Dabei scheint eine „Liebes-Scheidung“ gar nicht so schwer zu sein: Die EU erlaubt Großbritannien, seine Waren ohne Zölle und Mengenbegrenzung weiter in den Binnenmarkt zu exportieren. Als Gegenleistung hält die Insel an EU-konformen Umwelt- und Sozialstandards fest und verzichtet auf wettbewerbsverzerrende Staatshilfen.
Gott vergibt, Boris Johnson nie!
Leider findet man an diesem Fair Play in Number 10 Downing Street ebenso wenig Gefallen wie an einem vernünftigen Haarschnitt. Hier sind Ähnlichkeiten mit US-Präsident Trump unverkennbar. Auch Johnson hat ein unbeirrbares Sendungsbewusstsein mit Absolutheitsanspruch. Im Ringen mit der EU um seinen Best Brexit-Deal sieht er sich als Dreifaltigkeitsnachfolger der ausdauernden Queen Victoria, des unbändigen Winston Churchill und der sturen Margaret Thatcher: United Kingdom 12 points, EU Zero.
Im Rosenkrieg mit Europa scheut er selbst vor Änderungen am Brexit-Abkommen, insbesondere an den heiklen Nordirland-Passagen nicht zurück. Diesem hatte Johnson zwar zugestimmt, um den EU-Austritt rechtlich zu ermöglichen. Doch was interessiert ihn sein Geschwätz von gestern. Völkerrechtsbruch und Vertragsuntreue gehören für Johnson wohl zur neuen feinen englischen Art.
Und Johnson fühlt sich so kampfstark wie das britische Wappentier, der Löwe. Im Unterhaus hat er eine Mehrheit wie die CSU in ihren besten Zeiten. Die Labour-Opposition ist keine Alternative. Und dann gibt es da noch die britische Volksseele. Für die Souveränität des Königreiches gegenüber der republikanischen Knechtschaft der EU, die vermeintlich von Frankreich und Deutschland dominiert wird, will man alles tun, auch wenn es völlig absurd wie bei Monty Python oder Mr. Bean ist und sogar schmerzt. So wird erbittert um Fangquoten in königlichen Gewässern verhandelt, obwohl die Fischerei nur noch einen sehr kleinen Anteil an der britischen Wirtschaftsleistung hat. Aber dass es dem Durchschnitts-Briten im Vergleich zum -Europäer nach einem No Deal-Brexit noch schlechter als heute schon gehen wird, spielt keine Rolle. Hauptsache den Pferden und Hunden der Queen geht es gut.
Vor diesem machtvollen Hintergrund will Johnson die EU einschüchtern. Immerhin ist Brüssel seit 2016 in allen Brexit-Verhandlungen immer kulant aufgetreten. Da ist doch noch mehr drin, ein besonderer Special Deal. Und so setzt er alles auf Rot: Wenn bis 15. Oktober kein ihm genehmer Deal steht, kommt eben der No Deal-Brexit. Und Schuld daran ist dann nur die EU.
Ohne Deal wird Großbritannien zur Insel der wirtschaftlich Verdammten
Johnson behauptet vehement, dass Großbritanniens Zukunft auch mit einem Plan B, also ohne Deal mit der EU, großartig sein wird. Damit zeigt er nicht nur Ähnlichkeiten mit Trump, sondern auch mit Pinocchio. Und so spricht man in der britischen Regierung auch nicht von No Deal, sondern viel freundlicher von „Australischer Lösung“. Denn Down Under habe doch auch kein Handelsabkommen mit der EU. Und denen gehe es doch auch gut.
Doch geben wir der Realität eine Chance. Wenn sich das Königreich neuen Ufern, sprich neuen Handelspartnern zuwendet, werden diese die Notlage des Landes ausnutzen. Käme es sogar zu einer Abspaltung Schottlands, wäre ein dann Little Britain ganz leichte Beute. Nebenbei, trotz Special Relationship mit UK ist sich auch Amerika handelspolitisch selbst der Nächste.
Dann zur Exportstimulierung auf die Pfund-Abwertung zu setzen, ist nur vordergründig sinnvoll. Die Industrie hat wenig vom währungsseitigen Wettbewerbsvorteil, wenn der Anteil der importierten Vorprodukte hoch ist.
