Hier geht es zum ersten Teil dieses Interviews.

 

Makis Voridis ist ein Spitzenpolitiker der konservativen Oppositionspartei Nea Dimokratia. Der 52-jährige Jurist begann seine politische Karriere als Rechtsextremist. Während der Schulzeit – so berichten damalige Mitschüler und heutige politische Gegner soll er bereits rechtsextremen Gruppen angehört haben. 1985 ernannt ihn der inhaftierte Putschist und ehemalige Diktator Griechenlands Georgios Papadopoulos aus der Haft heraus zum Nachfolger von Nikolaos Michaloliakos, dem heutigen Generalsekretär der neonazistischen Goldenen Morgenröte. Voridis übernahm von diesem die Führung der Jugendorganisation der Junta-Partei EPEN. Während Michaloliakos immer weiter nach rechts abdriftete, entwickelte sich aus Voridis langsam aber stetig ein Zentrumspolitiker.

Zunächst gründete er 1994 noch die Griechische Front (Elliniko Metopo) als Schwesterpartei der Front Nationale seines langjährigen Freundes Jean-Marie Le Pen. Späterm 2005, wechselte mit der gesamten Parteispitze zur rechtspopulistischen LAOS des Nea Dimokratia Dissidenten Giorgos Karatzaferis. 2007 wurde Voridis Parlamentsabgeordneter und 2011 in der von PASOK, Nea Dimokratia und LAOS getragenen Übergangsregierung von Loukas Papademos Verkehrsminister. Voridis verließ LAOS 2012 im Streit über den künftigen politischen Kurs und schloss sich der Nea Dimokratia an. Unter Premierminister Antonis Samaras wurde er 2012 zuerst Fraktionsvorsitzender und von Juni 2014 bis zur Abwahl Samaras im Januar 2015 Gesundheitsminister für die Nea Dimokratia.

Seit seinem Eintritt in die Nea Dimokratia bemüht sich der bei Freund und Feind als begnadeter Redner bekannte Voridis, sein früheres rechtsextremes Image abzulegen. Unter dem jetzigen Parteichef der Nea Dimokratia, Oppositionsführer Kyriakos Mitsotakis dient er als Schattenminister für Öffentliche Verwaltung, öffentliche Ordnung und Justiz im Parlament und im ständigen Parteirat.

Sie sprachen über ihre Wähler. Sie haben den früheren Vizepremier der PASOK, Theodoros Pangalos, der nach eigenen Angaben nun Nea Dimokratia wählt als Wähler in ihrem Wahlkreis. Wir wissen alle, dass Sie in ihrer Jugend – salopp gesagt, einer diktaturfreundlichen Organisation angehörten. Pangalos war Maoist in jenen Jahren. Nun haben Sie ihn als Wähler.

Makis Voridis: Wie das Leben so spielt, nicht?

 

Nun, dieses gesamte Paket des Wissen, was sie über die Europäische Neue Rechte, den Populismus und die Krise Griechenlands haben, wäre dies nicht etwas als Produkt, welches sogar zeitnah exportiert werden könnte? Auch in der Antike haben die Griechen schließlich Wissen und nicht nur Sachgüter exportiert. Sie haben schließlich auch Erfahrungen aus der Privatisierung von Autobahnen und der Maut, die zum Beispiel Deutschland zurzeit gut brauchen könnte.

Makis Voridis: Ja, da kann ich nicht widersprechen. Europa geht mit der Erfahrung aus dieser Krise erheblich weiser hervor. Und es ist strukturell weiser, weil es nun über Mechanismen verfügt. Gut, Sie haben zwei, drei Themen zusammen in den Raum gestellt. Fangen wir beim Populismus an. Allerdings greifen die Populisten reale Probleme auf. Ich kann das nicht verurteilen, im Gegenteil. Ich bin bereit die Probleme der Wähler und Bürger zu verstehen. Denn, dass was Populisten machen, ist dass sie die richtigen Fragen stellen. Allerding haben sie keine Antworten oder sie haben Antworten, welche die Fragen irreführend beantworten. Aber wenn wir die Populisten kritisieren, was wir zu Recht machen, dann müssen wir die richtigen Antworten liefern, die Antworten, welche Bezug zum Bürger haben. Was ich meine ist Folgendes. Nehmen wir an, einer meiner Wähler kommt und erzählt mir, dass er seit fünf Jahren arbeitslos ist. Was passiert dann? Wenn ich ihm antworte: Du bleibst arbeitslos – zumindest für die nächsten fünf Jahre. Und wenn ich ihm dann eine volkswirtschaftlich fundierte Erklärung über die globale Wirtschaft liefere und ihm erkläre, wie diese funktioniert, dann ist der Arbeitslose danach vielleicht weiser hinsichtlich der ökonomischen Analyse aber er ist weiterhin arbeitslos.

