Was ist da los an den Börsen? Schlechte Meldungen, Horrorszenarien, die Konjunkturdaten schlechter als erwartet und…. Die Aktienkurse steigen!

Dunkle Mächte? Börsenwahn? Existiert die Krise gar nicht und ist nur herbeigeredet?

Ich stoße in den letzten Tagen auf viele irritierte Menschen, die das alles nicht mehr nachvollziehen können. Es gibt aber eine ganz einfache Erklärung: Das ist Börse!

Das lässt sich nicht mit reiner Marktwirtschaftslehre erklären. Ich versuche eine Erklärung aus Händlersicht.

Der Tiefststand im Dax war letztes Jahr bei etwa 4000 Punkten. Zum Jahresende und bis Anfang Januar stieg der Index auf 5100 Punkte an. Danach folgte wieder eine schnelle Abwärtswelle bis 4000 Punkte. 1100 Punkte Kursverlust innerhalb weniger Wochen. Jetzt kommt die Psychologie ins Spiel.

Derjenige, der seit etwa 5000 Punkten auf fallende Märkte gewettet hat (short gegangen ist) sagt sich: „Hey, 1000 Punkte verdient. Klasse. Außerdem hat der Markt letztes Jahr auch bei 4000 Punkten gehalten. Ich decke meine Short-Position lieber ein und freue mich über meinen dicken Gewinn.“ Er kauft Aktien.

Derjenige, der im Jahr  2008 bei 4000 Punkten Aktien gekauft haben (ja, die gab´s auch), hat in den Wochen danach viel Geld gewonnen und vielleicht bei 5000 Punkten verkauft. Der sagt sich: „Hey, damit habe ich letztes Jahr viel Geld verdient. Das probier ich noch mal. Ich kaufe bei 4000 Punkten und guck mal, ob das wieder so schön steigt. Wenn es unter 4000 geht kann ich ja schnell wieder verkaufen.“ Er kauft Aktien.

Derjenige, der im Jahr 2008 bei 4000 Punkten auf fallende Kurse gesetzt hat (short gegangen ist), hat in den Wochen danach schlecht geschlafen, weil er bei den auf 5100 Punkte steigenden Kursen viel Geld verloren hat. Wenn der Index jetzt wieder auf 4000 Punkte zurückkommt, denkt er „ Gott sei Dank  komme ich ohne große Verluste aus der Nummer raus. Wer weiß, ob der Markt nicht wieder bei 4000 abprallt und nach oben geht. Dann gehe ich noch mal durch so ein Gefühlsbad“  Er kauft Aktien.

Und so wird diese Marke von (ungefähr) 4000 Punkten zu einem echten Hindernis. Sie sehen also, dass solch ein Chart (Grafik der Aktienkurse) eigentlich eine Übersetzung der Händlerpsyche in eine Grafik ist. So wird aus dieser 4000er Marke eine wichtige Unterstützungsmarke und die Kurse drehen hier wieder nach oben, weil viele Händlergruppen (siehe oben) aus den unterschiedlichsten Beweggründen hier Aktien kaufen.

Dabei spielt es überhaupt keine Rolle, was zu diesem Zeitpunkt irgendwelche Konjunkturdaten oder Wirtschaftsnachrichten sagen. Die Händler sind diejenigen, die entscheiden, ob ein Markt steigt oder fällt. Und  wenn diese Händler in ihrer Mehrheit (aus welchem Grund auch immer) Aktien kaufen, dann steigt der Markt eben.

Es sei denn, es kommt ein so einschneidendes Ereignis, dass die Händlerpsyche wieder gedreht wird. „ohhh,  das ist aber wirklich übel! Jetzt verkaufe ich doch lieber!“

Eine „normalschlechte“ Nachricht genügt dafür aber nicht.

Wie weit trägt eine solche „Händlerpsyche“ getriebene Aufwärtsbewegung?

In der Regel nicht sehr weit. Nach etwa 38, 50 und 61 Prozent dieser Gegenbewegung nach oben (das hängt davon ab, wie stark der übergeordnete Trend nach unten ist, der ja noch immer das große Marktgeschehen bestimmt) kippt die Händlerpsyche wieder. Diese Zahlen entstammen alten mathematischen Betrachtungsweisen und wurden irgendwann in das Grundverständnis der Händler übernommen. Also von 5100 auf 4000 sind 1100 Punkte. 61 Prozent davon sind 671 Punkte. Also Beispielsweise bei 4670 Punkten denkt der Händler:

„Hmm, ich habe bei 4000 gekauft und der Markt ist jetzt schon wieder 670 Punkte nach oben gelaufen. Eigentlich bin ich ja immer noch der Meinung, dass die Gesamtlage sehr schlecht aussieht. Viel wird da nicht mehr gehen nach oben. Es gibt ja auch gar keine fundamentalen Gründe, warum es steigen soll. Ich verkaufe meine Aktien lieber wieder und nehme den Gewinn von 670 Punkten besser mit. An Gewinnmitnahmen ist noch keiner gestorben!“

Ein anderer Händler überlegt:

„So, da warte ich schon lange drauf. Die Nachrichtenlage ist so schlecht, die Aktien müssen weiter fallen. Aber bei 4000 Punkten wollte ich nichts short gehen (leerverkaufen). Da war das Risiko zu groß, dass es wieder nach oben abprallt. So war’s ja auch. Aber jetzt ist es genug mit der Korrektur. Ich verkaufe mal was und hoffe auf fallende Kurse“

Und jetzt fallen die Kurse eben wieder. Und was war der Auslöser? Händlerdenken! Das ist allerdings etwas, was viele Volkswirte und Medienleute nicht nachvollziehen können. Die suchen sich dann zu den Kursbewegungen die passenden Nachrichten aus und erklären damit den Aktienanstieg („Die Aktien steigen, weil der Ölpreis um 2 US$ gefallen ist“). Oder: „Scheinbar waren die Konjunkturdaten von den Händlern noch schlechter erwartet worden“.

Mit dieser Händlerpsyche lässt sich manches Phänomen erklären… aber leider nicht jedes. Sonst wäre Börse ja zu einfach ;-)

Kommen an diesem Punkt zum Beispiel neue Käufer in den Markt, die bislang nicht im Spiel waren und die Aktien ziehen deutlich über diese „psychologisch wichtigen Marken“ hinaus, oder starke Interessensgruppen (PPT) ziehen die Kurse bewusst über diese Marken, lösen sie damit ein erneutes Kippen der Händlerpsyche aus. Dies kann auch durch unerwartete sehr positive Nachrichten geschehen, die zu einem solchen Zeitpunkt die Waage zum Kippen bringen.

Die Händler, die auf fallende Kurse gewettet haben müssen plötzlich schnell kaufen um ihre Verluste zu begrenzen, da Ihre Wette nicht aufzugehen droht.

Die Händler, die ihre Aktien bereits verkauft haben wollen auch noch schnell wieder aufspringen „Mist, das zieht nach oben durch, ich will dabei sein!“

So entsteht plötzlich eine Kauflawine, die die Aktien steil nach oben treibt. Das hat noch immer absolut nichts mit der Entwicklung der Konjunktur, der Krise oder der Volkswirtschaft zu tun. Und wenn dann wieder mal jemand fragt: „Wieso steigen die Aktien? Ist die Krise vorbei!?“ Dann antworten Sie ganz entspannt: „Wieso? Das ist Börse!“ ;-)

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