Dirk Müller ist seit vielen Jahren das Gesicht der Börse. Kompetent und charismatisch versteht er es, das Börsenlatein so zu übersetzen, dass es auch Normalsterbliche begreifen. Er nimmt kein Blatt vor den Mund und spricht Klartext. Für den NATURSCHECK beantwortet er regelmäßig Fragen unserer Leser zu den Themen Politik, Wirtschaft und Finanzen.

Lieber Herr Müller, Ende August ist Ihr Buch „Machtbeben“ erschienen. Da sagen Sie unserer Wirtschaftswelt ja eine gigantische globale Krise voraus. Daher die Frage vorab: Wie war bisher die Resonanz auf Ihr Buch? Und sehen Sie derzeit Ihre Prognosen bestätigt?

Dirk Müller: Die Resonanz auf das Buch ist sensationell. Zumindest bei denen, die das Buch gelesen haben (lacht). Es war von Beginn an auf der Spiegel-Bestsellerliste. Wobei die großen Mainstream-Medien das Buch komplett ignoriert haben. Während man bei meinem letzten Buch „Showdown“ versuchte, es medial niederzumachen – was allerdings nicht funktioniert hat – hat man bei diesem Buch die Strategie „Todschweigen“ gewählt. Aber ebenso erfolglos!

Durch die Sozialen Netzwerke, Mundpropaganda etc. wurde viel Bewegung erzeugt, so dass die großen Sendeanstalten nun reagieren müssen.

Und wie erwartet, wird man nun versuchen, mir auf die Mütze zu hauen (lacht). Die großen Medien behaupten: Alles Schrott! Alles Mist! Aber alles andere wäre für mich eine Demütigung gewesen. Die Tatsache, dass diese großen Medien das Buch entweder ignorieren oder despektierlich beschreiben, ist eigentlich der beste Ritterschlag.

Und um auf das Thema „Prognosen“ zurückzukommen: Was seit dem Schreiben des Buches geschehen ist, ist faktisch deckungsgleich mit dem, was im Buch steht. Daher bin ich guten Gewissens, dass wir inhaltlich nicht ganz danebenliegen.

Sie waren ja jahrelang TV-Gesicht und Dauergast bei Gesprächsrunden im Fernsehen. Lädt man Sie nach Ihren letzten Büchern überhaupt noch zu Talkshows ein?

Dirk Müller: Nein! Die großen Fernsehhäuser, die ARD und ZDF angeschlossen sind, und die großen Zeitungspublikationen ignorieren mich inzwischen komplett. Ich werde zu keinen Talkshows mehr eingeladen. Und obwohl ich für das größte Verlagshaus Deutschlands tätig bin, wurden sogar die Zusagen zur Unterstützung des Buches wieder zurückgezogen, als man erfuhr, wovon das Buch handelt. Und aus geplanten Talkrunden wurde ich „ausgeladen“. Man möchte das Thema schlichtweg ignorieren.

Wenn die Themen nicht so brisant wären, könnte man darüber lachen. Bisher haben sich die Prognosen Ihrer drei letzten Bücher ja (leider) fast alle bewahrheitet. Vom „Crash“ 2008 bis zum „Machtbeben“ heute. Bereits Ende letzten Jahres prognostizierten Sie im NATURSCHECK-Interview, dass Angela Merkel (seit Donald Trump US-Präsident ist) nun quasi „zum Abschuss freigegeben“ sei. Was ja nicht mehr zu übersehen ist. Wie wird es mit der deutschen Kanzlerin weitergehen?

Dirk Müller: Das ist jetzt ein Abschied auf Raten. Da das Ende in Sicht ist, tritt man medial nicht mehr nach. Und sie wird sogar noch gefeiert für all das, was sie gemacht hat. Ganz spannend ist jedoch, wer derzeit von den Medien als Nachfolger oder gar „Heilsbringer“ in den Ring geworfen wird …

Bevor wir zu Friedrich Merz kommen, noch eine kurze Zwischenfrage: Derzeit äußern sich viele bekannte Ökonomen zur Ära Merkel. Dr. Daniel Stelter schreibt in seinem Buch: DAS MÄRCHEN VOM REICHEN LAND, dass in Angela Merkels Amtszeit bis zu fünf Billionen (5.000.000.000.000) Euro an deutschen „Wohlstandswerten“ verbrannt wurden. Und dass vor allem das Privateigentum immer mehr schwindet. Wie sehen Sie diese Aussage?