Jedoch ist es nicht sein Problem Wirtschaftsexperte zu werden, sondern Arbeit zu finden. Also müssen unsere Antworten das Problem der Bürger behandeln. Wir müssen die Immigration regeln. Es geht nicht, dass wir nur sagen, warum wir die Immigration nicht regeln können. Denn dann werden augenscheinlich die Führenden abgewählt und es werden Menschen kommen, die behaupten, sie könnten die Immigration regeln. Es kann sein, dass die lügen. Aber am Ende des Tages werden die Wähler statt mich, der ich sage, ich hätte keine Lösung, denjenigen wählen, der behauptet und verspricht, er haben eine. Und so würde sich jeder entscheiden. Also haben die Wähler hier keine Schuld. Es gibt eine Verantwortlichkeit bei den ernsthaften politischen Kräften, dass diese plausible Antworten auf das, was die Bürger beschäftigt, liefern müssen. Und heute gibt es in Europa zahlreiche dieser Themen. Die Problematik der Arbeitslosigkeit, die Frage der Erhaltung der Einkommensniveaus, der Erhalt eines Niveaus des Sozialstaats, die Problematik der Immigration, all das sind reale Probleme, welche die Bürger beschäftigen. Wir müssen darauf eingehen. Hier müssen alle europäischen Kräfte gemeinsam agieren und einen gemeinsamen Plan für die Probleme der Bürger vorstellen. Wir dürfen nicht unverbindlich reden oder unverbindliche Ideen umsetzen. Als Beispiel nehme ich die Krise in Griechenland. Die griechische Krise ist mit der Finanzkrise verbunden, sie hat aber eine ernsthafte politische Krise generiert. Sie ist zu einer Krise der politischen Legitimation geworden. Wir hatten den Bürgern zu Anfang gesagt, dass wir Sparmaßnahmen ergreifen würden und innerhalb von zwei Jahren an die Finanzmärkte zurückkehren würden. Sieben Jahre sind nun vorbei, wir sind immer noch nicht an den Finanzmärkten. Also gibt es einen Misserfolg. Meiner Meinung nach ist Kyriakos Mitsotakis mit einer letzten Chance verbunden. Die Bürger werden Kyriakos eine Chance geben, aber es wird die letzte sein. Darüber müssen wir uns im Klaren sein. Wir können nicht nur einfach die Wahrheit sagen, sicher – wir werden die Wahrheiten aussprechen. Aber wir müssen auch Hoffnung geben und es schaffen, zählbare Ergebnisse unserer Politik zu liefern. Und für all dies haben wir nur eine beschränkte politische Periode an Zeit zur Verfügung. Wir müssen dies in einem ernsthaften, offenen Dialog an die Bürger vermitteln, wir müssen uns an Ziele binden und diese Ziele mit vorbestimmten Ergebnissen erreichen. Tun wir das nicht, dann wird sich der Bürger selbstverständlich von den ernsthaften politischen Parteien enttäuscht zu dem erstbesten politischen Glücksritter zuwenden, ebenso wie er sich Tsipras zugewandt hat.

Zumindest in Griechenland kehren die Bürger nun zu einer verantwortlicheren Politik und zur Wahrheit zurück. Man kann die Bürger nicht ewig anlügen. Sie wollen keine weiteren Lügen, sie halten diese nicht aus. Ebenso wenig können wir überfällige Reformen noch weiter aufschieben. Wir sind nicht dazu da, die schlechte Lage zu beschreiben, sondern um Wege zu finden, die zur die Lage verbessernden Lösungen führen. Das ist ein komplexes, kompliziertes und schwieriges Unterfangen. Aber das ist die Arbeit, der wir uns verpflichten müssen. Und daran werden wird gemessen werden.

Sind Sie dann bereit, wenn Sie hierbei versagen, zurückzutreten? Das ist doch das, was Sie nun Tsipras sagen: „Wenn Du es nicht kannst, tritt zurück!“.

Makis Voridis: Die Antwort ist, dass wenn die definierten Ziele nicht erreicht werden, sicherlich die politische Verantwortlichkeit analysiert werden muss. Ich weiß nicht, ob ein Rücktritt die Lösung ist, aber die politische Verantwortung muss analysiert werden. Ich sage es auch anders. Die Verantwortung muss zugerechnet werden, so wie die Bürger sie zurechnen. Denn wenn ich verspreche, dass die Immobiliensondersteuer ENFIA in zwei Jahren um dreißig Prozent gesenkt wird, und ich in zwei Jahren ENFIA eben nicht um dreißig Prozent gesenkt habe, dann glauben Sie nicht, dass sich die Bürger nicht daran erinnern werden. Also gibt es ein konkretes Ziel und ein analoges Versagen.

 

Zum Abschluss möchte ich einige Einschätzungen von Ihnen. Wir haben in den USA die Wahl Trumps gesehen. Wir haben dieses Jahr Wahlen in den Niederlanden, in Deutschland und in Frankreich. Wenn ich nun mit geschlossenen Augen und unter Ausblendung der Kenntnis Le Pens eine Rede von Marie Le Pen höre, dann höre ich eindeutig Sozialismus mit einem nationalen Vorzeichen.

Makis Voridis: Das ist wahr.