Überhaupt, sollte das Pfund zu einer Schwachwährung verkommen und heftig wie der Union Jack an der englischen Nordseeküste hin und her flattern, müssten britische Schuldner zur Kompensation von Währungsrisiken höhere Zinsrisikoaufschlägen zahlen. Setzt die Bank of England zur Verbesserung der Kreditbedingungen dann auf negative Leitzinsen und ungebremste Anleihekäufe, wären weitere Währungsunsicherheiten so sicher wie der Five o´ Clock Tea. Und zu allem Übel kommt auch noch ordentlich importierte Inflation hinzu. Genau dieses Schicksal erleidet zurzeit die Türkei mit ihrer Lira.
Zugang zum EU-Binnenmarkt ist nicht alles, aber ohne ihn ist alles andere nichts
Und grundsätzlich, welchen Standortvorteil hat eine exportgünstige Währung noch, wenn er über hohe Import- und Exportzölle aufgefressen wird. Und genau diese poppen ab 1. Januar auf wie Mais in der heißen Pfanne.
Standortqualitäten lassen sich alternativ kaum über großzügige Steuersenkungen gewinnen. Ja, Irland zieht mit Mini-Steuersätzen multinationale Konzerne an wie Licht die Motten. Doch was nutzen diese, wenn der Zugang zum großen EU-Binnenmarkt mit Zollbürokratie, Staus an den Grenzen, Unterbrechungen von Lieferketten und hohen Lagerkosten bezahlt wird.
Ebenso mögen massive Deregulierungen z.B. in der Finanzindustrie zunächst ein Standortvorteil sein. Doch selbst amerikanische Banken, die London seit Jahrzehnten lieben, gehen aktuell fremd und investieren lieber in Kontinentaleuropa. Auf rechtliche Grauzonen hat niemand Lust.
Nicht zuletzt ist für Konzerne, aber auch Startups die Arbeitnehmerfreizügigkeit wichtig, bei der sich Johnson zugeknöpft wie im kältesten Winter zeigt. Dabei sind auch für Großbritannien ausländische Fachkräfte unverzichtbar. In Krankenhäusern und Fabrikhallen werden die Bio-Briten immer rarer: Jeder achte BMW-Mitarbeiter in Großbritannien ist EU-Bürger, kein Brite.
Insgesamt betrachtet ist für ausländische Unternehmen der Schritt auf die Insel zu riskant. Und für Fish and Chips und zerkochtes Gemüse kommt niemand. Ohne Deal werden sogar viele britische Firmen Good Bye sagen.
Eigentlich würde kein verantwortlicher Politiker eine No Deal-Brexit-Krise riskieren. Damit fährt man auf der falschen Seite, auf der linken Spur. Es sei denn der Nachname fängt mit J an. Hauptsache, er hat der EU nicht nachgegeben. Und wenn die Wirtschaft leidet, schiebt er es einfach auf Corona.
Brüsseler Selbstgerechtigkeit ist fehl am Platz
Es ist völlig richtig, dass sich der europäische Stier von Johnson nicht kastrieren lässt. Wenn Erpressungen zu einem besseren Deal führten, könnten schlafende Hunde in anderen Ländern geweckt werden: Sich vieler Pflichten der EU entledigen und dennoch möglichst alle Rechte behalten.
Dafür zahlt aber auch die EU einen Wirtschafts-Preis. So ist Großbritannien einer der größten Exportmärkte für Deutschland. Die deutlich größeren Wirtschafts-Schmerzen wird aber das Königreich aushalten müssen.
Häme und Brüsseler Selbstgefälligkeit sind aber unangebracht. Der größte Feind Europas ist sicher nicht das Vereinigte Königreich, es sind die Chinesen und Amerikaner, die unseren Wohlstand nachhaltig bedrohen. Um im Haifischbecken der Wettbewerbsfähigkeit zu überleben, muss die EU an die eigene Komfortzone ran. Über-Bürokratie, Verteilen von Geschenken ohne Gegenleistung, Technologiefeindlichkeit, das Vergraulen von Investoren, immer mehr staatswirtschaftliches Gesundbeten und ein nur lockerer Zusammenhalt wie bei Aasgeiern müssen wie Unkraut ausgemerzt werden.
