollars, die auf seiner Funktion als globaler Leitwährung beruht; verbilligte Importe, was zu wachsenden Außenhandelsdefiziten führte. Einerseits verschuldeten sich die USA zunehmend beim Ausland, andererseits litt die nationale Produktion und sank das Qualifikationsniveau der Beschäftigten in Relation zu anderen Standorten. Ferner bewirkte der enorme Einfluss von Wallstreet und militärisch-industriellem Komplex auf die Regierungspolitik eine Umverteilung staatlicher Mittel zu Lasten öffentlicher Investitionen in Bildung, Gesundheit und Infrastruktur. Neben einer Stärkung US-amerikanischer Produzenten durch höhere Importzölle richtet sich das Augenmerk der Trump-Administration auf jenen für eine prosperierende Wirtschaft unverzichtbaren Unterbau.

Ein hoher ökonomischer Entwicklungsstand kann die Position einer Regierung sowohl stärken als auch schwächen. Gewöhnlich impliziert er eine größere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit; zudem existiert ein Puffer für das Durchstehen längerer Schwächephasen. Allerdings steigert er auch die Erwartungshaltung der Bürger, so dass bei Rückschlägen Unzufriedenheit, Unruhen und Widerstand drohen. In den pluralistischen Systemen des Westens artikulieren diese sich als Massenproteste, Streiks und Stimmenzuwachs populistischer und Randparteien. In autoritär geführten Staaten reagieren Bürger mit Verweigerung, Emigration und Anfälligkeit für einen Regime-Change.     

Strategien zur Machterhaltung

Begreiflicherweise streben die jeweils Mächtigeren danach, ihre Position zu festigen. Potentielle Konkurrenten sollen geschwächt und widerspenstige Akteure zur Räson gebracht werden. Zu diesem Zweck wurden während der Staatengeschichte vielfältige Methoden kreiert und angewandt, die noch heute aktuell sind. Länder werden zerstückelt (Jugoslawien), in Schuldenkorsette gesteckt (Griechenland) und mit Sanktionen belegt (Iran, Russland).

Schwierigkeiten bereitet der Tatbestand, dass jene Praktiken dem allgemeinen Rechtsempfinden und häufig internationalen Verträgen und Völkerrechtsnormen widersprechen. Als Akteure fungieren daher vorzugsweise im Hintergrund agierende Geheimdienste sowie NGOs. False-Flag-Aktionen werden durchgeführt und Fake-News produziert. Politiker, Medien und vermeintliche Experten verbreiten Zerrbilder der Realität, indem sie Fakten verschweigen, überbetonen oder verdrehen. Bei der Forderung nach einem harten Durchgreifen wird mit Appellen an Menschenrechte, wirtschaftliche Vernunft und westliche Werte nicht gespart.

Ebenso wenig bleiben fügsame Partner vor den Attacken der Mächtigen verschont, wie die Osterweiterung der EU eindrucksvoll zeigt. Indem die Wirtschaftselite der alten EU die Märkte der neuen Mitgliedsstaaten eroberte und die lokale Konkurrenz ausschaltete, gerieten diese in zunehmende Abhängigkeit. Die Kern-EU erlangte erheblichen politischen Einfluss, so dass sie gesellschaftliche und wirtschaftliche Reformen gemäß der eigenen Agenda erzwingen konnte. Die faktische Machtübernahme wird mit der Beschwörung gemeinsamer Werte kaschiert und durch EU-Fördermittel erträglicher gestaltet.

Auf ein vergleichbares finanzielles Entgegenkommen warten Wirtschaftspartner in entfernteren Regionen vergeblich. Dort gelangten die politischen Eliten großenteils mit Hilfe westlicher Sponsoren in ihre Positionen. Erweisen sich Staatslenker als unbequem, werden sie mittels „Palastrevolten“ ausgewechselt (subsaharisches Afrika, Mittelamerika). Sollte dies nicht gelingen, werden „bunte Revolutionen“ angezettelt oder Regierungen durch Medienkampagnen und Sanktionen unter Druck gesetzt (Nordafrika, Westasien, Venezuela). Zugleich wird Willfährigkeit belohnt (Jordanien, Georgien, Kolumbien).

