Dipl.-Kfm. Kolja Spöri (*1969) ist ein deutscher Investor, Extremreisender und Autor. Nach einem Praktikum bei der Europäischen Union und der Leitung des Sponsoring der Hugo Boss AG machte er sich mit einer Vermarktungsagentur in der Formel 1 selbständig. Heute ist er beteiligt an der Monaco Broadcast S.A., die auch das Pressezentrum von Fürst Albert II. betreibt, sowie an Start-Up-Unternehmen. An der Universität Lausanne unterrichtet er zum Thema Sportbusiness. Von seinen Reisen in mehr als 200 Länder, insbesondere in Kriegs- und Krisengebiete, erzählt er in seinem Amazon Nr. 1 - Bestseller "Ich war überall". Über die innere Verfassung Deutschlands, die Beteiligung an kriegerischer Außenpolitik und die Qualität der Medienberichterstattung äußert er sich kritisch.

Bleiben wir im arabischen Raum, aber verlagern wir den Fokus von Nordafrika auf den Nahen Osten. Welche Erkenntnisse konnten Sie auf Ihren Reisen in diesen Gebieten gewinnen?

Nehmen wir Syrien und den Irak. Ich bin im Dezember 2014 ganz bewusst die ISIS-Front entlang gefahren. Ich kam aus dem Kaukasus, fuhr über den Iran in den Nordirak und dann in die Türkei. Danach bin ich die komplette syrisch-türkische Grenze entlang gefahren. 500 km fast kerzengerade entlang der so genannten Sykes-Picot-Linie, die 1916 von England und Frankreich völlig willkürlich gezogen wurde und das Osmanischen Reiches aufgeteilt hat. Diese Grenzführung hat das kurdische Kulturgebiet auf vier Staatsgebiete aufgeteilt. Das sind die Türkei, Iran, Irak und Syrien. Was habe ich vor Ort gelernt? Dass der Nordirak ein recht blühendes Land ist, was hier in unseren Medien falsch dargestellt wird. Uns wird erzählt, dass die Kurden im Nordirak unter Druck sind, in größter Gefahr und eher arm. Sie könnten sich kaum wehren und benötigten dringend unsere Hilfe. Deswegen werden sie von Deutschland mit Waffen beliefert. Das ist übrigens völkerrechtswidrig, denn der Nordirak ist nicht von der UN anerkannt und gegenüber dem Kern-Irak abtrünnig. Das ist zusätzlich grundgesetzwidrig, denn die Bundesregierung darf bekanntlich keine Waffen in Kriegsgebiete liefern. Zudem hat sie Soldaten und Geld geliefert. In ein Land, das seit 500 Jahren vom selben Clan, den Barzanis kontrolliert wird und durch Öl steinreich ist. Im Übrigen, weil es seine Nachbarn immer geschickt ausgespielt hat. Bereits Saddam Hussein hatte durchaus unter dieser geschickten Separationstaktik des Nordirak zu leiden.

Der Nordirak ist de-facto ein autonomes Land. Die Kurden haben dort eigene Grenzkontrollen, eigene Pässe, eine eigene Hymne, eine eigene Fahne, eine eigene Fussballnationalmannschaft und mit der Peschmerga eine eigene Armee. Und darüber hinaus haben sie blühende Landschaften. Die Hauptstadt Erbil boomt. Die Straßen sind bestens ausgebaut. Es gibt dort sechsspurige Autobahnen mit Gras und Bonsaibäumen dazwischen, Wolkenkratzer und beste Hotels. Übrigens ist vieles davon von der Türkei finanziert. Das war für mich schon überraschend: der Nordirak ist ein Gewinner der ISIS. Immer wenn die ISIS angriff, haben die Peschmerga zurückgeschlagen und Landgewinne gemacht. Und dabei haben sie unter anderem Ölquellen wie in Kirkuk erbeutet, oder das Sindjar-Gebiet, die nach meiner Kenntnis beide zuvor dem Südirak, also dem völkerrechtlich anerkannten Irak gehörten.

