Wie sich die Zeiten ändern

Der politische Tonfall des griechischen Premierministers Alexis Tsipras hat sich seit seinem ersten Amtsantritt im Januar 2015 grundlegend geändert. Damals trat Tsipras gemäß seinen eigenen Aussagen an, um Europa grundlegend zu verändern. Das europäische Establishment reagierte zunächst mit Ablehnung.

Der neuen griechischen Regierung drohte die Isolation, hatte Tsipras doch angekündigt, sämtliche Sparauflagen und Verträge mit der Kreditgebertroika in Frage zu stellen. Heute hingegen, erfüllt Tsipras nicht nur alle Auflagen in größerem Maße als seine Vorgänger – er mahnt die SPD, im Interesse Europas und des Euros der großen Koalition mit der Union endlich zuzustimmen.

Der erste hochrangige Politiker, der dem neuen Premier in Athen die Aufwartung machte, war Martin Schulz. Der damalige Präsident des EU-Parlaments und bei den Europawahlen 2014 Tsipras Konkurrent im Kampf um den Vorsitz der EU-Kommission wollte „mit Tsipras reden“, statt nur über ihn zu reden.

Schulz versuchte dem jungen griechischen Premier Pragmatismus zu lehren. Er informierte ihn darüber, dass Wahlversprechen schön und gut seien, die Praxis aber oft entgegengesetzte Entscheidungen erfordern würde. Dabei trat Schulz dem international noch unerfahrenen Tsipras gegenüber wie ein väterlicher Freund auf.

Tsipras hatte im Wahlkampf mit pathetischer Betonung von Sprüchen wie „Go back Mrs. Merkel“ und „Go home Schäuble“ die hellenischen Wähler begeistert. Nun belehrte ihn Schulz, dass Griechenland ohne Merkel und Schäuble nicht einfach eine Revolution anfachen könne.

Der Wandel von SYRIZA hin zur neuen PASOK

Obwohl Tsipras´ damaliger Finanzminister Yanis Varoufakis munter die Eurogruppe mit unkonventionellen Vorschlägen aufmischte, zeigte der Besuch von Schulz Wirkung. Den aufmerksamen Beobachtern konnte nicht entgehen, dass Tsipras´ Narrativ in der Heimat vor revolutionärem Aktionismus strotzte, er in der Fremde bei Treffen der EU-Staatschefs jedoch ungleich diplomatischer auftrat.

Der weitere Verlauf der Geschichte ist bekannt. Tsipras ließ es bei den Verhandlungen zur griechischen Eurokrise bis zum Äußersten kommen. Im Nachhinein und auch aus Varoufakis Memoiren wird klar, dass dies vor allem dazu diente, in Griechenland das Gesicht zu wahren. Schließlich wurden Varoufakis und ein Drittel der damaligen SYRIZA-Fraktion im Sommer 2015 vergrault.

Tsipras hatte ein offenbar bewusst vage und zweideutig gehaltenes Referendum zum Sparkurs abhalten lassen, um einen Tag nach Verkündung des Ergebnisses, der Ablehnung der Griechen zur Fortsetzung des wirtschaftlich selbstmörderischen Sparkurses, die Weichen auf eine Fortsetzung desselben zu setzen.

SYRIZA selbst wandelt sich unter der Führung Tsipras von einer linken Partei zu einer sozialdemokratischen Bewegung, die sich anschickt, das Erbe der ums Überleben kämpfenden sozialdemokratischen PASOK anzutreten. SYRIZA hat bei den europäischen Sozialdemokraten bereits den Beobachterstatus und könnte durchaus in naher Zukunft zur PES (Sozialdemokratische Partei Europas) gehören.

Tsipras warnt Schulz vor politischem Vakuum und eventuellen Folgen

Es ist nicht bekannt, ob dies alles den Ratschlägen Schulz´ zu verdanken ist. Tatsächlich jedoch sah sich der vom Merkel-Feind zum Merkel-Bewunderer gewandelte Tsipras bemüßigt, anlässlich des Scheiterns der Verhandlungen zur Jamaika-Koalition in Berlin auf den sozialdemokratischen Parteichef einzureden.

Tsipras rief nun seinerseits bei Schulz an. Er bat ihn, die Chance zur Regierungsbildung in Berlin nicht zu vergeben. Aus dem Amtssitz von Tsipras, dem Megaron Maximou, wurden Einzelheiten des Gespräches an die staatliche Nachrichtenagentur Athens News Agency-Macedonian News Agency kolportiert. Schulz informierte demnach Tsipras über die Lage in Berlin nach dem Scheitern der Koalitionsverhandlungen zwischen den Unionsparteien CDU/CSU, der FDP und den Grünen.

In der Folge drückte Tsipras seine Sorge über ein fortgesetztes politisches Vakuum in Berlin und die daraus für die Eurozone und die EU resultierenden Folgen aus. Er ermunterte Schulz zu Koalitionsverhandlungen, die dieser nun – gemäß Tsipras – aus einer gestärkten Position heraus angehen könne.

„Die wahre linke und fortschrittliche Haltung drückt sich nicht im Festhalten an der Reinheit der politischen Positionen aus“, belehrte Tsipras Schulz, „sondern darin, für einen möglichen Wandel für die Mehrheit der Bürger zu kämpfen. Wenn Du dies nun erreichen kannst, dann ist das eine Chance, die nicht verloren gehen darf.“

Die Perspektive hat sich verschoben: Für SYRIZA gilt die SPD inzwischen als Linkspartei

Der gezielten Indiskretion des Gesprächs folgte eine öffentliche Erklärung von Finanzminister Euklid Tsakalotos. Dieser nutzte am Wochenende die Gelegenheit, um selbst auch für die GroKo in Berlin zu werben. Bei seiner Ansprache anlässlich des Europäischen Kongresses zu Ungleichheiten in Europa mahnte er an, dass die Sozialdemokraten in Berlin der Koalition zustimmen müssten.

„Es ist von unermesslicher Bedeutung, dass die Sozialdemokraten an der Regierung beteiligt sind. Ich verstehe das Zögern, aber wenn Europa nun kein positives Momentum hat, dann wird es später noch schwieriger“, sprach Tsakalotos. Es sei wichtig, weil heute die Entscheidung fallen würde, wer die kommenden vier Jahrzehnte lang die Hegemonie innehaben würde, fügte er hinzu. Es sei wichtig, dass die Linke beteiligt sei. Für SYRIZA, die Partei die einst zusammen mit der deutschen Partei Die Linke im Wahlkampf auftrat, gilt nun die SPD als links.

In Athen wurde nicht bekannt gegeben, wie Schulz auf Tsipras Ratschläge reagierte.

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