Unterordnung der Schwächeren

Wenn auch die Regierungen schwächerer Staaten zuweilen versuchen, gemeinsam an einem Strang zu ziehen, so buhlen sie gleichzeitig um die Gunst mächtiger Akteure. Kleinere Volkswirtschaften, aber auch solche, die für wirtschaftlichen Druck besonders anfällig sind, können sich dem Diktat der Großen vielfach nicht entziehen. Beim Balanceakt zwischen externer Drohkulisse und Staatsinteressen müssen gleichzeitig die Stimmung der Bevölkerung und die Erwartungen einflussreicher gesellschaftlicher Kräfte berücksichtigt werden.

Jede Vereinbarung mit mächtigen Staaten oder von ihnen dominierten Institutionen bedeutet einen partiellen Souveränitätsverlust, wobei ein Zurück oftmals nur unter beträchtlichen Opfern möglich ist. Als Beispiel sei die Einführung des Euro angeführt, die für mehrere EU-Volkswirtschaften katastrophale Folgen hatte. Dennoch wird eine Rückkehr zur nationalen Währung nirgendwo ernsthaft erwogen, sogar die griechische Regierung ist trotz anfänglicher scharfer Rhetorik eingeknickt. Desto verständlicher ist die Hartnäckigkeit, mit der kleinere EU-Staaten ihre nationalen Interessen zu verteidigen versuchen. Es beeindruckt sie nicht einmal, dass wegen ihrer Bremsaktivitäten die politische Handlungsfähigkeit der EU bei globalen Konflikten erheblich eingeschränkt ist.

Gern wird betont, dass die EU eine Solidargemeinschaft sei, die sich auf gemeinsame Werte stütze. Als Beleg dienen die beträchtlichen Zuwendungen an ärmere Mitgliedstaaten etwa über den EU-Regionalfonds. Tatsächlich gelingt es den Nettoeinzahlern überwiegend, die Mittel über Exporteinnahmen und Kapitalerlöse zurückzuholen. Ferner haben sie einen maßgeblichen Einfluss auf Umfang und Auszahlungskriterien der Fonds. So stagniert der EU-Haushalt schon einige Jahre, nachdem er sich seit der Jahrtausendwende verdoppelte. Trotz dieses Zuwachses erwiesen sich die Transfermittel als unzureichend, um das Gefälle zwischen armen und reichen Regionen auszugleichen.

Die Dominanz der wirtschaftsstarken EU-Staaten trifft naturgemäß auf Widerstand. Die Bereitschaft zur Rebellion wächst mit der Größe eines Mitglieds, wie das Beispiel Polen zeigt. Dies mag neben zu erwartenden finanziellen Belastungen ein gewichtiger Grund sein, die Türkei und die Ukraine draußen vor zu lassen. Gravierende Interessendifferenzen bestehen jedoch nicht nur zwischen prosperierenden und wirtschaftlich zurückgebliebenen Mitgliedsstaaten. Wie die jüngsten Stellungnahmen Angela Merkels und Emmanuel Macrons offenbaren, gibt es ebenfalls zwischen den „EU-Zugpferden“ Deutschland und Frankreich erhebliche Kontroversen.

Aktuelle globale Machtverschiebungen

Die globale Kräftekonstellation hat sich durch das wachsende wirtschaftliche Gewicht der Schwellenländer während der letzten Jahrzehnte maßgeblich gewandelt. Allein die BRICS-Staaten vereinen auf sich mehr als 40 Prozent der Weltbevölkerung und fast ein Drittel der Wirtschaftsleistung (nach Kaufkraftparität). China hat die USA bereits wirtschaftlich überrundet, es ist jedoch weiterhin militärisch unterlegen und vom Dollar-dominierten globalen Finanzsystem abhängig.

Der Ökonom Folker Hellmeyer sieht gegenwärtig die Bedeutung des Dollars als Leitwährung schwinden. Er verweist zum einen auf die jüngsten chinesischen Initiativen im Finanzsektor (AIIB, New Development Bank, CIPS als SWIFT-Alternative), zum anderen auf den Einsatz des Dollars als Waffe zur Durchsetzung von Sanktionen, was an seiner Verwendung als Zahlungsmittel nagt. Er rät den Europäern, sich aus der US-Abhängigkeit zu lösen und verstärkt dem eurasischen Wirtschaftsraum zuzuwenden. Sollte es dazu kommen, würde der Dollar seine Stellung vollends verlieren.

