Warum ein offensichtlicher Auftragsmord Griechenland erschüttert

Am vergangenen Donnerstag fiel gegen 19 Uhr am Abend in einem neoklassischen Bürogebäude der Asklipiou Strasse Nummer 154 im Athener Zentrum ein Schuss. Das Haus steht am Rand des Autonomenviertels Exarchia zum Bezirk des Lykabettus-Bergs. In unmittelbarer Nachbarschaft befindet sich die Wohnung des früheren Staatspräsidenten Karolos Papoulias. Die Nachricht verbreitete sich schnell. Denn das vom Schuss tödlich getroffene Opfer war einer von Griechenlands prominentesten Strafverteidigern.

Das Opfer

Der 52-jährige Michalis, auch Michael genannt, Zafeiropoulos war Sohn des 2006 verstorbenen, früheren Parlamentsabgeordneten der Nea Dimokratia und Vorsitzenden der Athener Anwaltskammer Epameinondas Zafeiropoulos. Seit 1991 war er als Anwalt tätig. Unter Kollegen war er sehr beliebt. Er war nach Aussage des aktuellen Parteivorsitzenden Kyriakos Mitsotakis dessen persönlicher Freund. Mitsotakis Schwester, die frühere Außenministerin Griechenlands und Athener Bürgermeisterin Dora Bakoyianni erfuhr von dem Mord während einer Nachrichtensendung. Sie reagierte mit einem mehrfachen „oh Mutter Gottes!“ und verließ konsterniert das Fernsehstudio. Die griechische Anwaltschaft reagierte mit einer einwöchigen Arbeitsniederlegung auf die Hiobsbotschaft.

Am Freitagabend versammelte sich die Athener Anwaltsprominenz zu einem stummen Protest vor dem Tatort. Ins Zentrum der Trauer trat der Sohn des Opfers, der selbst angehender Rechtsanwalt ist. Die Erschütterung über den Tod des Juristen mischte sich bei der Nea Dimokratia mit Wut auf die Regierung. Der wird zu lascher Umgang mit Straftätern vorgeworfen. Der Athener Bürgermeister Giorgos Kaminis, selbst Kandidat für den Vorsitz des sich neu als Nachfolgepartei der PASOK gründenden Linken Zentrums, ging einen Schritt weiter. Er sah einen Zusammenhang zwischen den täglichen Scharmützeln Autonomer mit der Polizei und dem Gewaltverbrechen. Der Mord wird zum Politikum. Wer den Aussagen von Nea Dimokratia und großen Teilen der PASOK Glauben schenkt, müsste annehmen, dass Griechenland zur Mördergrube geworden ist.

Allerdings spricht die Polizeistatistik eine andere Sprache. Diese verzeichnet für 2008 insgesamt 139 Morde, 2009 waren es 146, ein Jahr später, 2010 wurden 176 registriert. Im Folgejahr 2011 stieg die Rate weiter auf 184 Taten an. Ab 2012 sind die Zahlen wieder rückläufig, es gab 165 Morde. 141 waren es ein Jahr später und 105 im letzten Jahr der Regierung der Nea Dimokratia, 2014. Für 2015 gibt die Polizeistatistik 85 Tötungsdelikte an, 2016 waren es 81.

Alle politischen Parteien des Parlaments verurteilten den Mord. Trotzdem sah der frühere Minister der Nea Dimokratia im Parlament, dass „die Hand der schäbigen Mörder nicht von einer dunklen Macht bewaffnet wurde, sondern die Waffe durch Qualität des täglichen politischen Lebens erhielt, und dabei vom täglichen Werteverfall unterstützt wurde“. Der Fraktionssprecher von SYRIZA Nikos Xydakis rief die Nea Dimokratia dazu auf, „einem Mord, bei dem niemand weiß, was passiert ist, keine politische Farbe zu geben“.

Der Tatablauf

Bekannt ist bislang der Tatablauf. Demnach klingelten um 19:10 Uhr zwei angemeldete potentielle Klienten an der Tür der Praxis. Die mit ausländischem, mutmaßlich russischem Akzent sprechenden Männer trugen keine Verkleidung oder Masken. Sie unterhielten sich knapp zehn Minuten mit dem Opfer. Dabei war der 32-jährige Anwaltsgehilfe Zafeiropoulos zunächst im Raum anwesend, musste jedoch ein Telefonat beantworten und ging kurz hinaus. Dann hörte er Schüsse – zunächst gab der Anwaltsgehilfe zwei Schüsse zu Protokoll.

Fest steht, dass ein Schuss den Anwalt tödlich traf und dieser vom Gehilfen noch lebend im Raum gefunden wurde. Die Täter hatten zwischenzeitlich das Bürogebäude verlassen. Patronenhülsen wurden nicht gefunden. Der Gehilfe gab an, dass Zafeiropoulos ihm noch zugeflüstert habe „mir geht es schlecht, ich habe Schmerzen“.

Die Fahndung

Die Polizei ermittelt nun in alle Richtungen. Es gibt Theorien über einen Auftragsmord, eine „verunglückte“ Einschüchterung oder aber private Streitigkeiten. Die Medien stellen die Mörder mal als kaltblütige Killer und ein anderes Mal als Stümper dar. Nach den beiden Verdächtigen wird landesweit gefahndet. Es gibt offensichtlich auch Aufnahmen von Überwachungskameras der näheren Umgebung.

Es gibt Spekulationen, ob die Tat in einem Zusammenhang mit Straffällen des Anwalts zusammenhängt. Hier hat Zafeiropoulos nahezu an allen großen Fällen der letzten Jahre mitgearbeitet. So vertrat er den wegen des Verdachts der Bestechung bei staatlichen Rüstungsdeals angeklagten Thomas Liakounakos. Er verteidigte Angeklagte in einem Spekulationsskandal mit Aktien. Er vertrat Manager des privaten Stromanbieters ENERGA Hellas Power, die unter anderen für die Unterschlagung von knapp 270 Millionen Euro Steuern verantwortlich sind. Zafeiropoulos diente Angeklagten eines Fußballwettskandals als Anwalt. Er vertrat die Zeitung Parapolitika gegen den amtierenden Verteidigungsminister Panos Kammenos, als dieser üble Nachrede und Verleumdung vorgeworfen wurde. In seiner Klientendatei finden sich auch zahlreiche Drogenhändler. Noch gibt es keine heiße Spur.

Bei der Beerdigung des Mordopfers fanden sich am Samstag zahlreiche Anwälte am Friedhof des Athener Vororts Elliniko ein. Staatspräsident Prokopis Pavlopoulos wohnte der Totenmesse bei. Oppositionsführer Kyriakos Mitsotakis verschob die Präsentation eines neuen Expertenteams seiner Partei und erschien zusammen mit sämtlichen Spitzenpolitikern seiner Partei am Friedhof.

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