Teil 1/2: Israels Levant-Becken – ein neuer geopolitischer Fluch?

Jüngste Entdeckungen nicht nur signifikanter, sondern gigantischer Öl- und Gasvorkommen im bislang wenig erkundeten Mittelmeer zwischen Griechenland, der Türkei, Zypern, Israel und dem Libanon lassen vermuten, dass die Region zu einem sprichwörtlichen „neuen Persischen Golf“ werden könnte – hinsichtlich ihrer Öl- und Gasreichtümer. Wie auch schon im Falle des Persischen Golfs könnte die Entdeckung reicher Kohlenwasserstoff-Lager genauso einen geopolitischen Fluch atemberaubender Dimensionen beschwören.

Lange währende Konflikte des Nahen Ostens könnten schon bald von neuem Ringen um Öl- und Gasförderrechte unter dem östlichen Mittelmeer, im Levant-Becken und dem Ägäischen Meer, in den Schatten gestellt werden. Im Folgenden werden wir die Implikationen der Entdeckung von Massen an Öl und Gas vor der Küste Israels ergründen. In einem weiteren Artikel sollen die Konsequenzen für die Ägäis, zwischen Zypern, Syrien, der Türkei, Griechenland und dem Libanon, diskutiert werden.

Ein israelischer Leviathan

Der „Game Changer“ bestand in der Entdeckung eines Erdgasfeldes enormer Ausmaße vor der israelischen Küste in der Gegend, die von Geologen das Levant-Becken genannt wird – oder schlicht Levant – gegen Ende des Jahres 2010. Im Oktober 2010 entdeckte Israel ein überriesiges Gasfeld im Offshore-Bereich, welcher laut Israel in eine eigens erklärte „Exklusive Wirschaftszone“ (englisch: Exclusive Economic Zone, EEZ) fällt. Der Fund liegt etwa 135 Kilometer westlich des Hafens von Haifa und in einer Tiefe von fast 5.000 Metern. Man benannte es nach dem biblischen Meeresungeheuer: Leviathan. Israelische Versorgungsunternehmen, in Kooperation mit Houston Texas Noble Energy verlautbarten erste Schätzungen, nach welchen dieses Feld über 450 km³ (Kubikkilometer, also ein Quader von beispielsweise 9 x 10 x 5 Kilometern) Gas enthalten solle. Dies käme dem weltgrößten Gasfund in einem Zeitraum von zehn Jahren oder mehr gleich. Peak-Oil-Theorien, nach welchen der gesamte Planet bald dramatischen und permanenten Verknappungen an Öl, Gas und Kohle ausgesetzt sein wird, dürften dadurch zusätzlich angezweifelt werden. Um diese Zahl zu veranschaulichen: Dieses eine Gasfeld, Leviathan, enthält genügend Gas, um damit den Israelischen Bedarf für ein ganzes Jahrhundert komplett abzudecken. [1]

Die Perspektive der Selbstversorgung mit Energierohstoffen ist dem Staate Israel seit seiner Gründung im Jahre 1948 versagt gewesen. Umfangreiche Explorationen nach Öl und Gas wurden immer wieder unternommen, jedoch mit dürftigen Ergebnissen. Entgegen seiner rohstoffreichen arabischen Nachbarn schien Israel nicht dieses Glück gehabt zu haben. Dann jedoch, 2009, entdeckte Israels Explorationspartner Noble Energy im Levant-Becken das Tamar-Feld, etwa 80 Kilometer westlich von Haifa, mit geschätzt 235 km³ an Erdgas der besten Qualität. Tamar war der weltgrößte Erdgasfund 2009.

Bis dahin wurden die gesamten Gasreserven Israels auf lediglich 40 km³ kalkuliert. Schätzungen der Regierung gingen davon aus, dass das einzige betriebene Feld, Yam Tethys, welches um die 70 Prozent des Erdgasbedarfs des Landes deckt, binnen drei Jahren aufgebraucht sein würde.