Die europäische Unart, sich um des lieben Friedens willen immer auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zu verständigen und zur Erhaltung der innereuropäischen Freundschaft Konflikte mit großem diplomatischem Geschick zu umschiffen und auch noch stolz darauf zu sein, ist ein schleichendes wirtschaftliches Gift, dass früher oder später auch zum geopolitischen Tod führt.
Den Briten wünsche ich einstweilen viel Spaß mit ihrer Insel-Isolation und Empire-Romantik. Das macht sie zwar nicht satt, aber offensichtlich glücklich.
Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG: https://www.roberthalver.de/Newsletter-Disclaimer-725
Kommentare
Bei allem Respekt-- ich kann da nur sagen abwarten: wenn dass pfund mal wirklich unter 80 cent zum Euro fällt-- o.k. dann würde ich vielleicht langsam mal anfangen Ihnen beizupflichten!
Langsam wohl gemerkt! Die Briten sind bis heute aus ALLEN!!! Verwerfungen als SIEGER hervorgegangen!
Ich glaube die wissen schon längst: Die Eu wird sterben UND DIE DEUTSCHEN ALLEIN WERDEN ZAHLEN- DANK MUTTI!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
Und an alle: Wer Geschichte nicht kennt: Die Briten sind unsere Brüder und Schwestern! Anglo saxon heisst Angelsachsen!
Staates hingegen ging meistens 'den Bach hinunter'. Es ist deshalb sowohl für das (noch) Vereinigte Königreich als auch die Europäische Union jetzt unerlässlich diese Abwärtsspirale endgültig zu beenden!
Erst recht in Zeiten von Krisen braucht es per se Ratio Einigkeit Gemeinschaft Zusammenhalt auf allen Ebenen. Britannien war und ist immer Europa vice versa - q.e.d. Punkt.
Wer das heute negiert oder diskutiert ist per se ebenso deplatziert.
Ergo gibt es als Lösung nur eine schnellste Wachablösung des Vorturners in No.10 DownIng Streit for better or for Worte. Let's go for progress as such indeed now!
Mit freundlichen Grüßen....
Vorhersagen sind immer schwierig, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen...
An die "Insel der wirtschaftlich Verdammten" glaube ich selbst in keinster Weise, das scheint mir doch stark übertrieben und möglicherweise eher auf Propaganda der EU basierend. Jedenfalls hat es für meinen Geschmack etwas zu viel (und einseitige) Spekulationen im Artikel. Das sind doch bestenfalls Glaubenssätze, denn kein Mensch weiss heute schon, was kommen wird.
Warum nur schwarzmalen? Man könnte auch mal spekulieren, wie es aussähe, wenn es gut läuft für GB. Würde es den Menschen dort gönnen.
Den grössten Feind "Europas" (korrekt: der EU) sehe ich im übrigen in der EU und deren Machtgehabe selbst.
Ein "No-Deal-Brexit" aber wird der Insel das "Genick brechen".
Bei einem harten Brexit würden Zölle nach den Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) anfallen, das sind z.B. ca 10% bei Fahrzeugen. Eine Britische Autoindustrie gibt es seit Thatchers Tagen nicht mehr und dann hat Honda seit längerem angekündigt, dass Zollkontrollen nicht vereinbar seien mit seiner Just-In-Time-Lieferkette. BMW, Toyota stellen ebenfalls schon lange ähnliche Überlegungen an. Airbus wird aller Voraussicht die insel verlassen. Die Flügel sollen auf dem Kontinent oder in China gebaut werden. Das betrifft rd 14.000 Mitarbeiter, rd 4000 Zulieferer. Britische Flugzeuge verlieren nach dem Brexit ihre Landerechte in der EU. Ohne ein spezielles Abkommen haben britische Fluglinien keinen Zugang mehr zu EU-Flughäfen! Bisher sind britische Forschungseinrichtungen die größten Empfänger von EU-Forschungsgeldern. Ohne besondere Vereinbarungen werden britische Forschungseinrichtungen keinen Zugang mehr zu EU-Programmen haben. Und was ich persönlich besonders traurig finde: Großbritannien fällt aus dem Studentenaustauschprogramm Erasmus hinaus.
Dies alles (und noch viel mehr) haben die Bürgerinnen und Bürger dieses wunderbaren Landes nicht verdient und dürfen sich bei "King Boris" und seinem Kunpanen Nigel Farage bedanken!