Dann haben Sie auch den Kampf um Kobane mitbekommen, der Ende 2014 noch im vollen Gange war. Das Thema beschäftigte die Weltöffentlichkeit sehr stark und beherrschte weite Teile der Nachrichtenlandschaft. Können Sie etwas zu der Berichterstattung bzw. zur Medienpräsentation diesen Konflikt betreffend sagen?

Die Stadt Kobane ist für uns das Zentrum des Krieges in der medialen Darstellung gewesen. In Wirklichkeit gibt es keine Stadt, die Kobane heißt. Es ist eine „Propaganda-Show“, so hat es Präsident Erdogan damals aus meiner Sicht zu recht bezeichnet. Warum wurde dieser Kampf zur „Schlacht von Kobane“ hochstilisiert? Weil man einen griffigen Ort brauchte, für die TV-Kameras von der türkischen Seite erreichbar, wo der Krieg kulminiert, um ihn in der westlichen Propaganda holzschnittartig erklären zu können. Auf der einen Seite die steinzeitlichen Kopfabschneider, auf der anderen Seite „Wir sind die Guten!“ Und das Gute kommt bei uns ja bekanntlich von oben. Komisch, diesmal gingen die amerikanischen Bomben immer am Ziel vorbei, erst die Russen haben tatsächlich Wirkung erzielt.

Warum sagten Sie gerade, dass es die Stadt Kobane in Wirklichkeit gar nicht gäbe?

Diese Stadt heißt Ain al Arab. Das bedeutet so viel wie „Die Quelle der Araber“. Jetzt hört sich „Die Quelle der Araber“ für unsere Propaganda nicht so gut an. Weil, wir könnten ja meinen: „Nun gut, wenn die Araber ihre Quelle zurück haben wollen, ist das vielleicht irgendwie verständlich“. Kobane war immer nur ein kleiner kurdischer Stadtteil von Ain al Arab. Kobane klingt eben nicht so arabisch. Warum auch? Es ist ein deutsches Wort. Als dort 1913 die Bagdad-Bahn gebaut wurde, haben die Einheimischen bei den deutschen Ingenieuren gefragt, wo sie denn Arbeit finden können. Da sagten die Ingenieure: „Geht runter zur Kompanie“. Also zur deutschen Militärkompanie. Verstanden wurde „Kobani“ – heute „Kobane“.

Interessanterweise war Kobane bis Ende 2015 auf keinem Atlas der Welt zu finden. Und eine Stadt namens Kobane war auch nicht bei Google, Bing oder vielen anderen Internet-Weltkarten zu finden. Sie war nie als solche eingezeichnet. Das wurde aber geändert. Vielleicht auch durch Aussagen wie meine hier. Inzwischen ist im Internet die Stadt Kobane eher zu finden als Ain al Arab. Nicht überall, aber in der Mehrzahl der systemkontrollierten Medien wie in Google etc. Das war vor einem halben Jahr noch anders. Aber in jedem Print-Medium, das nicht gerade heute gedruckt wurde, finden Sie ausschliesslich Ain Al Arab. Ein kleines Detail, aber für mich wichtig, um zu sehen, wie subtil teilweise gearbeitet werden muss, um bestimmte Ideen in unsere Köpfe Ideen zu hämmern, die uns zu Fehlschlüssen führen.

Wie kurios, dass sich der vermeintliche Stadtname ausgerechnet aus dem Deutschen ableitet…

Als Sie vor Ort in diesen arabischen Ländern waren, wie haben Sie die breite arabische Bevölkerung erlebt? Wie ist ihre Meinung zum IS? Wie denkt das allgemeine Volk darüber?