Mit Tamar besserten sich die Aussichten immens. Dann, gerade ein Jahr nach der Tamar-Entdeckung, stieß das Konsortium um Noble Energy gleich in der Nähe auf den größten Fund seiner jahrzehntelangen Geschichte – den Leviathan, ebenfalls im Levant. Neuste Schätzungen gehen hier sogar von einer Mindestkapazität von über 480 km³ (17 Billionen Kubikfuß) aus. [2]

In wenigen Monaten sprang Israel von der Gasknappheit in den Überfluss. Mit den Entdeckungen von Tamar und Leviathan begann in Israel eine Diskussion darüber, wie man denn nun zu einem großen Gasexporteur aufsteigen könne. Genauso wurde überlegt, ob man die Umsätze des Exportes signifikant besteuern wolle, um diese in einem Fonds für Langzeitinvestments zum Wohle der Wirtschaft und Infrastruktur zu platzieren – ganz so, wie es viele arabische OPEC-Staaten machen. [3]

„Die Levant-Region kann mit einigen der anderen großen Regionen der Welt verglichen werden.“, sagte ein Sprecher des Energy Resource Programs der USGS (United States Geological Survey – eine Institution für geologische Gutachten). „Ihre Gasvorkommen sind größer als alles, was wir bisher in den Vereinigten Staaten evaluiert haben.“ [4]

Vielleicht ahnte die USGS bereits etwas vom Potential der geopolitischen Veränderungen in der gesamten Region, als sie erstmalig eine Schätzung für die gesamten Vorkommen in der erweiterten Region herausgab. Die Zahlen erstreckten sich um das östliche Mittelmeer, inklusive das Ägäische Becken vor Griechenland, der Türkei und Zypern, dazu das Levant-Becken vor dem Libanon, Israel und Syrien, sowie das Nil-Becken vor Ägypten. Die Zusammenfassungen der USGS waren imposant, um es bescheiden auszudrücken.

Unter Verwendung sämtlicher Daten zurückliegender Bohrungen und geologischer Gutachten in der Region fasste die USGS zusammen: „Die unerschlossenen Vorkommen an Öl und Gas in der Levant-Becken-Region summieren sich auf 1,68 Milliarden Barrel an Öl und etwa 3.500 km³ an Erdgas.“ Weitere Untersuchungen ergaben außerdem, dass „sich unerschlossene Vorkommen in der Nildelta-Becken-Region […] auf annäherungsweise 1,76 Milliarden Barrel an Öl und etwa 6.300 km³ an Erdgas schätzen lassen.“ [5]

Damit ergibt sich für den östlichen Mittelmeerraum eine Gesamtschätzung von momentan fast 10.000 km³ Erdgas und 3,4 Milliarden Barrel Öl. Plötzlich steht die Region völlig neuen geopolitischen Herausforderungen und Konfliktpotentialen gegenüber.

Um diese Zahlen weiter zu veranschaulichen, schätzt die USGS das westsibirische Becken in Russland, das größte bekannte Gasbecken der Erde, auf knapp über 18.000 km³ Erdgas. Genauso besitzen der Nahe und Mittlere Osten sowie Nordafrika einige Erdgas-reiche Gegenden, wie zum Beispiel das Rub-Al-Khali-Becken im südwestlichen Saudi-Arabien und dem nördlichen Jemen (zirka 12.000 km³), das Ghawar-Feld in Ost-Saudi-Arabien (knapp 6.500 km³) oder den Zagros-Faltengürtel entlang des Persischen Golfs bis in den Irak und Iran mit rund 6.000 km³. [6]

Noch wenige Monate zuvor war die Sicherung fremden Gases eine Priorität der nationalen Sicherheit Israels gewesen, da die existente heimische Gasversorgung gefährlich zur Neige zu gehen drohte. Diese Energiekrise wurde durch die Proteste des so genannten Arabischen Frühlings, die im Frühjahr 2011 durch Ägypten und Libyen schwappten, zusätzlich verstärkt. Die Revolten stürzten Mubarak, unter dessen Regime Ägypten um die 40 Prozent des israelischen Gasbedarfs deckte. Mit einem gestürzten Mubarak und dem aufgehobenen Verbot islamistischer Parteien in Ägypten, betreffend vor allem die Muslimbruderschaft und die radikale salafistische Al-Nour-Partei, wurde die Gas-Pipeline zwischen Ägypten und Israel wiederholt das Ziel von Sabotagen und Störungen – zuletzt im Februar dieses Jahr am nördlichen Sinai. Israel wurde ob seiner künftigen Energiesicherheit mehr als nervös. [7]

Die Reaktion des Libanon sorgt für neue Spannungen

Die israelische Entdeckung des Leviathan-Feldes im Offshore-Gebiet löste sofort einen neuen geopolitischen Konflikt aus. Der Libanon erklärte, dass Teile des Gasfeldes in Gewässern des libanesischen Territoriums lägen, in einer Exklusiven Wirtschaftszone (EEZ, s.o.) des Libanon. Daraufhin wurden der UN Landkarten vorgelegt, die diese Forderung untermauern sollten. Das erwiderte Israels Außenminister Lieberman scharf mit den Worten: „Wir geben nicht einen Zentimeter her!“ („We won’t give an inch.“)