Gleichwohl ist das militärische Potential der USA nur recht beschränkt einsetzbar. Erst einmal bedarf es einigen propagandistischen Aufwands, um Kriege zu rechtfertigen, wobei sich Medien der Gefahr aussetzen an Glaubwürdigkeit zu verlieren. Auch sind die Folgen schwer abzuschätzen, ja sie können den ursprünglich anvisierten wirtschaftlichen Zielen diametral entgegenlaufen, wie bei den militärischen Interventionen während der letzten zwei Dekaden geschehen. Und schließlich hat sich die US-Führung durch die Konfrontation mit Russland einen Widersacher geschaffen, der sich vor militärischem Engagement nicht scheut und über ein massives Vergeltungspotential verfügt.

Angesichts des sukzessiven Machtverlusts der USA wird übersehen, dass andere führende Staaten des Westens ihren Einfluss erhalten und vielfach sogar festigen konnten. Ehemalige Kolonialmächte, vor allem Frankreich und Großbritannien, stützen sich auf historisch gewachsene Beziehungen, sie beherrschen vielerorts die lokalen Medien und engagieren sich militärisch. Deutschland, Japan und anderen westliche Industriestaaten wiederum streben mittels Handel und Kreditgewährung nach wirtschaftlicher Einflussnahme.

Das russische Engagement, das sich weitgehend auf die GUS-Staaten und auf ehemalige Partner aus der Sowjetzeit (Syrien, Vietnam, Kuba) beschränkt, ähnelt dem der erstgenannten Staaten, das chinesische dem der letztgenannten. Die Motive sind nahezu dieselben, wenn auch langfristiger und nachhaltiger agiert wird und die Umgangsformen eher die Züge einer Kooperation als eines Diktats tragen.

Chancen für eine Stärkung staatlicher Souveränität

Neben Russland und China gibt es seitens der übrigen BRICS-Staaten wie auch anderer großer Schwellenländer Ambitionen, regional wirtschaftlich zu expandieren. Nicht nur die kulturelle Nähe und ein ähnliches Entwicklungsniveau erleichtern den Zugang zu den umworbenen Staaten, sondern auch der Bonus, nicht historisch durch koloniale Praktiken vorbelastet zu sein. Da kleine Länder um die Erhaltung ihre Souveränität besorgt sind, besteht außerdem ein gemeinsames Interesse hinsichtlich der Orientierung auf eine multipolare Welt und dem Gebot einer Nicht-Einmischung in die Angelegenheiten fremder Staaten.

Seit einigen Jahren erweitert China seinen wirtschaftlichen Einfluss im Rahmen des Seidenstraßen-Projekts auf Länder Südosteuropas. In den zum orthodoxen Kulturkreis gehörenden Staaten bestehen zudem starke Bindungen zu Russland, die in letzter Zeit größeres politisches Gewicht erlangten. So tritt der moldawische Präsident Igor Dodon für eine engere Kooperation mit Moskau und gegen eine EU-Annäherung ein, während der mazedonische Präsident Gjorge Ivanov sich vehement gegen einen Nato-Beitritt seines Landes ausspricht.

Auf die Präsenz externer Mächte reagieren die dominanten EU-Staaten verständlicherweise mit Missmut. Für schwächere Mitglieder und potentielle Beitrittskandidaten der Peripherie ist sie hingegen von Vorteil. Durch Investitionen entstehen Arbeitsplätze und werden Steuereinnahmen generiert, eine Zunahme des Handels steigert die Exporterlöse. Will die Kern-EU nicht an Einfluss verlieren, dann muss sie ihr wirtschaftliches Engagement erhöhen und ihre finanziellen Hilfsleistungen aufstocken.

Das in Teilen Mittel-Ost-Europas zu beobachtende ökonomische Siechtum, welches sich in einer massiven Abwanderung qualifizierter Arbeitskräfte artikuliert, ließe sich stoppen. Ebenso könnten die EU-Staaten des Mittelmeerraums sowie die kleineren Mitglieder Nord-, West- und Mitteleuropas ihre wirtschaftliche Autonomie und damit ihr politisches Gewicht vergrößern. Eine vertiefte Integration der EU unter deutscher oder deutsch-französischer Führung wird zwar untergraben, dennoch dürfte der Bestand der Gemeinschaft sich auf längere Sicht eher festigen. 

Dieser Beitrag wurde zuerst auf Telepolis veröffentlicht.

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