Ich habe festgestellt, dass der IS grundsätzlich abgelehnt wird, weil er islamfeindlich agiert. Ich habe nie gehört, dass jemand mit der ISIS sympathisiert. Durchaus habe ich oft gehört, dass es sich um eine subversive „Covert Operation“ der Angelsachsen handelt. Das haben in der Region viele Leute verstanden. Natürlich lassen sich irgendwie, irgendwo ein paar nützliche Idioten für jede Terrorbande rekrutieren. Wie aber jeder für sich feststellen kann, gibt es im Internet kaum sichtbare Werbung dafür. Die wird angeblich sofort gelöscht und nur gegen ein Bezahlabo von der amerikanischen SITE-Agentur für Medien, Forscher und Firmen zugänglich gemacht. Was soll man dazu sagen?

Führen Sie diese Rolle des Westens doch noch etwas weiter aus.

Es sind Millionen Zivilisten in Libyen, Syrien, Afghanistan oder dem Irak gestorben. Diese unzähligen Opfer hat der Westen auf dem Gewissen. In diesem Zusammenhang muss man natürlich auch Iran und Palästina nennen. Die wenigen Opfer, die der Westen erleidet, sind prozentual verschwindend. Aufgrund der Gräuelpropaganda in unseren Medien wird das Täter-Opfer-Schema aber umgekehrt. Durch einprägsame Bilder - die ich nicht immer, aber häufig für inszeniert halte - wird das Bild eines steinzeitlichen Islam vermittelt. Es gibt Regionen, wo steinzeitlicher Islam praktiziert wird. Ich halte diese Regionen und ihre Steinzeit-Islam-Systeme für vom Westen aufgebaut. Am einfachsten zu erklären ist es an Saudi-Arabien. Das ist das Land, das Köpfe und Hände abschlägt. Es wurde definitiv - und um das zu wissen braucht man keine tiefen Geschichtskenntnisse - von England und seinem Terroragenten Lawrence von Arabien aufgebaut. Das geschah im Zuge des Kampfes gegen das Osmanische Reich sowie gegen das Deutsche Kaiserreich.

Und im jüngsten Zeitgeschehen ist die ISIS ebenfalls ein solches Produkt des Westens?

Die ISIS ist dasselbe Spiel, allerdings subtiler, raffinierter und 100 Jahre später. Ich weigere mich, das Feindbild Islam zu übernehmen, das uns durch die Propaganda eingetrichtert werden soll. Ich bin oft in islamischen Ländern, habe teilweise dort gelebt und habe auch gläubige muslimische Freunde. Diese Leute sind zum Glück stoisch und lassen sich nicht provozieren, obwohl durch die Bombenangriffe und Drohnenkriege des Westens so viele ihrer Brüder und Schwestern gestorben sind. Auch nicht durch die perverse Kriegsführung von Donald Rumsfeld oder Dick Cheney, die mit Folter ganz bewusst massive Provokationen geschaffen haben, um Terroristen regelrecht wie einen Golem zu erschaffen. Die westlichen Mächte brauchen den Terror als Feindbild. Das amerikanische System macht eiskalt und berechnend ständig Dinge, die mit unseren angeblichen westlichen Werten überhaupt nicht vereinbar sind. Wir glauben so gerne, dass wir im Westen die Guten sind. Das ist falsch. Deswegen weigere ich mich, mich gegen andere Gruppen aufhetzen zu lassen. In Deutschland wurden damals Protestanten gegen Katholiken aufgehetzt, was zum 30-jährigen Krieg führte. Jetzt werden Schiiten und Sunniten aufgehetzt, aber vor allem auch Christen und Moslems. Das führt immer zu schlechten Ergebnissen. Und auch wenn die Erzeuger dieser ganzen Konflikte es ständig versuchen, darf man sich nicht provozieren und gegen andere Gruppen aufbringen lassen. 