Die Fliege in dieser mediterranen Energie-Suppe ist die Tatsache, dass Israel, genau wie die Vereinigten Staaten übrigens, niemals das UN-Abkommen über das Seerecht von 1982 ratifiziert hat. Darin werden weltweit die unterseeischen Rohstoffrechte klargestellt. Die Gasquellen des Leviathan-Feldes liegen klar innerhalb unbestrittenen israelischen Terrains, wie auch die Libanesen bestätigen, aber Letztere glauben, dass sich das Feld ebenfalls in ihren unterseeischen Bereich ausdehnt. Die Hisbollah macht geltend, dass das Tamar-Feld, welches bis zum Ende des laufenden Jahres die Gasförderungen aufnehmen sollte, dem Libanon gehört.

Washington hat keine Zeit verstreichen lassen, um politisches Benzin in das Feuer des Erdgas-Streits zwischen Israel und dem Libanon zu gießen. Im Juli 2011, als Israel einen eigenen UN-Antrag hinsichtlich des Verlaufs einer Offshore-Demarkationslinie zwischen Israel und dem Libanon vorbereitete, erklärte Frederick Hof, der amerikanische Diplomat, der für besondere Angelegenheiten betreffend Syrien und den Libanon verantwortlich ist, gegenüber dem Libanon, dass die Regierung Obama das libanesische Dokument befürworte. Dies verschärfte die, wie berichtet wird, seit dem Ausbruch des Arabischen Frühlings schwelenden Spannungen zwischen Israels Premier Benjamin Netanjahu und Obama. [8]

Weiteren Berichten zufolge hat Netanjahu kürzlich seinen engen Freund Sheldon Adelson, Kasino-Milliardär in Las Vegas und achtreichster Mann Amerikas, dazu gedrängt, die republikanischen Präsidentschafts-Kampagnen, inklusive derer von Newt Gingrich und Mitt Romney, mit Millionen zu überschütten – eine nie da gewesene direkte Einmischung in Präsidentschaftswahlkampagnen, um eine zweite Amtszeit Obamas zu vereiteln. [9]

Neue Streitigkeiten um die Kontrolle der großen Energie-Rohstoffvorkommen, die vor israelischen, libanesischen, zypriotischen, türkischen und griechischen Küsten entdeckt wurden, spielen eine klare Rolle in einer der politisch verstricktesten Regionen der Erde.

Im nächsten Beitrag werden die angewachsenen Komplikationen der Öl- und Gasfunde in der Ägäis einer Betrachtung unterzogen.    

Fußnoten und Verweise

[1] Charles Levinson, Guy Chazan, Big Gas Find Sparks a Frenzy in Israel, The Wall Street Journal, 30. December 2010, via http://online.wsj.com/article/SB10001424052970204204004576049842786766586.html#printMode.

[2] Offshore Energy Today Staff, Israel:  Leviathan Holds More Gas Than Previously Estimated, Offshore Energy Today, 19. Dezember 2011, via http://www.offshoreenergytoday.com/israel-leviathan-holds-more-gas-than-previously-estimated/.

[3] AFP, Israel has enough gas 'to become exporter’, 29. Dezember 2010, via http://www.france24.com/en/20101229-israel-has-enough-gas-become-exporter.

[4] US-Innenministerium, Levant basin holds 122 trillion cubic feet of natural gas, U.S. Geological Survey Fact Sheet 2010–3014, März bis April 2010.

[5] Ibid.

[6] Ibid.

[7] Avi Bar-Eli und Itai Trilnick, Forecast Blackout Israel is about to run out of natural gas: Shortage expected to last at least until next year, when the Tamar gas field starts production, 2. Februar 2012, Haaretz, via http://english.themarker.com/forecast-blackout-israel-is-about-to-run-out-of-natural-gas-1.410513. Vgl. auch Reuters, Blast Hits Gas Pipeline Between Egypt, Jordan, Israel, 4. Februar 2012.

[8] Barak Ravid, US Backs Lebanon on Maritime Border Dispute with Israel, 10. Juli 2011, Haaretz.com

[9] Reuters, Sheldon Adelson Probe: Donations From Casino Owner Could Embarrass Republican Candidates, 8. Februar 2012, via http://www.huffingtonpost.com/2012/02/08/sheldon-adelson-donations-casino-probe_n_1263945.html?ref=email_share. Mehr zur Verbindung Adelson-Gingrich-Romney-Netanyahu siehe: Max Blumenthal, The Bibi Connection, 12. Januar 2012, via http://english.al-akhbar.com/content/bibi-connection.

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