Dirk Müller: Ich habe zwar die zugrundeliegenden Zahlen nicht gelesen, aber es ist ja sichtbar, dass das Wohlstandsgefälle auch in Deutschland immer weiter zunimmt. Wir haben eine starke Spitze, die immer wohlhabender wird, und immer mehr Menschen, die mit wenig und immer weniger auskommen müssen und mehrere Jobs brauchen, um sich über Wasser zu halten. Da hilft auch kein Mindestlohn.

So toll waren die vergangenen Jahre also nicht! Wenn man dann noch überlegt, dass der Staat durch die Niedrigzinsen jährlich dreistellige Milliardenbeträge einspart, da fragt man sich schon, wo dieses ganze Geld letztlich geblieben ist. Es wird ja im Bundeshaushalt auch nichts zurückgelegt. Wer hat das viele staatlich erwirtschaftete Geld also bekommen?

In die notwendigen Infrastrukturen wurde es sicher nicht investiert. Siehe unsere maroden Straßen und Schulen. Aber nun zum Thema Merkel-Nachfolge. Von SPIEGEL & Co. wird als „Retter Deutschlands“ nun der „Multitasker“ Friedrich Merz genannt. Der soll ja in sage und schreibe 20 Aufsichtsräten sitzen und ist Vorsitzender der Atlantik-Brücke. Also im Grunde kein Volkspolitiker, sondern ein 100%iger Wirtschaftslobbyist. Wie schätzen Sie Herrn Merz ein? Und wie würde eine CDU-Merz-Politik aussehen?

Dirk Müller: Keine Frage, Friedrich Merz hat natürlich hohe Kompetenz, sonst würde er nicht so viele bedeutende Ämter innehaben. Das Problem für mich ist: Ein Kanzler der Bundesrepublik Deutschland sollte im Idealfall ein weiser, edler, sich an neutralen Interessen orientierender Mensch sein, der zwischen verschiedenen Volksgruppierungen vermittelt. Der also Volksentscheidungen für eine „gemeinsame“ Zukunft trifft.

Und wenn wir die nähere Vergangenheit betrachten, seit Beginn der Industrialisierung, so haben wir vor allem zwei große Interessengruppen: Zum einen die Machtelite, die Konzerne, die Unternehmer - und auf der anderen Seite die breite Masse der Bevölkerung, der Gesellschaft, der Bürger, der Arbeitnehmer und Arbeiter. Und es liegt in der Natur der Sache, dass deren Ansichten oft konträr sind.

Der Unternehmer und seine Klientel, die möchten möglichst viel Geld verdienen und möglichst viel Macht haben. Und sie möchten, dass der Arbeiter für wenig Geld möglichst viel leistet. Gleichzeitig soll er aber genug verdienen, um teure Produkte kaufen zu können. Und der Mensch in der Gesellschaft möchte genau das Gegenteil: Er möchte möglichst wenig arbeiten, dafür möglichst viel verdienen und Produkte, die so günstig wie möglich sind.

Wir haben also zwei Gesellschaftsgruppen, die intrinsisch komplett gegensätzliche Interessen vertreten. Und das schon, seit es Fabriken gibt. Und erst durch starke Gewerkschaften, die die Stimmen der Bürger gebündelt haben, wurde ein gesellschaftliches Gleichgewicht geschaffen. So weit, so gut.

Jetzt haben wir aber schon seit Jahren eine zunehmende Schieflage dieser Interessen. Die Waage wird immer weiter beschwert auf der Seite der Unternehmer. Deren Einfluss wird immer größer, weil sie besser organisiert sind. Das heißt: Ihre Macht wird größer. Ihre Einnahmen werden höher. Ihre Interessen werden von der Politik besser bedient.