Sie erwähnten bereits den Kaukasus. Dort wurde 2007 mit dem „Kaukasus-Emirat“ ein Kalifat ausgerufen. Damals wurde diese Proklamation von Russland mit einem Achselzucken zur Kenntnis genommen, da sie faktisch unwirksam war. Putin erklärte, dass mit dem Einsatz russischer Streitkräfte in Syrien auch die Sicherheit Russland verteidigt werde. Er nahm dabei auch Bezug auf ISIS-Kämpfer aus Tschetschenien. Hat sich die Situation im Kaukasus mittlerweile geändert? Gibt es die Gefahr, dass der so genannte Islamische Staat dort vermehrt Fuß fasst? 

Der Kaukasus ist die Achillesferse Russlands. Geostrategisch betrachtet aufgrund des Gebirgszugs, das das russische Hauptland abriegelt, und ökonomisch gesehen durch die vielen Ölquellen im kaspischen Raum. Dieser Brandherd ist im Moment weitestgehend beruhigt. Und das hat man den Tschetschenen zu verdanken – nämlich dem Präsidenten Ramzan Kadyrov. Er hat im Schulterschluss mit Putin sowohl seiner Volksgruppe der Tschetschenen als auch den Russen Stabilität und Frieden gebracht hat.

Man kann überall nachlesen, dass terroristische Angriffe, die von Kämpfern verübt wurden, die über den Kaukasus kamen und zivile Ziele angegriffen haben, von den Amerikanern gesponsert wurden. Das sind Destabilisierungsoperationen an der Achillesferse Russlands. Brzezinski hat sogar seine Doktorarbeit darüber geschrieben, wie man die knapp 150 russischen Minderheiten, im wesentlichen Moslems, als Bauern auf einem Schachbrett gegen Russland benutzen kann. Im Moment ist es im Kaukasus stabil, mit der kleinen Ausnahme Dagestan, was aber auch besser dasteht als in den Medien. Das wird immer so weiter gehen, da es sich um einen Brandherd handelt, den man gerne am Köcheln hält.  Obwohl, im Orwellschen Neusprech sagt man jetzt „Frozen Conflict“ dazu. Propaganda stellt die Dinge gern auf den Kopf. Bei Begriffen wie Kalifat handelt es sich meist um durchschaubare westliche Propaganda. Im Kaukasus gibt es dafür einen amerikanischen Sender namens „Kavkaz Center“. Wenn man ihn zur Informationsbeschaffung nutzt und die Aussagen direkt auf den Kopf stellt, dann kommt man der Wahrheit etwas näher.

Welches sind die hauptsächlichen Beweggründe, die zu den weltweiten Konflikten führen? Welche Hintergründe sind dabei von Bedeutung?

Der Grundantrieb für alle Konflikte dieser Welt – man kann wirklich alle sagen – ist das Inszenieren von Rivalität um permanent Militärmacht nach aussen demonstrieren und vor allem finanzieren zu können, eine Strategie der Spannung um Steuereintreibung und Überwachung nach innen zu rechtfertigen, sowie teilweise das Erzeugen von echtem Krieg in Regionen, wo zu starke Rivalen unten gehalten werden müssen oder wo Rohstoffe gesichert werden sollen. Diese werden nicht per se geraubt, obwohl gerade England bis heute Freibeuterei dieser Art fördert. Das Öl, das Gold und die Diamanten werden oft bewusst im Boden gelassen. Das hängt damit zusammen, dass das wirkliche Herrschaftssystem der Welt über die Leitwährung Dollar funktioniert. Diese Macht wird von der Federal Reserve ausgeübt und reicht bis in unser Portemonnaie. Ich hatte es bereits bei vorherigen Fragen angeschnitten: Das kann nur funktionieren, indem die wichtigsten Handelsgüter zwingend im Dollar gehandelt werden. Und deren Preise werden manipuliert, was zumeist durch eine künstliche Verknappung geschieht. Zu diesen vom System manipulierten Rohstoffen zählen Öl, Gold und Diamanten, hin und wieder auch Getreide, und – nicht zu vergessen – die harten Drogen.

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