 

In den Niederlanden liest man, dass der amtierende Premier Mark Rutte nicht mit Wilders koalieren möchte, weil dieser ihm bei vielen Themen zu links sei. In Deutschland haben wir das Phänomen, dass dort Wolfgang Schäuble Härte demonstriert, Angela Merkel zahlreiche Ideen der Sozialdemokratie aufgegriffen hat und Martin Schulz wie ein neuer Star am politischen Firmament erscheint. Wie schätzen, dass das Jahr mit den doch kritischen Wahlen in Europa zu Ende gehen wird?

Makis Voridis: Ich glaube dass Europa ein fundamentales Thema angehen muss. Und zwar unabhängig von den innenpolitischen Gegebenheiten, über die die Bürger im Einzelnen ihre Entscheidungen treffen. Das Thema hängt zum großen Teil mit der politischen Ausrichtung der USA zusammen. Es heißt in der Realität: „globalisierte Wirtschaft“. Das ist das sehr große Thema. Ich möchte daran erinnern, dass der Grundgedanke der europäischen Einigung folgender war. Dass wir mit einem einheitlichen europäischen Markt, bei dem wir die einzelnen Mitgliedsländer auf ein vergleichbares Niveau bringen, einen ausreichend großen, inländischen Markt schaffen. Einen Markt mit einem Volumen an Wirtschaftsleistung, der es im Inneren den Mitgliedsstaaten erlaubt, Wachstum zu generieren und im internationalen Konkurrenzkampf zu bestehen.

Was schaffen wir also? Das ist die Idee des gemeinsamen Binnenmarktes, große Größenordnungen, wir lassen die Märkte für Güter und Dienstleistungen offen. Wir haben die Reisefreiheit, die Kapitalfreiheit und in der Realität, weil wir hunderte Millionen Menschen sind, die im gemeinsamen europäischen Raum produzieren und konkurrieren schaffen wir einen Wirtschaftsraum, der gleichwertig mit den USA, Kanada, China, Indien und Brasilien konkurrieren kann, sowie gegen aufstrebende Wirtschaften bestehen kann. Die Globalisierung ging einen Schritt weiter. Mit zahlreichen internationalen Verträgen beginnt sich etwas zu bilden, was über den Binnenmarkt hinausgeht. Hier kommen die Fragen auf, ob dies gut funktioniert aber auch, wie es legitimiert ist. Was meine ich mit legitimiert? Wir dürfen nicht vergessen, dass die Politiker von bestimmten Bürgern gewählt werden. Und diesen sind sie Rechenschaft schuldig. Wir werden nicht vom globalen Dorf gewählt. Mich wählen keine Chinesen, Inder oder Brasilianer. Die wählen ihre Politiker, die sie repräsentieren. Mich wählen die griechischen Wähler, die eine strategische Entscheidung getroffen haben, in der EU zu sein und die gleichwertig an dem teilnehmen, was europäische Integration heißt.

Also muss ich denen gegenüber Rechenschaft ablegen darüber, wie die griechische Wirtschaft sich entwickelt innerhalb unseres gemeinsamen Unterfangens, der europäischen Vereinigung. Wie muss nun Europa auf die Globalisierung reagieren? Denn in Wahrheit muss es sich in eine Stellung gegenüber den aufstrebenden Wirtschaften bringen, welche – ich sage es direkt – die eigene Produktion, die eigenen Arbeiter und die eigenen Fabriken und die eigenen Menschen schützt. Die Globalisierung mag ein Modell sein, welches abstrakt in den Köpfen einiger Wirtschaftswissenschaftler funktioniert, aber kann es am Ende des Tages zumindest theoretisch positive Ergebnisse liefern? In absehbarer Zeit und nicht in einer fernen Zukunft? Denn es ist sehr wichtig, dass während wir diese Periode durchschreiten, ein Arbeitsplatz für den griechischen Arbeiter existiert, damit dieser kaufen kann, was er braucht. Es ist immens wichtig, dass während dieser Periode der französische Versicherte öffentliche Krankenhäuser hat, die ihm die Versorgung bieten, die er erwarten kann. Es ist ausschlaggebend, dass während dieser Zeit der deutsche Steuerzahler die Schulen und Hochschulen hat, an denen seine Kinder lernen, und dass diese auf den Niveau sind, welche sie haben sollen. Also ist es von wahrhaft riesiger Bedeutung, dass wir dies alles absichern und wir müssen sehr konkret und konsequent in unseren Prioritäten sein.

Unsere Priorität ist, dass wir den griechischen Arbeitnehmer in Griechenland, den französischen in Frankreich, den Deutschen in Deutschland unterstützen und so dann auch unser gemeinsames Unterfangen.

Das genau ist durch die Wahl von Trump auf die Tagesordnung gekommen. Denn in Wahrheit hat Trump eine derartige Rhetorik entwickelt und eine derartige Sichtweise für die Amerikaner. Ich denke daher, dass es nun klar ist, dass wir als Europäische Union darüber diskutieren müssen. Aber wir müssen es als EU tun, und nicht als einzelner Deutscher, einzelner Franzose oder einzelner Grieche. Nur so kommen wir gemeinsam zu einem Ergebnis bei dieser grundlegenden Frage.

 

Vielen Dank für das Gespräch!

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