Und genau zu so einer Zeit wird uns von den Medien ein politischer „Heilsbringer“ präsentiert, der diese Schieflage in der Gesellschaft noch verstärken würde. Quasi ein „Schwergewicht“ der Unternehmerinteressen. Ein besseres Symbol dieser neuen Einseitigkeit könnte man also gar nicht benennen. Mir fällt niemand ein, der mehr für Lobbyismus steht als Friedrich Merz. So ist er fast schon eine Karikatur. (lacht)

Aber wir sind ja weit davon entfernt, dass aus diesem politischen Geist aus der Flasche gleich ein deutscher Kanzler wird…

Dirk Müller: …das sehe ich anders! Wenn ich mir in den letzten Tagen einen Überblick über die maßgeblichen Medien verschafft habe, dann ist die Messe eigentlich gelesen. Denn mit ganz wenigen Ausnahmen feiern die Medien von links nach rechts Friedrich Merz als den „Heilsbringer“. Überall wo große Konzerne dahinterstehen, lobt man ihn. Und selbst der SPIEGEL, der jahrzehntelang die linke Fahne hochgehalten hat, gegen Kapitalismus und Imperialismus angeschrieben hat, nimmt ihn bzgl. seiner Lobbyarbeit in Schutz - dass das ja alles nicht so schlimm sei. Und das im SPIEGEL!

Dass die BILD-Zeitung ihn feiert, ist ja klar … So also der allgemeine Medien-Tenor! Wer soll also noch gegen einen Lobby-Kanzler Friedrich Merz anschreiben - außer dem NATURSCHECK-Magazin (lacht).

(Alle lachen) Das ist wahr! Auch wir schreiben nicht „gegen“ ihn, da wir selbst wenig über Friedrich Merz wissen. Ich kann mich nur erinnern, dass er vor vielen Jahren eine geniale Idee präsentiert hat. Er zeichnete auf einem Bierdeckel auf, wie wir unser Steuersystem radikal vereinfachen könnten. Nämlich, indem wir die Mehrwertsteuer auf 25 % erhöhen. Dann könnten wir uns alle anderen Steuern sparen, und der Staat nähme dennoch genug ein, um alle Staatskosten zu decken. Danach hat ihn Angela Merkel abserviert. War das nicht so?

Dirk Müller: Das ist richtig. Solche Rechenexempel gibt es ja viele. Aber um nochmals auf Friedrich Merz als potentiellen Kanzler zurückzukommen. Fakt ist: ein solcher Kanzler würde sicher nicht zugunsten der großen Bevölkerung entscheiden, sondern immer zugunsten der Eliten. Friedrich Merz ist Mitbegründer der Initiative „Neue Soziale Marktwirtschaft“, der Speerspitze des Unternehmertums, die für die „Abschaffung des Sozialstaates“ eintritt. Und wohin das führt, das möchten wir uns gar nicht ausmalen…

…  das stimmt! Da müssen wir nur in die USA schauen, wo das Pulverfass derzeit von allen Seiten angezündet wird. Übrigens: gegen den Vorschlag von Friedrich Merz, das Steuersystem zu vereinfachen, machten seinerzeit die Lobbyorganisationen der Steuerberater mobil. Denn die leben ja von unserem komplizierten Steuersystem. Daraus ergibt sich die nächste Frage: Wie kann man ein System verändern, in welchem die Elite von der Komplikation lebt? Seien es die EU-Politiker, die Konzerne, die Rechtsanwälte, etc.

Dirk Müller: Es gibt inzwischen Lobbygruppen für alle Gesellschaftsbereiche. Jeder versucht, den maximalen Nutzen für sich selbst herauszuholen. Und je größer ein Konzern, desto größer ist auch seine Rechtsabteilung. Der Mittelständler ist da überfordert. Nach dem Motto „the winner takes it all“ macht der Große den Kleinen kaputt.

Die großen Konzerne haben ein Interesse an möglichst viel Regulierung und möglichst viel Auflagen. Denn die haben unter ihren tausenden von Mitarbeitern eine Rechtsabteilung, die finanziell nicht ins Gewicht fällt. Eine kleine Firma oder ein Mittelständler mit seinen fünf Mitarbeitern, die er jeden Monat bezahlen muss, könnte sich diese Zusatzausgaben gar nicht leisten.

Und so fallen in unserem System tausende kleinere Firmen durch das Raster und verschwinden von der Bildfläche. Sie werden von den großen Firmen geschluckt. Das erleben wir ja derzeit überall. Daher ist eine Vereinfachung des Systems auch von den Eliten nicht gewollt.

Apropos Vereinfachung! Das Thema „Cum-Ex-Steuergeschäfte“ wurde in den letzten Wochen viel diskutiert. Dem deutschen Staat sollen so über 50 Milliarden an Steuergeldern entgangen sein. Ich gebe zu, ich habe bis heute keine Ahnung, was Cum-Ex ist. Können Sie in einfachen Worten erklären, wer dieses System nutzt und wie es funktioniert?

Dirk Müller: Es ist nicht einfach, etwas so Kompliziertes einfach zu erklären. Aber ich werde es versuchen: Bei Cum-Ex geht es um steuerfreie Rückerstattung von Dividenden. Also um Gewinne, die meist ausländische Investoren erzielen und mit Hilfe deutscher Banken an der Steuer vorbeischleusen und damit deutsche Steuergelder in ihre eigenen Kassen spülen. So gehen dem deutschen Steuertopf jährlich Milliarden verloren.

Und die deutsche Politik hat hier jahrelang mitgemacht, obwohl man über die Probleme wusste und vielfach darauf hingewiesen wurde. Die entsprechenden Lobbygruppen waren stark genug, das politische Einschreiten zu verhindern.

Oje! Auch zum Jahresabschluss 2018 sprechen wir wieder über eher „schwere“ Themen. Überhaupt ist allgemein wenig Optimismus zu verspüren. Ich habe in den letzten Monaten fast ein Dutzend Bestsellerautoren interviewt, und alle haben kein „Happy End“ in ihre aktuellen Bücher eingebaut. Das macht schon nachdenklich! Da aber Weihnachten vor der Tür steht, wollen wir doch ein bisschen Optimismus verbreiten! Daher die Frage: Wenn Sie der Nikolaus wären und am 6. Dezember Geschenke verteilen dürften, die unser Leben besser und gerechter machen, wie würden diese Geschenke aussehen?

Dirk Müller: Das schönste Geschenk wäre tatsächlich eine Politikform, in welcher die Weisesten, die Anständigsten und die Integersten die Entscheidungen treffen. Und nicht irgendwelche Lobbygruppen, die permanenten Druck auf die Politik ausüben.

Und die Menschheit heute hätte ja auch für die Zukunft so wunderbare Möglichkeiten, was die Technologie und was unser Wissen angeht. Wir sind schon so weit. Und wir könnten noch viel weiter sein, wenn wir weise Entscheidungen für alle treffen würden.

Aber leider ist das Gegenteil der Fall. Immer frecher und rücksichtloser tritt die Plutokratie auf und wird zur Kleptokratie. Die Gier regiert alles. In der Vergangenheit hat das immer dazu geführt, dass der Druck so groß wurde, bis das Volk aufgestanden ist und sich zur Wehr gesetzt hat. Ob das wieder geschieht, wird man sehen…

Früher kam mit dem Nikolaus immer auch der Knecht Ruprecht ins Haus, der den bösen Kindern Prügel angedroht hat…

Dirk Müller: …das ist überhaupt nicht meine Weltsicht. Ich bin der Letzte, der Prügel verteilt und draufhaut. Ich möchte zur Besinnung aufrufen und zur Gemeinsamkeit. Denn es ist alles da, was wir für die Zukunft benötigen. Wir müssen nur erwachen und die richtigen Entscheidungen treffen. Und Weisheit ist für mich sehr viel sinnvoller als der Knüppel!

Lieber Herr Müller, ganz herzlichen Dank für das interessante und offene Gespräch. Und wir freuen uns schon auf das nächste Mal!


Das Interview führte: Michael Hoppe

Der Text erscheint in der Zeitschrift „Naturscheck“.


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